zum Hauptinhalt

Gesundheit: Doch nicht "ganz der Papa"

Überall auf der Welt zeigen frisch gebackene Eltern die Neigung, auf die Ähnlichkeit des Neugeborenen mit dem Herrn Papa hinzuweisen. Erst kürzlich gingen sogar wissenschaftliche Befunde durch die Presse, wonach Babys tatsächlich mehr Gesichtszüge mit dem Vater als mit der Mutter gemeinsam haben.

Überall auf der Welt zeigen frisch gebackene Eltern die Neigung, auf die Ähnlichkeit des Neugeborenen mit dem Herrn Papa hinzuweisen. Erst kürzlich gingen sogar wissenschaftliche Befunde durch die Presse, wonach Babys tatsächlich mehr Gesichtszüge mit dem Vater als mit der Mutter gemeinsam haben. Doch neue und fundierte Analysen belegen nun einhellig, dass diese vermeintliche Familienähnlichkeit in den meisten Fällen auf Wunschdenken basiert: In Wirklichkeit trachten Säuglinge danach, ihre reale Abstammung durch ein anonymes Äußeres zu verwischen.

Nach dem zentralen Dogma der Evolutionsbiologie haben in der Stammesgeschichte nur solche Verhaltensweisen Bestand, die ihren Trägern bei der Vermehrung der eigenen Erbfaktoren helfen. Das Investment in die eigenen Nachkommen gehört eindeutig zu diesen Strategien, da es direkt die Weitergabe der eigenen Gene unterstützt. Aber während Mütter sich immer völlig sicher sein können, dass ihr Kind ihr eigenes Fleisch und Blut ist, bleibt bei den Vätern dagegen immer zumindest ein Hauch von Zweifel.

Dass diese "Vaterschaftsunsicherheit" berechtigt ist, deckten kürzlich britische Forscher auf, als sie in verschiedenen Wohngegenden genetische Fingerabdrücke von Eltern und Kindern einholten. Der Anteil der "Kuckuckskinder", die nicht vom vermeintlichen Vater stammten, betrug je nach Bezirk bis zu 30 Prozent, mit einem Mittelwert von neun Prozent. Der Pflegeaufwand für ein Kind, das nicht die eigenen Gene trägt, wäre evolutionär gesehen eine Fehlinvestition. Nach diesem knallharten Kalkül sollten Väter um so mehr Pflegeaufwand betreiben, um so größer ihre Vaterschaftssicherheit ist.

In der Tierwelt vermeiden Väter das Investment in "untergeschobene" Kinder, die mit Vernachlässigung oder gar Kindstötung (Infantizid) rechnen müssen. Eine der einfachsten Methoden, um die Vaterschaftssicherheit zu gewährleisten, würde darin bestehen, dem Kind ein körperliches Erkennungszeichen zu vererben.

Der populäre Glaube, dass Neugeborene im Gesicht "ganz der Vater" sind, wurde vor einiger Zeit durch eine Veröffentlichung im renommierten Fachblatt "Nature" gestärkt. Neutrale Juroren konnten die Fotos einjähriger Kleinkinder besser dem Foto des Vaters als dem der Mutter zuordnen. Bei mehreren sorgfältigen Folgeuntersuchungen, zum Teil mit viel größeren Stichproben, konnte dies aber nicht bestätigt werden.

Aber nicht nur diese Negativbefunde, die in der Öffentlichkeit unbeachtet blieben, sprechen nach Ansicht der Psychologin Paola Bressan von der Universität Padua gegen die Ähnlichkeitsstrategie. Alleine aus theoretischen Erwägungen geht hervor, dass die Beteiligten in dem genetischen Familiendrama Motive und Interessen haben, die nicht in einer schlichten Ähnlichkeit zwischen Vater und Kind aufgehen.

Kein Interesse an Ähnlichkeit

Väter sind zwar bestrebt, ihren biologischen Nachwuchs zu erkennen, damit sie ihre Aufwendungen an die "richtige Adresse" richten können. In einer Welt, in der ein gewisses Maß an Untreue besteht, haben Männer aber auch ein Interesse daran, dass ein eventuell außerehelich gezeugtes Kind keine Ähnlichkeit mit ihnen selbst aufweist. Sonst könnte es sich schließlich die Zuwendung des gehörnten Vaters verscherzen.

Darüber hinaus ist das kindliche Aussehen aber auch ein Signalsystem, dessen Ausprägung nicht alleine von den Interessen des Vaters beeinflusst wird. Auch das Kind selbst hat eine Interessenlage, die darin besteht, möglichst viel Pflegeaufwand einzustreichen, selbst wenn der Partner der Mutter nicht der biologische Vater ist. Das genetische Interesse der Mutter wirkt ebenfalls bis zu einem gewissen Grad der Ähnlichkeit des Kindes mit dem Vater entgegen. Eine Frau fährt im Zweifelsfall am besten, wenn sie ihrem Partner erfolgreich ein eventuelles Kuckuckskind unterschiebt.

Bressan hat nun diese verschiedenen genetischen Interessen gewichtet und in einem mathematischen Modell formalisiert, das die evolutionäre Realität widerspiegeln soll.

Brisantes Ergebnis der Simulation: Alle Beteiligten in der "Dreiecksbeziehung" fahren genetisch am besten, wenn keine körperliche Ähnlichkeit zwischen Baby und Vater auftritt. Für das Überleben des Babys ist es rechnerisch am besten, "anonym" zu bleiben. Möglicherweise haben Babys nur deshalb übereinstimmende Züge wie blaue Augen und blonde Haare, weil diese Universalausstattung die Vaterschaft unkenntlich macht. Aber auch bei den Vätern selbst machen sich die Vor- und Nachteile einer eventuellen Familienähnlichkeit mit dem Nachwuchs gegenseitig wett.

Die beste Strategie besteht für alle Parteien darin, die biologische Herkunft unkenntlich zu machen, weil der potenzielle Entzug des väterlichen Investments das kindliche Überleben bedroht. Diese Kompromisslösung bedeutet allerdings, dass dem Baby ein Teil des väterlichen Engagements entgeht, das nur bei hundertprozentiger Vaterschaftssicherheit erreichbar wäre.

Rolf Degen

Zur Startseite