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Gesundheit: Die Journalisten in Deutschland wurden scharf überwacht, aber auch der Westen arbeitete mit Zensur und Propaganda

Als die Wehrmacht in Polen einfiel, war der Krieg für Westeuropa noch nicht real. Trotz der Kriegserklärungen aus London und Paris hatte die Situation etwas Unwirkliches.

Als die Wehrmacht in Polen einfiel, war der Krieg für Westeuropa noch nicht real. Trotz der Kriegserklärungen aus London und Paris hatte die Situation etwas Unwirkliches. "Phoney war" ("Scheinkrieg") nannten es die Briten. Auf einer Ebene aber begann im September 1939 auch zwischen dem Dritten Reich und dem Westen ein erbitterter Kampf: das Ringen um Überlegenheit in Sachen Information und Propaganda.

Die ausländischen Korrespondenten in Berlin wurden noch genauer überwacht als schon in den Jahren seit 1933. Einreisende Journalisten mussten sich sofort beim Auswärtigen Amt melden. Dort legten die Beamten eine Karteikarte mit Angaben zur Person an, einschließlich "besonderer Eigentümlichkeiten". Der Ausweis zur Teilnahme an den offiziellen Pressekonferenzen konnte Journalisten, die "in abfälliger oder entstellender Weise über Deutschland berichten", entzogen werden.

Die Spitzel des SD schnüffelten den Korrespondenten hinterher, vor allem dort, wo diese sich nach Beobachtung der SD-Männer regelmäßig aufhielten: "Klubs und Zirkel, Hotels, Bars, Nachtlokale etc." Die gesamte Post ins Ausland wurde kontrolliert; in der Berliner Postüberwachungsstelle in den Räumen des Zoos öffneten und lasen 3000 Mitarbeiter die Post.

Doch auch Frankreich und England führten zu Kriegsbeginn Telefonüberwachung und Zensur bei militärischen Themen ein. Die NS-Propaganda griff diese Entwicklung dankbar spottend auf und stellte Deutschland als liberal und offen dar. Aber die Korrespondenten spürten den vermehrten Druck, in Deutschland wie in Westeuropa. Manche verließen den Kontinent schon kurz nach Kriegsbeginn. William Shirer, Radioreporter der US-amerikanischen CBS in Berlin, schrieb am 8. September 1939 in sein Tagebuch über seine amerikanischen Hörfunkkollegen: "NBC und Mutual haben ihre Sendungen aus Europa eingestellt. Wir wollen als einzige weitermachen. Es war gut, daß wir einen ganzen Stab amerikanischer Reporter aufgebaut haben."

Kontrolle der Berichterstattung war eine Sache - die Propaganda war die andere. Die Reichsrundfunkgesellschaft bemühte sich gleich nach Kriegsbeginn um "native speakers" (Ausländische Muttersprachler) für die Propagandasendungen. Einer von ihnen war der in den USA geborene Ire William Joyce, zeitweise Aktivist einer faschistischen Organisation in England.

Schon kurz nachdem die ersten Texte von Joyce in England empfangen worden waren, erfand Jonah Barrington von der "Daily Express" einen Namen für den Radio-Mann. Dessen Aussprache klang zwar ein wenig aristokratisch, aber der Sprecher war nach Ansicht englischer Zuhörer eindeutig selbst kein Aristokrat. "Lord Haw-Haw" nannte ihn Barrington, eine Wortschöpfung in Nachahmung der eigentümlichen Färbung dieser Propagandastimme.

Anders als in Deutschland, wo das Hören von Feindsendern lebensgefährlich war, war das Hören deutscher Radiopropaganda in England ein Freizeitvergnügen. Überall sprach man über die Sendungen - vor allem von Lord Haw-Haw. Er wurde als Clown gesehen - allerdings als Clown mit geradezu magischen Fähigkeiten. Denn es flossen in die von ihm verlesenen "Nachrichten" so viele Details über Straßen, aktuelle lokale Ereignisse und regionale Besonderheiten in England ein, dass er von vielen Zuhörern als Teil eines allwissenden Kontakt- oder Spionagenetzes angesehen wurde. Kurz nach Kriegsende wurde er von einem englischen Besatzungsoffizier, der die Haw-Haw-Stimme erkannte, festgenommen und wegen Hochverrats hingerichtet.

Die Briten setzten im Herbst 1939 nicht auf Propaganda, sondern auf möglichst objektive Informationen, vorgetragen im bewusst neutral-nüchternen Ton der Nachrichtensprecher der Rundfunkgesellschaft British Broadcasting Corporation (BBC). Und sie setzten auf Satire, für deren Spitzen und Spott die Nazi-Bonzen und ihr Regime Angriffsflächen im Übermaß boten. Der deutschsprachige Dienst der BBC war im September 1938 auf dem Höhepunkt der so genannten Sudetenkrise gegründet worden - von deutschen Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei. Nur in einem Falle, so wird gerne erzählt, wich der britische Rundfunk von seinem Grundsatz "entweder Wahrheit oder (kriegsbedingt taktisches) Schweigen" ab und verbreitete gezielt eine Lüge: Die gegen England abgefeuerten deutschen "Wunderwaffen", die V1- und V2-Raketen, fielen immer wieder auf grüne Wiesen weit westlich von London, hieß es. Die zuständigen Stellen in Berlin haben diesen Bluff geglaubt und die Konstrukteure angewiesen, die programmierte Flugbahn zu kürzen. Und die Raketen, die anfangs große Zerstörungen im Londoner East End angerichtet hatten, landeten schließlich oft vor der Küste des Ärmelkanals.

Am 10. Mai 1940 begann der deutsche Angriff im Westen. Die fadenscheinige Begründung des Dritten Reiches für den Angriff auf die Niederlande machte die tiefe Kluft zwischen Diktatur und nervöser Demkratie noch einmal deutlich. "Seit Ausbruch des Kriegs haben die belgische und die niederländische Presse in ihren feindseligen Auslassungen gegen Deutschland die englischen und französischen Zeitungen noch überboten. Diese Haltung haben sie trotz dauernder deutscher Vorhaltungen nicht geändert."

Alexander Loesch, Paul Stoop

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