zum Hauptinhalt

Gesundheit: Die Lust am Insekt

Naturkunde mit dem Zeichenstift: Vor 300 Jahren wurde der Tiermaler August Rösel von Rosenhof geboren

Im protestantischen Nürnberg des 17. und 18. Jahrhunderts lebten zwei Künstler, die mit ihrer Leidenschaft für sechsfüßige Krabbeltiere wesentlich zur Entstehung der modernen Insektenkunde beitrugen: Maria Sibylla Merian (1647 bis 1717) und August Johann Rösel von Rosenhof (1705 bis 1759).

Die eine hatte einen berühmten Vater, der andere nicht. Die eine verließ ihren Mann, trat einer Sekte bei und reiste bis ins ferne Surinam. Der andere strebte zeitlebens nach gesellschaftlicher Anerkennung. Die eine verkörpert noch heute die Emanzipation der Frau, der andere blieb auf seine Zeit beschränkt. Merian wurde auf dem 500 DM-Schein verewigt, Rösel durfte seinen Namen einer Beißschrecke leihen.

August Johann Rösel von Rosenhof stammt aus einer Kaufmanns- und Malerfamilie. Großvater Franz d.J. war Tiermaler, sein Vater Pius arbeitete als Kupferstecher und Glasschneider, bevor er die Verwaltung von Schloss Augustenburg bei Arnstadt (Thüringen) übernahm. Dort wird August Johann am 30. März 1705 geboren. Fürstin Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt, eine leidenschaftliche Sammlerin von Puppen, Porzellan und Gemälden, hält ihn zur Taufe.

Vom Vater lernt er zeichnen. Als dieser arbeitslos und schließlich krank wird, nimmt die Herzogin ihr Patenkind auf und finanziert seine Ausbildung. 1720 schickt sie ihn nach Merseburg in die Lehre zu seinem Onkel Wilhelm Rösel, der bei Hofe als Tier- und Freskomaler angestellt ist. Spätestens jetzt beginnt der junge August mit dem Aquarellieren von Insekten. 1725 zieht er zu seiner verwitweten Mutter nach Nürnberg und besucht die Malerakademie. Doch mit großformatigen Ölgemälden kann er sich nicht anfreunden. Er interessiert sich für die kleinen Dinge des Lebens, sticht Kupferplatten und malt Miniaturporträts.

Im Juni 1726 besucht er seine Tante in Kopenhagen, die ihm Aufträge am dänischen Königshof verschafft. Auch Holland und Italien möchte er gerne bereisen. Deshalb schlägt er eine Lebensstellung als Hofmaler aus und wählt eines von zwei Schiffen über die Ostsee. Beide geraten in einen Sturm, das andere Schiff sinkt und August Johann sitzt wieder in Kopenhagen. Auf dem ungefährlicheren Landweg über den großen und kleinen Belt erreicht er schließlich Hamburg. Hier zeigt ihm ein Naturliebhaber das nicht näher beschriebene „Merianische Insectenwerk“. Eine „heftige Krankheit“ macht endgültig alle Reisepläne zunichte. Auf dem Rückweg über den Harz zieht er sich schwere Erfrierungen zu. Schließlich kehrt er im September 1728 nach Nürnberg zurück. Naturgewalten hinderten ihn am Reisen und so blieb sein Insektenwerk weitgehend auf einheimische Arten beschränkt.

August Johann richtet sich in der Welt der Gelehrten, Patrizier und Adeligen ein. 1737 heiratet er die Chirurgentochter Maria Elisabeth Rosa. „Mit dem Anfang dieser Ehe wurde die Neigung des Herrn Rösels, die Natur und Geschöpfe nach ihren besondern Eigenschaften zu betrachten und zu untersuchen, von Tag zu Tage größer“, schreibt sein Schwiegersohn und Biograph Christian Friederich Carl Kleemann im Jahre 1761.

Rösels Wohnung gleicht einem Insektarium. Im Frühjahr und Sommer zieht er hinaus, um diese „Geschöpfe aufzusuchen, nach Hause zu bringen, vom Ey zu erziehen, als Raupen zu nähren, als Puppen zu verpflegen und als Papilions in seine Sammlung zu bringen“. Er beschreibt ihre Lebensweise, zeichnet die Stadien ihrer Metamorphose und dokumentiert morphologische Besonderheiten. Rösel sticht alle Kupferplatten selbst und gibt genaue Anweisungen, wie sie naturgetreu zu kolorieren sind. Daneben verdient er sein Geld als Porträtmaler.

Mit den Porträtminiaturen „adliger und vornehmer Personen“ hätte es Rösel sicher zu großem Wohlstand gebracht, wäre er nicht dem Vorbild zweier ungewöhnlicher Frauen erlegen: der Sammelleidenschaft seiner Patin und dem Forscherdrang Merians. Auch Maria Elisabeth, die ihm acht Kinder gebar, dürfte großen Anteil an seinem Lebenswerk haben. Im Nürnberger „Gelehrten-Lexicon“ von 1806 wird sie als „Gehülfin“ eingeführt. Doch das Privatleben und die Vermögensverhältnisse des Miniaturmalers sind bisher noch kaum erforscht.

Rösels Interesse an den „schädlichen und abscheulichen Geschöpfen“ fand wenig Beifall: Er solle „seiner Eheliebsten keinen unnöthigen und unverantwortlichen Kummer verursachen, und deren zugebrachtes Vermögen zu einer solch unnützen Beschäftigung nicht misbrauchen“, hörte man aus seinem Umfeld.

Auch heute hat Rösel von Rosenhof nur eine kleine Fangemeinde, die sich aus Insektenliebhabern und Bücherfreunden zusammensetzt. Sie interessieren sich weniger für seine Biografie als für sein Werk. Zwischen 1740 und 1761 erschienen im Eigenverlag vier Bände der „monatlich herausgegebenen Insecten-Belustigung“. Darin finden sich auf über 2000 Seiten Beobachtungen zur Aufzucht, Lebensweise und Ökologie einheimischer Insekten, Krebse und Süßwasserpolypen, illustriert mit 300 detailgetreuen Kupfertafeln. Mit der „natürlichen Historie der Frösche hiesigen Landes“ macht sich Rösel auch als Amphibienkenner einen Namen.

Vor dem Hintergrund der fotografischen und rasterelektronischen Möglichkeiten moderner Insektenillustrationen muss sein Werk heute zwangsläufig verblassen. Es sei denn, man würdigt das handwerkliche Können und die revolutionäre Wirkung, welche von solchen Kunstwerken der Frühaufklärung ausging.

Rösel hat, wie Merian vor ihm, etwas Unerhörtes getan. Anfangs ohne akademische Vorkenntnisse und nur bewaffnet mit dem gesunden Menschenverstand ist er hinausgezogen, um das Werden und Vergehen zu beschreiben. Er hat die Natur rational erklärt und dabei weder auf angesehene Gelehrte noch auf berühmte Theologen Rücksicht genommen, denen damals die alleinige Deutungsmacht zustand. Potenziellen Käufern der „Insecten-Belustigung“ versichert er, „daß er sich bey seiner Arbeit, an keinen Autor, sondern einzig an die Natur selbst halte, und mithin nicht um das bekümmert sei, was ein anderer gesagt, sondern was ihm seine Erfahrung gewiesen“.

Erfahrung und Vernunft traten an die Stelle überlieferter (meist religiös begründeter) Erklärungsmuster. So begann das Zeitalter der Aufklärung. Der Schriftsteller und Insektenforscher Ernst Jünger hat dies in seinem Werk „Subtile Jagden“ auf den Punkt gebracht: „Deus sive natura, Deus et natura, Natura sine Deo; wer einmal a gesagt hat, wird auch b sagen.“ (Wörtlich übersetzt: „Gott oder die Natur“ – was nach der Philosophie des Baruch de Spinoza (1632 bis 1677) soviel bedeutet wie Gott ist Natur – „Gott und Natur, Natur ohne Gott“.)

Die pantheistische Gleichsetzung von Gott und Natur hat letztlich zu seiner Verbannung geführt. Angesprochen auf ihr religiöses Empfinden bekennen heute viele Menschen, dass sie das Göttliche in der Natur suchen und nicht in der Kirche. Was in unseren Tagen gerne angeführt wird, um Kirchensteuer zu sparen, diente vor 300 Jahren als Rechtfertigung für die Beschäftigung mit der Natur.

So lehrte der protestantische Theologe Friedrich Christian Lesser 1735, Gott habe sich in zwei Büchern offenbart: Im Buch der heiligen Schrift und im Buch der Natur. Dahinter steht die Weltanschauung der Physikotheologie, welche noch im kleinsten Wurm den sichtbaren Beweis für die Existenz Gottes erkannte. Nach diesem Verständnis war die Naturforschung eine Form von Gottesdienst.

Auch Rösel von Rosenhof war ein Anhänger dieser Theologie und nutzte sie, um seinen Forscherdrang zu rechtfertigen: „Nun gebe ich gerne zu, daß man (die Insektenbeobachtungen) für einen Zeit-Vertreib halte,“ aber sie vermehren zugleich „auch die Beweise von dem Daseyn Gottes“, schreibt er in seiner Vorrede zur „Insecten-Belustigung“.

Diese liest sich zunächst wie eine Werbeschrift für Kerbtiere. Rösel erinnert an die Nützlichkeit der Bienen, an die Galläpfel, aus denen man schwarze Tinte herstellen kann und an den von Insekten hervorgerufenen Reifeprozess der Feigen. Danach folgt ein kluger Aufruf zur angewandten Insektenforschung: „Derjenige nun würde eine sehr wichtige Arbeit unternehmen, der alle uns schädliche Arten derer Insekten so untersuchen wollte, daß er zugleich ein Mittel ausfindig machte, den Schaden so sie uns zufügen zu hintertreiben, sie zu tödten und ihre Eyer zu vernichten.“ Mit dem Schädlingsbekämpfungsargument stocken Grundlagenforscher noch heute ihren Etat auf.

Rösel war eben nicht nur ein Insektenliebhaber, der seine Sammelobjekte kunstvoll präsentieren und verkaufen wollte. Er betrieb ernsthafte biologische Studien, setzte Versuchsreihen an, sezierte, baute ein Mikroskop mit selbstgeschliffenen Linsen. Zwar gab es in Europa ein gutes Dutzend Wissenschaftler, die sich schon vor ihm mit Insekten befasst hatten. Doch bezogen auf die Qualität der Abbildungen verbunden mit den ausführlichen Kommentaren und der großen Zahl der beschriebenen Arten konnte ihm keiner das Wasser reichen. Dies unterscheidet Rösel von den anderen, meist weiblichen Exponenten der Nürnberger naturgeschichtlichen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, die Sibylla Merian künstlerisch nacheiferten, ohne ihrem Forscherdrang zu folgen.

Die Naturbeobachtung bediente jedoch nicht nur religiöse oder ästhetische Bedürfnisse, sie hatte auch einen nicht geringen Freizeitwert. So gehörten Vorführungen mit Nürnberger Sonnenmikroskopen an den Residenzen in Ansbach und Bayreuth zum „Amusement“. Daher der Name „Insecten-Belustigung“. Und da die wohlhabenden Bürger immer schauten, was bei Hofe gerade en vogue war, konnte Rösel auf eine zahlungskräftige Kundschaft hoffen.

Als Rösel von Rosenhof am 27. März 1759 starb, hinterließ er zahlreiche Freunde und Bewunderer, auch unter den Gelehrten. Obwohl er kein Latein konnte und damit vom wissenschaftlichen Diskurs weitgehend abgeschnitten war, fand sein Werk akademische Beachtung. Bei der Aufstellung der zoologischen Systematik griff Carl von Linné (1707 bis 1778) auf viele Arten zurück, die der Miniaturmaler beschrieben hatte. Allein von den Schmetterlingen gingen 129 auf Rösels Konto, während Merian, die „Falterfrau“, nur 98 Spezies beisteuern durfte.

In Nürnberg erinnert heute eine 250 Meter lange Nebenstraße an den großen Entomologen. Wer Rösels Grab auf dem Johannisfriedhof finden will, muss Spezialliteratur wälzen. Immerhin erinnert zurzeit die Nürnberger Naturhistorische Gesellschaft mit einer kleinen Ausstellung an den 300. Geburtstag von August Johann Rösel von Rosenhof.

Ausstellung bis 6. Januar: Rösel von Rosenhof – Naturforscher in Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg, Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg

Mathias Orgeldinger

Zur Startseite