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Gesundheit: „Die Süddeutschen sind leistungsbereiter“

Die Berliner Schulexpertin Sybille Volkholz meint, dass zum Schulerfolg die richtige Einstellung gehört

SYBILLE VOLKHOLZ

(59) war 1989/90

Schulsenatorin in Berlin, seit 2000 ist sie Koordinatorin für Bildung bei der

Heinrich- Böll-Stiftung.

Foto: Ullstein

Frau Volkholz, die Iglu-Studie für die Grundschule bestätigt das Ergebnis der Pisa-Studie, in der 15-Jährige getestet wurden. Je weiter man nach Norddeutschland kommt, desto schwächer werden die Schüler. Wie erklärt sich die ehemalige Berliner Schulsenatorin dieses Leistungsgefälle?

Ein entscheidender Grund sind auch unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Traditionen, die zu unterschiedlichen Mentalitäten geführt haben. In Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen herrscht in der Bevölkerung eine größere Bereitschaft, sich um das eigene Fortkommen und das gesellschaftliche Umfeld zu kümmern. Hier können durchaus noch historische Hintergründe nachwirken, kleinbäuerliche und handwerkliche Traditionen, zu denen nun einmal die Eigeninitiative gehört. Der Norden dagegen ist sehr stark großindustriell geprägt worden, dort waren die Menschen also immer stärker von außen gesteuert. Erwachsene, die Schule und Lernen nicht in erster Linie mit eigener Leistungsbereitschaft verbinden, werden im Endeffekt weniger zu der Förderung von Kindern beitragen.

Mentalitäten sollen der Grund für schlechte Schulleistungen sein, nicht der Unterricht? Wenn es stimmt, was Sie sagen, müssten doch auch die industriell geprägten Engländer wie die Bremer Schüler schlecht im Lesen abschneiden. Doch sie sind der Test-Sieger bei Iglu.

Meine These ist überhaupt nicht neu. Jeder Schulforscher stößt bei der Frage nach der Motivation auf diese unterschiedlichen Einstellungen, die gleichsam durch einen Weißwurstäquator voneinander getrennt sind. England ist dafür gerade ein gutes Beispiel: Denn hier hat man schon viel früher das Problem erkannt und etwas dagegen unternommen.

Womöglich hat die CDU in der Vergangenheit einfach eine erfolgreichere Schulpolitik gemacht?

So einfach ist das nicht. Aber es stimmt, dass die CDU sich schon lange in der Schule an klaren Leistungsstandards orientiert. Dafür hat sie aber ein massives Gerechtigkeitsproblem. In Bayern und Baden-Württemberg haben die Schüler aus bildungsfernen Schichten die geringsten Chancen auf eine Gymnasialempfehlung. Auch hat die CDU Leistung zwar betont, aber immer nur mit Druck und nicht mit Lernfreude und Förderung verbunden. Das hat die Linke, zu der ich mich auch zähle, geradezu reflexhaft dazu veranlasst, das Soziale einzufordern. Die Bedeutung von klaren Leistungsforderungen für Kinder hat sie aber nicht ausreichend gesehen. Aus diesem 30-jährigen Stellungskrieg müssen wir raus.

Sie müssen zugeben, dass es nicht ohne Leistungsdruck geht?

Beides gehört zusammen: Es muss klare Leistungserwartungen geben, die an positive Unterstützung und soziale Standards gebunden sind. Ich kenne übrigens in Berlin nicht eine einzige Schule, die gut darin ist, soziales Lernen einzuüben, ohne dass nicht auch die Leistungsanforderungen an alle Beteiligten hoch sind. Die Schule muss sich für den Erfolg ihrer Schüler verantwortlich fühlen. Dafür müssen die Lehrkräfte untereinander und mit den Eltern kooperieren. Doch das gehört nicht zum Rollenbild des deutschen Lehrers. Bei uns wird bei Schulversagen die Schuld eher Dritten zugeschoben, zu großen Klassen oder dem Sparzwang.

Haben es da die Lehrer im Süden nicht viel leichter? Ganz abgesehen von den Mentalitäten: Viele Eltern aus leistungsstarken Schichten fliehen vor der Arbeitslosigkeit in den Süden. Deren Kinder fehlen in den Schulen im Norden.

Natürlich herrscht in den aufstrebenden Regionen ein optimistischeres Klima. Doch es ist die Aufgabe der Schule etwa in einem Land wie Brandenburg, sich dem Stimmungstief der Bevölkerung nicht anzuschließen, sondern die Schüler zu stärken, Gegenwind zu entwickeln.

Die Schule kann die Mentalitäten und die sozioökonomischen Bedingungen nicht ändern, was ist also zu tun?

Die Schulen brauchen mehr Autonomie, damit die Akteure stärker ihre Verantwortung wahrnehmen können. Autonomie bedeutet nicht etwa Beliebigkeit, sondern Verbindlichkeit, die Übernahme von Aufgaben und Pflichten. Zwischen Lehrern, Schülern und Eltern sollten Bildungsverträge geschlossen werden, wie es in Berlin und Brandenburg auch schon erprobt wird. Darin muss ein Schüler sagen, welche Ziele er erreichen will. Und die Eltern und die Lehrer legen fest, wie sie helfen wollen, dieses Ziel zu erreichen. Dann kann niemand die Verantwortung einfach an Dritte delegieren.

Das Gespräch führte Anja Kühne.

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