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Gesundheit: Die neuen Grippe-Medikamente helfen weniger den Patienten als den Aktionären

Wer in diesen Tagen Anzeichen einer Erkältung verspürt, sollte sich schleunigst unter der Bettdecke verkriechen. Denn seit Oktober ist eine eigenartige Jagdsaison eröffnet: Begehrteste Trophäen sind Muskelschmerzen, Schüttelfrost und Triefnase - die ersten Symptome der Virusgrippe.

Wer in diesen Tagen Anzeichen einer Erkältung verspürt, sollte sich schleunigst unter der Bettdecke verkriechen. Denn seit Oktober ist eine eigenartige Jagdsaison eröffnet: Begehrteste Trophäen sind Muskelschmerzen, Schüttelfrost und Triefnase - die ersten Symptome der Virusgrippe. Zum herbstlichen Halali geblasen haben die Pharma-Giganten Roche und Glaxo Wellcome, deren neue Grippemittel "Tamiflu" und "Relenza" in Europa seit kurzem verkauft werden dürfen. Die mit enormem Werbeaufwand angekündigten Wunderdrogen sollen der Menschheitsplage Influenza endgültig den Garaus machen - und ihren Herstellern einen Jahresumsatz von je einer Milliarde Mark bescheren. Die Sache hat leider nur einen gravierenden Haken: Wenn die neuen Medikamente nicht spätestens 36 Stunden nach Beginn der ersten Symptome eingenommen werden, sind sie wirkungslos wie heiße Milch mit Honig.

Die Enttäuschung der Ärzte und Analysten liegt an dem besonders raffinierten Wirkprinzip der Virenkiller. Sie blockieren gezielt ein pilzförmiges Schneidewerkzeug, die "Neuraminidase", mit der sich Grippeviren den Weg durch die Schleimhäute bahnen. Ohne diese Machete können sich die Eindringlinge nicht ausbreiten, Schleimfäden und Zellfortsätze halten sie fest wie Schlingpflanzen. Das geniale Prinzip scheitert jedoch in der Praxis an der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der die winzigen Angreifer ans Werk gehen: Einen Tag nach Beginn der Symptome sind bereits die gesamten Atemwege befallen: Die Neuraminidase-Hemmer wirken nicht mehr.

Die als Komplikation gefürchtete Lungenentzündung, auf deren Konto die meisten Todesfälle bei Grippe-Epidemien gehen, macht sich jedoch meist erst später bemerkbar. Folgerichtig konnte in den bisherigen Studien bei schweren, fortgeschrittenen Fällen überhaupt keine Wirkung gezeigt werden - zur Rettung von Menschenleben sind die Wunderwaffen schlicht untauglich. Aber auch bei rechtzeitiger Einnahme und harmlosem Verlauf ist die Wirkung eher bescheiden. Nachgewiesen wurde lediglich eine statistische Verkürzung der "durchschnittlichen Zeit bis zur Besserung der Symptome" um einen Tag - so dauert die Grippe mit Arzt eine Woche und ohne Arzt sechs Tage.

Aufgrund dieser enttäuschenden Daten standen die Neuraminidase-Hemmer im Februar dieses Jahres kurz vor dem Aus: Das Expertengremium der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA votierte mit 13 zu 4 Stimmen gegen die Einführung. Obendrein hatte Relenza, das als weißes Pulver inhaliert werden muss, ernste Nebenwirkungen ausgerechnet bei Asthmatikern und chronisch Lungenkranken verursacht, die durch das Grippevirus besonders gefährdet sind. Erst nach heftiger Intervention der Pharma-Lobby entschied sich die FDA - gegen das eigene Gutachtergremium - für die Zulassung, weil immerhin eine "bescheidene Wirkung" nachgewiesen worden sei. Auf den fehlenden Wirksamkeitsnachweis bei den Risikogruppen muss im Beipackzettel allerdings ausdrücklich hingewiesen werden. Dennoch: Die enormen Umsatzerwartungen an die block-buster Relenza und Tamiflu sind dennoch berechtigt. Die normalen Grippe-Fälle sind ohnehin der größere Markt.

Damit sich möglichst viele Gesunde beim ersten Kratzen im Hals die rezeptpflichtige Medizin verschreiben lassen, wird mit dem Massensterben bei großen Epidemien unverfroren Angst verbreitet. Auch zur Prophylaxe sind die Mittel - bei regelmäßiger Einnahme - geeignet. Anfang November hat Glaxo Wellcome hierfür den Zulassungsantrag gestellt. Damit könnte das Prophylaxe-Pülverchen künftig bei Parties gemeinsam inhaliert werden - ein Grippemittel als Lifestyle-Droge. Immerhin dauert das unerquickliche Krankenlager dann einen ganzen Tag kürzer. Aber stand da nicht irgendwo geschrieben, dass man am siebten Tage sowieso zu Hause bleiben soll?Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medi

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