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Gesundheit: Die Sprache der Bazillen

Bakterien bedrohen uns – sie werden resistent gegen Antibiotika. Doch allmählich zeichnen sich neue Mittel gegen die Erreger ab

Es gibt keine Sparte in der pharmazeutischen Forschung, wo Hoffnung und Resignation so eng beieinander liegen, wie bei der Entwicklung neuer Antibiotika: Zuerst werden unzählige Arbeitsstunden und mehrere Hundert Millionen Euro investiert, um eine Substanz durch die klinischen Prüfungsphasen zu bringen, und kaum ist das neue Medikament auf dem Markt, verliert es bereits an therapeutischer Wirksamkeit. Die ersten resistenten Bakterienstämme tauchen auf. Die Lage ist also alles andere als rosig.

Nehmen wir „Staphylococcus aureus“ als Beispiel: ein Allerweltskeim, konnte bis in die 1980er Jahre leicht mit einem halben Dutzend Antibiotika behandelt werden. Zu Beginn der 90er Jahre tauchten die ersten Methicillin-resistenten Stämme auf. Zehn Jahre später war bereits jeder vierte von einem Patienten isolierte Keim gegen dieses Antibiotikum resistent. Und vor kurzem wurden erstmals Staphylokokken entdeckt, die gegen „Vancomycin“ resistent sind, der letzten noch gegen diese Erregergruppe wirksamen Substanz. Kurz, es sieht so aus, als wenn im Wettlauf zwischen Bakterien und Antibiotika die Mikroorganismen den Pharmakologen immer um eine Nasenlänge voraus sind.

Vermutlich liegt das Problem im System selbst. Das Prinzip Antibiotika ist nämlich, die Vermehrung von Bakterien zu verhindern, in dem sie entweder „bakteriostatisch“ oder „bakteriozid“ wirken, also, entweder dass Wachstum unterbinden oder Keime direkt abtöten.

Dies bringt die Mikroorganismen unter einen massiven Druck: Entweder sie passen sich an und überleben – was bedeutet, dass sie resistent werden –, oder sie verschwinden für immer. Die Erfahrung zeigt, dass die Anpassungsfähigkeit krank machender Mikroorganismen nahezu unbegrenzt ist und langfristig jede antibiotische Attacke unterläuft.

Einige Mikrobiologen glauben nun, einen Weg aus diesem Dilemma gefunden zu haben. Ihr Credo: Es kommt nicht darauf an, Bakterien zu töten, sondern vielmehr zu verhindern, dass aus einer Infektion eine schwere Krankheit wird. Krankheit setzt nämlich immer voraus, dass Erreger krank machende Stoffe freisetzen, so genannte Virulenzfaktoren, die sich entweder auf der Zelloberfläche finden oder in das umliegende Gewebe abgegeben werden. Virulenzfaktoren werden allerdings nicht ständig von einer Bakterienpopulation produziert, sondern nur dann, wenn es nötig ist, also beispielsweise, um sich an Körperoberflächen festzusetzen oder sich Eintritt in eine Zelle zu verschaffen. Just hier tritt eine bislang unbekannte Eigenschaft von Mikroorganismen auf den Plan, die als „Quorumgespür“ bezeichnet wird.

Das Quorumgespür wurde entdeckt als man dem Phänomen des nächtlichen Leuchtens bestimmter Fischarten auf den Grund ging. Dabei stellte sich heraus, dass die Biolumineszens durch Bakterien ausgelöst wird, die mit dem Cholera-Erreger verwandt sind und sich im Lichtorgan dieser Fischarten ansammeln. Ist eine ausreichende Menge („ein Quorum“) dieser Bakterien vorhanden, so senden sie sich eine Botschaft zu, die salopp formuliert heißt: „Licht anschalten“.

Die molekularen Abläufe, die das Quorumgespür steuern, sind gut bekannt. Bei bestimmten („gramnegativen“) Bakterien übernimmt eine einfache chemische Verbindung – ein „Laktonring“ – die Steuerung der Kommunikation. Sie wandert aus einer Bakterienzelle und wird von einem anderen Bakterium aufgenommen. Im Zellinneren bindet sich der Ring an ein Eiweiß. Der Lakton-Eiweiß-Komplex heftet sich an eine Stelle des Bakterien-Erbguts. Das führt dazu, dass Genabschnitte aktiviert werden, die die Information für die Bildung neuer Laktonringe kodieren, so dass sich die Produktion immer weiter aufschaukelt.

Warum potenzielle Krankheitserreger sozusagen nur im Chor Virulenzfaktoren synthetisieren, lässt sich gut verstehen. Für eine einzelne Bakterienzelle, und damit für das Überleben der Gruppe, ist es von Vorteil, wenn ein Angriff massiert und in kürzester Zeit erfolgt. Den körpereigenen Abwehrkräften bleibt dann keine Zeit sich zu organisieren, da sie es nicht mit einem einzelnen Angreifer zu tun haben, sondern mit einer ganzen Armada hochgerüsteter Feinde.

Mittlerweile ist bekannt, dass Bakterien eine ganze Palette chemischer Sprachen für ihre Kommunikation nutzen. Allein die verschiedenen „gramnegativen“ Mikroorganismen verfügen über ein Dutzend unterschiedlicher Kommunikatoren. Und „grampositive“ Keime wie die Staphylokokken setzen ähnlich viele unterschiedliche kurzkettige Eiweiße für diese Zwecke ein.

Vor kurzem glaubte man sogar eine universelle Quorumsprache gefunden zu haben, eine Art Mikroorganismen-Esperanto. Allerdings ist noch nicht sicher, dass die Moleküle wirklich von allen wichtigen krankmachenden Keimen als Kommunikationsmittel für ihr Quorumgespür verwendet werden.

Man versteht aber nicht nur diesen „Small-Talk“ krank machender Mikroorganismen immer besser. Wissenschaftler haben auch Strategien entwickelt, wie man auf das Quorumgespür einwirken kann. So hat man herausgefunden, dass die Laktonringe nur in saurem Milieu stabil sind. Schon eine leichte pH-Verschiebung in Richtung Base lässt den Laktonring aufplatzen. So lässt sich zukünftig ein therapeutischer Ansatz denken, bei dem Ärzte bei einer beginnenden Infektion durch eine geeignete Infusionslösung dafür sorgen können, dass der pH-Wert des Bluts basisch wird.

Raffinierter ist der Einsatz von Enzymen, die gezielt Laktonringe spalten und damit unwirksam werden lassen. Kürzlich wurde ein Enzym entdeckt, dass die Ringe des Erregers „Pseudomonas aeruginosa“, der unter anderem für Mukoviszidose-Patienten gefährlich ist, wirksam zerstört.

Erfolgreich scheint auch der Weg zu sein, nach Substanzen zu suchen, die den molekularen Kommunikationsschaltkreis direkt auf der Erbgut-Ebene unterbrechen. Wenn das Gen, über das die Bildung von neuen Laktonring-Molekülen gesteuert wird, durch ein geeignetes Medikament blockiert wird, so die Überlegung, können keine Laktonringe gebildet werden. Die Folge: Das Quorumgespür kann sich nicht entwickeln, die Synthese von Virulenzfaktoren bleibt aus. Bestimmte Strukturen, die den Lakton-Molekülen sehr ähnlich sind, könnten eine solche Anti-Kommunikations-Waffe sein. Gefunden hat man sie bei großen Meeresalgen, die sich damit gegen die Besiedlung durch störende Bakterien schützen.

Die Vorteile der neuen Strategie gegen lebensbedrohliche Infektionskrankheiten liegen auf der Hand. Wirkstoffe, die sich gegen das Quorumgespür richten, bringen Mikroorganismen nicht in akute Existenznot, da ja nur die Bildung von Virulenzfaktoren unterbunden wird, aber nicht das Überleben der ganzen Population bedroht ist. Resistenzen würden sich deshalb wohl kaum entwickeln und schwere Krankheitssymptome wie eine Blutvergiftung, die direkt mit der Freisetzung bakterieller Giftstoffe zusammenhängen, würden sich erst gar nicht einstellen. Und selbst wenn die Bakterienpopulation langsam weiter wächst, hätte das Immunsystem kaum Schwierigkeiten die nun harmlosen Angreifer in Schach zu halten.

Andererseits, solange ein für alle krank machenden Bakterien geltendes Kommunikationssystem nicht bekannt ist, könnten nur sehr spezifisch wirksame Anti-Lakton-Mittel eingesetzt werden. Außerdem muss geklärt werden, um welchen Keim welcher Art von Quorumgespür es sich im Einzelfall handelt. Bis das Quorumgespür zu einer Achillesferse krank machender Mikroorganismen wird und man eine neue Ära in der Infektionsmedizin einläutet, wird also noch Zeit vergehen.

Hermann Feldmeier

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