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Gesundheit: Diese Sprache ist Stuss

Peter von Becker hält die neuesten Reformvorschläge für kleinlauten Größenwahn: Sie propagieren die Stripp- und Poppkultur

Fast hätte die politische und kulturelle Öffentlichkeit die einst so umkämpfte „Rechtschreibreform“ schon wieder vergessen. Die Mehrzahl der Dichter und Denker schreibt in ihren Büchern ohnehin meist die „alte“ Rechtschreibung und ist allenfalls beim Wechsel vom „ß“ zum „ss“ zu Konzessionen bereit. Im übrigen – eine Wendung, welche die Reformer mit ihrer neuen Substantivierung („im Übrigen“) vom beiläufig Ergänzenden zum ganzen Rest der Welt erheben –, im übrigen haben sich die meisten Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Schüler, Lehrer und Studenten mit der neuen Rechtschreibung arrangiert. Ohne Begeisterung und ohne wirkliche Erleichterung, da Kenner noch immer etwa 3000 SchreibVarianten zählen und keine entscheidende Vereinfachung oder größere Rechtschreibsicherheit feststellen können.

Trotzdem soll heute in Berlin von der „Amtschefkommission Rechtschreibung“ im Auftrag der Kultusministerkonferenz eine Weichenstellung erfolgen. Die von der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz eingesetzte „Zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung“, bestehend aus zwölf selbst der sprachinteressierten Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Professoren, Magistern und Didaktikern, hatte vorgeschlagen, die Kultusminister der Länder sollten ihr künftig die Oberhoheit über die Regelung der deutschen Rechtschreibung übertragen. Sache der Kultusminister wäre es dann nur noch gewesen, sich alle fünf Jahre berichten zu lassen. Auch wollte die Kommission zum Beispiel für die Schulen verbindliche Regelungen treffen – nur für den oben erwähnten Fall, etwa der Einführung einer generellen Kleinschreibung, also einer Revolution statt Evolution, hätten die Kultusminister noch eingreifen dürfen.

Sprachmächtige? Sprachzwerge!

Ein solcher Ermächtigungsbeschluss zugunsten einer Gruppe von politisch niemandem Verantwortlichen wird bei der heutigen Sitzung der Kultusministerkonferenz nun offenbar doch nicht gefällt. Nicht zuletzt hatte es Proteste von Autoren wie Reiner Kunze und Monika Maron gegeben, die über die Kritik an der „Reglementierungswut“ hinaus auch die absolutistische „Entscheidungsherrlichkeit“ angriffen. Hans Magnus Enzensberger sah da schon eine Arkanpolitik „wie zu Metternichs Zeiten“. Allerdings fehlen die Metterniche. Wer in den jüngsten, über 60-seitigen Bericht der Kommission blickt, der den Kultusministern als nicht-öffentliches Papier Ende 2003 zuging und jetzt noch einmal in einer Kurzfassung bekräftigt wurde, der sieht einmal mehr: Über unsere Schriftform entscheiden nicht Sprachmächtige, sondern Sprachzwerge, in bürokratisch-funktionärshaftem Deutsch. Ihre Überlegungen sind zwar durchweg vom Wunsch nach Systematisierung geleitet, doch die Widersprüche stecken in fast jedem Detail.

So ist nacheinander von „Paragrafen“, „Orthografie“ und „Graphematik“ die Rede. Alle drei Fremdworte stammen aus dem Altgriechischen, warum aber mal mit „ph“, mal mit „f“ und bei der „Orthografie“ gar im selben Wort mit dem deutschen „f“ und dem originalgriechischen „th“ operiert wird (so würde aus dem gottesweisen Theosophen entsprechend ein „Theosof“), das weiß der Kuckuck. Ohne je den eigenen Stil zu reflektieren, schreibt die Kommission, dass es zum Teil noch Zugeständnisse „an gespeicherte Sprachschemata“ gebe, weshalb das „Telefon“ neben der „Phonologie“ existiere. Gleichzeitig aber berühmt sich die Kommission der „gezielten Variantenführung“. Uff.

Leicht irre wirken auch die bierernsten Erörterungen zur Schreibweise gängiger Anglizismen. Weil die Reformer den „Tipp“ und den „Stopp“ mit Doppel-P eingeführt haben (womit man leben kann), meinen sie auch „Popp“ oder „Stripp“ könnten „einen Schritt in Richtung Systematisierung bedeuten“. Wegen der „hohen Gebrauchsfrequenz“ von Worten wie Pop und Strip würde die „Schreibung mit Doppelkonsonantenbuchstaben“ „in der Wissenschaft zurzeit konträr diskutiert“. Mit Verlaub: Welche „Wissenschaft“ diskutiert bitte „Popp“, was eher nach „Poppen“ klingt und uns dann auch „poppulär“ bescheren würde? Oder einen echt deutschen „Strippties“?

Kommission? Auflösen!

Nie fragen diese Rechtschreibreformer nach dem „Sinn“ und umgangsprachlicher (oder poetischer, sprachphilosophischer) „Bedeutung“. Im Jargon der „Zielführer“ gibt es allenfalls „grammatische“ und „semantische“ Konflikte. (Beim Semantischen wäre eben nach Sinn und Bedeutung eines Worts und einer Schreibweise zu fragen.) Obwohl der Bericht nun seitenlang zähneknirschende Konzessionen an die Kritiker der Rechtschreibreform macht und eine Unzahl von varianten Schreibweisen zulässt, was für neue Auflagen des Duden sorgt, wird die eigene Anmaßung (und Niederlage) nie eingestanden. Sondern pseudowissenschaftlich verbrämt.

Statt zu sagen, dass beispielsweise die substantivierte Getrenntschreibung „einem Leid tun“ das eigene Mitleid in das gegenteilige einem (anderen) „Leid (an)tun“ verwandelt, also den Sinn verkehrt, heißt die Begründung dafür, nun wieder das alte „leidtun“ ebenso wie „kundtun“ und „wehtun“ zuzulassen: „Der Bestandteil Leid bzw. leid in der Verbindung mit dem Wort tun ist hinsichtlich der Wortart grammatisch weder synchron noch diachron zu bestimmen.“

Ich frage mich, welcher Kultusminister oder „Amtschef“ diesen Sprachstuss versteht. Es ist ja schön, dass die Reformfunktionäre begriffen haben, dass „allein stehend“ und „alleinstehend“ ebenso wie tausend andere bisher abgewürgte „Varianten“ nicht nur orthographisch, sondern inhaltlich einen Unterschied machen. Also rudert die Reform ein Stück zurück. Dabei sollte es erstmal bleiben – und Lehrer könnten bei Texten ihrer Schüler statt nach dem Fetisch „Regelwerk“ (so heißt die Bibel der Reformer) zuerst nach dem Sinn oder Unsinn von Worten und Satzteilen fragen.

Diese „Zwischenstaatliche Kommission“ aber, die neben dem Versuch, mehr Macht zu erlangen, gerade auch weitere öffentliche Stellen beantragt, sie sollte sich besser und billiger auflösen – und tatsächlich erst nach fünf Jahren, neu und beispielsweise auch mit Mitgliedern der Akademie für Sprache und Dichtung besetzt, zusammentreten. Inzwischen wäre dann der Wechsel von Regel und Deregulierung dem freien Spiel lebendiger Sprachkräfte überlassen. So folgen wir auch hier dem Fortschritt: zurück in die Zukunft.

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