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Gesundheit: Die Liebe macht uns alle gleich

Das Sexualhormon Testosteron verringert Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Männer wollen Sex, Frauen Liebe. Männer können nicht zuhören, Frauen nicht einparken. Männer wollen Fußball sehen, Frauen Schuhe kaufen. Bei solchen Unterschieden zwischen den Geschlechtern wundert es, dass es mehr als sechs Milliarden Menschen gibt. Woher kommen sie bloß?

Es muss eine Kraft geben, die Männlein und Weiblein – die sich auch nicht besser als Feuer und Wasser oder Hund und Katz zu vertragen scheinen – zusammenbringt, sagte sich die Psychiaterin Donatella Marazziti von der Universität Pisa, und sie machte sich auf die Suche.

Die Forscherin ist fündig geworden. Die Kraft, die dafür sorgt, dass sich selbst die beiden verfeindeten Spezies Mann und Frau vertragen, zumindest zeitweise, lautet, wie Marazziti in einem Versuch entdeckte, Testosteron.

Testosteron ist das Hormon von Lust, Leistung und Dominanz. Es macht wach, aggressiv, bringt die Libido auf Trab und bildet Muskeln. Anabolika etwa, mit denen auch der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger sein Muskelpaket angelegt hat, sind nichts anderes als synthetische Abkömmlinge des natürlichen Hormons Testosteron. Testosteron gilt als männliches Sexualhormon, doch auch Frauen produzieren Testosteron. Gewöhnlich zirkuliert aber nur etwa ein Zehntel der männlichen Testosteronmenge im weiblichen Blut.

Es sei denn, die Frau ist verliebt, wie Marazziti feststellte. Die Psychiaterin interessierte sich für zwölf Männer und zwölf Frauen, die sich alle durch eins auszeichneten: Sie hatten sich in den letzten sechs Monaten bis über beide Ohren verknallt. Als die Forscherin den Hormonspiegel der Liebeskranken mit dem einer Kontrollgruppe verglich, fand sie bei den zutiefst Verliebten eine deutliche Abweichung des Testosteronspiegels: Die Männer hatten weniger Testosteron im Blut, die Frauen dagegen mehr als ihre nichtverliebten Geschlechtsgenossen.

Fazit der Forscherin: Sobald sich Männer und Frauen verlieben, gleichen sie sich hormonell an. Vereinfacht gesagt: Die Männer werden weicher, die Frauen dominanter. „Es scheint, als wolle die Natur die Unterschiede zwischen Mann und Frau ausschalten, weil es in diesem Stadium wichtiger ist zusammenzukommen“, sagt Marazziti.

Allerdings reicht das Testosterontief vermutlich noch nicht, damit Mann und Frau sich zurecht- und zusammenfinden. Dazu müssen beide auch noch den Verstand verlieren, wie Marazziti meint.

So hatte die italienische Forscherin vor einigen Jahren schon die Biochemie hochgradig verliebter Personen untersucht und Sonderbares festgestellt: Verliebte gleichen in gewisser Hinsicht Zwangspatienten, Menschen also, die etwa den unwiderstehlichen Drang verspüren, sich 43-mal am Tag die Hände zu waschen. Bei den Verliebten sind es zwar nicht die Handlungen, die zwanghaft werden, dafür aber umso mehr die Gedanken. Die Fantasien kreisen nur noch um eins: die angehimmelte Person.

Den biochemischen Beweis dafür lieferte ein Bluttest der hochgradig Verknallten. Ein bestimmter Botenstoff, das Serotonin, war bei ihnen auf ein geradezu krankhaft niedriges Niveau gesunken. Der gleiche Befund zeigt sich bei Zwangspatienten. „Es wird oft behauptet, wer verliebt ist, ist auch ein bisschen verrückt“, so Marazziti. „Daran ist etwas Wahres.“

Bestätigen können das auch die Hirnforscher Semir Zeki und Andreas Bartels vom University College in London. Sie verfolgten per Kernspintomograph die Hirnaktivität einer Gruppe von absolut Verliebten, während diese das Bild ihres oder ihrer Liebsten betrachteten. Es zeigte sich: Areale, die uns depressiv stimmen, wie etwa das rechte Stirnhirn, waren abgeschaltet. Bemerkenswerterweise hatten aber auch solche Regionen des Gehirns die Erregung heruntergefahren, die wir brauchen, wenn wir andere kritisch beurteilen. „Die Befunde bringen uns ein Stück näher zu einer neurologischen Erklärung, warum Liebe uns blind macht“ – lautete die Schlussfolgerung der Wissenschaftler.

„Liebe ist der angenehmste Zustand teilweiser Unzurechnungsfähigkeit“, sagte schon der französische Autor Marcel Aymé (1902 bis 1967). Da kann die Wissenschaft nur zustimmen.

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