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Gesundheit: Die Biologin Nüsslein-Volhard wendet sich aus Anlass der Sloterdijk-Debatte gegen die Verbreitung von Horrorvisionen

Seit Wochen streiten sich deutsche Intellektuelle um das Thema Gentechnik und Menschenzüchtung. In der Diskussion fällt auf, dass dabei der Biotechnik fast durchweg eine negative Rolle zugewiesen wird.

Seit Wochen streiten sich deutsche Intellektuelle um das Thema Gentechnik und Menschenzüchtung. In der Diskussion fällt auf, dass dabei der Biotechnik fast durchweg eine negative Rolle zugewiesen wird. Beispiele: Der Journalist Thomas Assheuer schrieb, dass die Gentechnik "absolute Freiheit" und "namenlosen Schrecken" bedeute; der Philosoph Rüdiger Safranski entwarf eine Zukunftsvision, nach der "Genbanken patentierte Eigenschaften" verkaufen, "Vernichtung unwerten Lebens" an der Tagesordnung sein werde und die "Entfesselung der gentechnischen Zivilisation" bevorstehe. Machen Sie als Genforscherin solche Attacken betroffen?

Eher ärgerlich. Es ist erstaunlich, dass Leute so viel Platz in den Zeitungen eingeräumt bekommen, um über etwas zu diskutieren, von dem sie so wenig Ahnung haben. Die geistige Elite scheint weder zu wissen, was denkbar, noch, was möglich ist. Bevor ein Philosoph Gentechnik in seine Theorien einbaut, sollte er sich erstmal gründlich informieren über das, was eigentlich machbar ist, statt alles durcheinanderzuwerfen und Horrorvisionen zu verbreiten.

Die ganze Debatte ist völlig überzogen - viel Lärm um Nichts. Alles, was da erörtert wird, ist so wahnsinnig weit weg vom Machbaren. Aber die Bevölkerung wird verschreckt. Mich irritiert, dass die Philosophen sich offenbar mit keinem Biologen beraten haben, bevor sie mit einem solchen Streit an die Öffentlichkeit gehen. Die wissenschaftlichen Zusammenhänge sind sehr kompliziert und nicht leicht zu durchschauen, auch nicht für Biologen selbst.

Der Gedanke, dass der Mensch einen Körper hat und ein von biologischen Lebensvorgängen bestimmtes Wesen ist, scheint vielen Vertretern des deutschen Geisteslebens eine unangenehme und eher fremde Vorstellung zu sein. Müssen Sie da noch Aufklärungsarbeit leisten?

Ich glaube schon. Aber das ist traditionsgemäß in Deutschland so. Hierzulande bekommt man etwas auf die Finger, wenn man den Menschen in eine Reihe mit den Tieren stellt. Doch das ist für einen Biologen nun einmal eine spannende und reizvolle Sache, man kann durch den Vergleich so viel lernen. Man erfährt, wie verwandt wir mit anderen Lebewesen sind, man denke nur an unsere Instinkte und manches mehr. Wir sind ähnlich, aber nicht gleich. Es ist sehr spannend, herauszufinden, was die Unterschiede ausmacht. Gibt es doch, bei sehr großer Verwandschaft, kaum ein identisches Gen bei Affe und Mensch. Wir haben natürlich eine Sonderstellung. Aber der Vergleich ist trotzdem spannend.

Sind die Visionen von der drohenden gentechnischen Zivilisation für Sie ein Ausdruck von Wissenschaftsfeindlichkeit?

Was ich abschreckend finde, ist dieses Pochen auf Ignoranz, was die Naturwissenschaft angeht, dieser Hochmut. Man ist stolz auf seine Lateinkenntnisse, und auf eine Fünf in Mathe. Da gibt es eigentlich keine gemeinsame Basis, es fehlen Diskussion und Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern. Ich fände es wünschenswert, wenn Geistes- und Naturwissenschaften sich näher kommen würden, um gemeinsam eine moderne Anthropologie zu entwickeln. Wir sollten aufeinander zugehen. Aber wir haben keine gemeinsame Sprache. Ein Beispiel: Beim Wort "Selektion" denkt ein Geisteswissenschaftler zuerst an Auschwitz, ein Naturwissenschaftler aber an Darwins Buch über die natürliche Selektion, die Auslese, bei der Entstehung der Arten.

Zum Thema Menschenzüchtung mit Gentechnik: Kritiker sehen diese schon vor der Tür stehen. Lassen sich denn menschliche Eigenschaften vorgeburtlich nach Belieben genetisch verändern?

Das ist weder wünschenswert noch überhaupt machbar, und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen sind solche Versuche schon beim Tier außerordentlich aufwendig. Es ist nicht so einfach, ein bestimmtes Gen in einen bestimmten Embryo hineinzubringen. Bei der Maus kommt ein fremdes Gen, das in das Erbgut eingebaut wird, erst in der übernächsten Generationen zum Tragen. Beim Menschen würde das bedeuten, dass der Eingriff erst 50 Jahre später eine Rolle spielen wird. Das liegt daran, dass der Einbau nicht in allen Zellen erfolgt, und dass Gene meist rezessiv sind und sich nicht schon in der ersten Generation tatsächlich auswirken können.

Ein zweiter Punkt ist die Anzahl. Längst nicht jeder Versuch, ein Gen in eine Eizelle einzubringen, gelingt. Das kann man bei Mäusen machen, da gibt es auch besonders gut geeignete Stämme, die viele Eier produzieren. Beim Menschen, wo nur ganz begrenzt Eizellen eines bestimmten Gentyps zur Verfügung stehen, geht das nicht mit der nötigen Sicherheit.

Und schließlich gibt es da eine unüberwindbare Hürde. Es ist ganz schwer zu sagen, was ein Gen eigentlich im Körper tut. Bei der Maus kann man einzelne Gene ausschalten. Trotzdem ist es nicht leicht, daraus zu lernen, was das Gen genau tut. Außerdem sind diese Tiere so anders als wir, dass man nicht so einfach von der Maus auf den Menschen schließen kann.

Peter Sloterdijk hat in seiner Aufsehen erregenden Rede im Hinblick auf die näher rückende Menschenzüchtung einen "Codex der Anthropotechniken" gefordert.

Das kommt mir so vor, als würden wir uns demnächst darüber unterhalten, ob man auf dem Mond Links- oder Rechtsverkehr einführen sollte.

Sie erforschen das komplexe Zusammenspiel von Genen bei der Entwicklung des Organismus. Was halten Sie von der Hoffnung oder Befürchtung - je nach Standpunkt -, komplexe Merkmale wie Intelligenz, Schönheit oder andere erstrebenswerte Eigenschaften genetisch zu manipulieren?

Welche Gene man dazu nehmen sollte, kann man nicht sagen. Denn es gibt kein einzelnes Gen für Moral oder Intelligenz oder so etwas ähnliches, wie es für Menschenzüchter ja wohl erstrebenswert wäre. Wenn man die Gene eine Fötus analysieren würde, könnte man daraus niemals ermitteln, wie klug oder schön er einmal sein wird. Das ist viel zu komplex, das geht nicht. Eigenschaften wie schön, musikalisch oder moralisch werden durch ein Zusammenspiel von sehr vielen völlig unbekannten Genen bestimmt. Umgekehrt beeinflusst jedes einzelne Gen viele verschiedene Eigenschaften. Nur ein winziger Bruchteil der etwa 100 000 menschlichen Gene ist in seiner Funktion einigermaßen gut bekannt. Die Sequenz des Gens allein lässt die Funktion, wenn überhaupt, dann nur in ihren gröbsten Zügen vorhersagen.

Die Keimbahntherapie zielt darauf ab, Erbleiden bereits vor der Einpflanzung des Embryos in die Gebärmutter zu kurieren. Das Neugeborene soll gesund sein. Zumindest in Amerika wurde bereits von Wissenschaftlern über ihre Machbarkeit diskutiert. Halten Sie die Zeit für diese Therapie schon für gekommen, und ist sie in Ihren Augen wünschenswert?

Ich halte die Keimbahntherapie weder für machbar, noch für nötig oder wünschenswert. Was will man denn überhaupt therapieren? Es gibt neben den kranken ja auch gesunde Embryonen. Bei jedem Therapieversuch kann der Keim geschädigt werden, da sollte man wahnsinnig vorsichtig sein.

Neben dieser "positiven", aktiv erbgutverändernden Form der Therapie gibt es ja auch die Möglichkeit, nach einer Reagenzglasbefruchtung den Keim auf mögliche Erbkrankheiten zu untersuchen und nur jene Embryonen in die Gebärmutter einzupflanzen, die eine bestimmte Krankheit nicht haben. Das wäre dann eine Form der "negativen" Auslese. Was halten Sie von dieser - in Deutschland verbotenen - Präimplantations-Diagnostik?

Die Präimplantations-Diagnostik ist sehr aufwendig, in seltenen Fällen einer Erbkrankheit bei beiden Eltern könnte sie hilfreich sein. Ich frage mich allerdings: Muss man das machen? Ich finde es nicht so schlimm, keine Kinder zu haben, es gibt schlimmere Schicksale. Außerdem muss bei diesem Verfahren eine Auslese unter den Embryonen getroffen werden, das wirft erhebliche ethische Probleme auf. Um es anzuwenden, müsste das deutsche Embyronenschutzgesetz geändert werden. Da will ernsthaft aber keiner dran rütteln.

Für wie realistisch und für wie erstrebenswert halten Sie die Möglichkeit des Klonens von Menschen aus dem Erbmaterial eines Erwachsenen nach der Methode, mit der das Schaf Dolly geklont wurde? Auch diese Vorstellung gehört ja zum Inventar biotechnischer Schreckensvisionen.

Ich halte das Klonen von Menschen für vollkommen unrealistisch. Das Fehlbildungsrisiko ist riesengroß. Die Gene aus den eingepflanzten Zellkernen des Spenders können alles mögliche abgekriegt haben. Ich denke, dass es höchstens mal als spektakuläres Ereignis einen geklonten Menschen geben wird, meiner Einschätzung nach wird sich aber das Klonen nicht etablieren. Auch aus der Tierzüchtung wird das Dolly-Verfahren verschwinden, es gibt zu viele Missbildungen. Die natürliche Fortpflanzung ist so viel einfacher und leistungsfähiger . . .

Wenn man weit in die Zukunft blickt - wird eines Tages nicht doch die gezielte genetische Veränderung des Menschen möglich sein? Auf Wegen, die wir heute noch nicht kennen?

Das ist eine schwierige Frage, natürlich kann man das nicht ausschließen. Vor einem Jahr habe ich noch gesagt: Man kann Säugetiere nicht klonieren. Aber es ist offenbar dennoch möglich. Es ist nicht so einfach, abzuschätzen, was auf uns zukommt.

Welche Hoffnungen und welche Ängste bewegen Sie beim Thema Gentechnik?

Ich habe weder große Ängste noch große Hoffnungen. Die Natur ist so vollkommen eingerichtet, dass man nur in Ehrfurcht erstarren kann. Es ist vermessen zu glauben, einen Organismus wirklich verbessern zu können, indem man irgendwo ein Gen einbaut. Auf der anderen Seite ist die Gentechnik eine fantastische Methode, um das Leben zu studieren, und auch in der Medizin hat sie ein großes Potential. Aber sie hat ihre Grenzen, man sollte nicht zuviel Erwartungen haben, weder im Guten noch im Schlechten.

Seit Wochen streiten sich deutsche Intellektuelle

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