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Gesundheit: Die Welt atmet auf

Sars – die erste globale Epidemie des 21. Jahrhunderts scheint verflogen. Wie ist es dazu gekommen?

Nachdem die Sars-Epidemie nun auch in China abebbt, ist die historische Bedeutung der neuen Seuche jetzt schon offensichtlich. Die atypische Lungenentzündung ist die erste wirklich neue Infektionskrankheit des 21. Jahrhunderts. Und ihr Erreger, ein bislang unbekanntes Virus aus der Familie der Corona-Viren, hat das Rüstzeug, um in die Annalen der Medizingeschichte einzugehen.

Sars ist ein Musterbeispiel dafür, welche Möglichkeiten eine mobile, durch schnelle Verkehrsmittel miteinander vernetzte Welt einem aggressiven Krankheitserreger bietet, der durch ein Medium übertragen wird, das überall vorhanden ist, wo sich Menschen aufhalten: die Atemluft. Binnen weniger Tage wurde das Coronavirus in den Bronchien nichtsahnender Passagiere zuerst von Südchina nach Hongkong, und von dort aus nach Singapur, Hanoi, Toronto, Dublin und über einen „Zwischenstopp“ in New York auch nach Frankfurt am Main verschleppt.

So wie die globale Vernetzung die epidemische Ausbreitung von Sars überhaupt erst möglich gemacht hat, so hat eine internationale Kooperation medizinischer Institutionen dazu beigetragen, die Bekämpfungsmaßnahmen auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen. „Durch eine bislang beispiellose Zusammenarbeit“, so schreibt der Informationsdienst „Promed-mail“ der International Society for Infectious Diseases, sei es gelungen, „Fortschritte beim Verständnis von Sars in einer Geschwindigkeit zu erzielen, die in der Geschichte der Infektionsmedizin ohne Präzedens ist“.

In der Tat, als die Weltgesundheitsorganisation WHO am 15. März erstmals über die Medien vor der neuen Lungenkrankheit warnte, war die Ausgangssituation denkbar schlecht. Bereits mehrere Hundert Menschen waren erkrankt und Dutzende gestorben. Die Ursache der Erkrankung war unbekannt, über die Ausbreitungswege des Erregers gab es nur Mutmaßungen. Gegenmaßnahmen bestanden ausschließlich aus dem antiquierten Repertoire, das die Infektionsmedizin seit eh und je zur Bekämpfung von Seuchen einsetzt: Isolation und Quarantäne.

Innerhalb weniger Tage gelang es der Abteilung für Krankheitsüberwachung und -kontrolle der WHO, 13 hochkarätige Forschungseinrichtungen in elf Ländern zu einem Kompetenznetzwerk zusammenzuschließen. Vier Ziele wurden von der WHO vorgegeben: Identifizierung des Erregers, Entwicklung eines diagnostischen Verfahrens, Aufklärung der Übertragungswege und Überprüfung der Wirksamkeit vorhandener Anti-Infektiva. Die Labors und Behandlungszentren mussten über eine Genehmigung für den hochgefährlichen Erreger und Erfahrung im Umgang mit exotischen Keimen verfügen. „Genauso wichtig war uns, dass die Wissenschaftler bereit waren, auf Prestige und Profit zu verzichten, die bei der Identifizierung eines bis dato unbekannten Erregers winken“, sagt Klaus Stöhr, der Koordinator des Kompetenznetzwerks bei der WHO.

Forschen in Rekordzeit

Die WHO stellte ein virtuelles Labor zur Verfügung, in der die Wissenschaftler elektronenmikroskopische Fotos ablegen, Gensequenzen speichern und Ergebnisse von Experimenten niederlegen konnten. So hatte jede der beteiligten Einrichtungen sofort Zugang zu den Ergebnissen der Konkurrenten. Die Erkenntnisse wurden täglich in Telefonkonferenzen diskutiert und Proben von Patienten und neu entwickelte Reagenzien per Kurier an alle beteiligten Institutionen verteilt. Diese bisher noch nie angewandte Strategie zahlte sich aus. Nicht nur wurde der Verursacher der Lungenkrankheit in Rekordzeit identifiziert, auch eine ganze Batterie diagnostischer Methoden wurde über Nacht vom Reißbrett bis zur Serienreife entwickelt.

Der genetische Code des neuen Coronavirus wurde in Rekordtempo entschlüsselt. Gerade mal sechs Tage benötigte die Gruppe um Michael Smith vom Genome Sciences Centre in Vancouver, um das komplette Erbgut des Erregers zu sequenzieren – und stellte die Abfolge der Erbgutbuchstaben prompt ins Internet.

Als Versuche an Affen im nationalen Influenza-Zentrum der Erasmus-Universität in Rotterdam zeigten, dass das neue Coronavirus Sars auslöst, waren die infektionsmedizinischen Voraussetzungen für den Beweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem neu entdeckten Erreger und einer Krankheit exakt vier Wochen nach Gründung des Kompetenznetzwerks erfüllt. Damit konnte die WHO das „humane Pneumonie-assoziiert Coronavirus“ (so die wissenschaftliche Bezeichnung) in die offizielle Liste krankheitsverursachender Viren aufnehmen.

Mit dem diagnostischen Rüstzeug konnten zwischenzeitlich auch die Epidemiologen der WHO jene Probleme von Sars angehen, die den nationalen Gesundheitsbehörden auf den Nägeln brennen. Da war einmal das Phänomen der „Superspreader“ – also mit dem Coronavirus infizierte Personen, die gleich dutzendweise andere Menschen angesteckt haben. Den Rekord hält der Mann aus der chinesischen Provinz Guangdong, der nach Hongkong reiste und binnen weniger Tage 112 Kontaktpersonen infizierte.

Unter den sekundär Infizierten waren 85 Mitarbeiter des Prince of Wales Hospital, in dem der Patient bis zu seinem Tode betreut wurde. Vermutlich war ein Beatmungsgerät, ein „Jet-Nebulizer“, die Ursache der Ansteckungen: die im Nasen-Rachen-Raum des Patienten vorhandenen Erreger nutzten die von dem Gerät produzierten feinen Wassertröpfchen als „Taxi“ und gelangten so in die Luftzirkulation des Krankenhauses.

Ein weiteres Rätsel war die „Satelliten-Epidemie“ in der Amoy Gardens Residence, einer Anlage mit mehreren Hundert Wohnungen im Hongkonger Stadtteil Kowloon. Hier erkrankten innerhalb von zwei Wochen 268 Personen an Sars. Alle Erkrankten wohnten in dem gleichen Wohnblock, hatten aber – bis auf wenige Ausnahmen – keinen direkten Kontakt zueinander. Eine von der WHO entsandte Expertenkommission entdeckte, dass die Infektion in dem Gebäudekomplex durch einen Sars-Patienten eingeschleppt wurde, der die Toilette seines dort wohnenden Bruders benutzte. Die medizinischen Detektive fanden nämlich Haarrisse in einem Abwasserrohr, durch die mit Fäkalien verunreinigte, winzige Wassertröpfchen in die Luft gelangen konnten. Diese Aerosole haben sich dann vermutlich über Ventilationsschächte in dem 33 Stockwerke hohen Gebäude verteilt.

Großer Erfolg der WHO

Während auf der gesundheitspolitischen Ebene die Zusammenarbeit – insbesondere mit China – anfangs sehr zu wünschen übrig ließ, hat die medizinische Wissenschaft die durch Sars verursachte Herausforderung mit Bravour bestanden.

Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der Weltgesundheitsorganisation, genauer gesagt der Abteilung für Infektionskrankheitenüberwachung und -kontrolle unter Leitung von David Heymann. Der Amerikaner kennt sich mit der Bekämpfung von Infektionskrankheiten bestens aus und besitzt das notwendige Stehvermögen, um in der WHO-Bürokratie komplexe Pläne in die Tat umzusetzen und ehrgeizige Top-Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen unter einen Hut zu bringen.

So wurde Sars zum Testfall für einen seit längerem vorhandenen „Masterplan“, mit dem der Ausbreitung eines neuen Krankheitserregers mit globaler Bedeutung entgegen gesteuert werden sollte. Fazit: Das dem Plan zu Grunde liegende Konzept „Kompetenz, Kooperation und Kommunikation“ unter Leitung der WHO hat sich bewährt.

Hermann Feldmeier

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