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Gesundheit: Doktoren als Lakaien

Von Juliane von Mittelstaedt Wenn die Kamera auf sie schwenkt, drehen sie ihr Gesicht weg. Und mit n genannt werden - bitte nicht, wenn mein Chef das liest!

Von Juliane von Mittelstaedt

Wenn die Kamera auf sie schwenkt, drehen sie ihr Gesicht weg. Und mit n genannt werden - bitte nicht, wenn mein Chef das liest! - wollen sie auch nicht. Dreißig Nachwuchsärzte in Weiß stehen an der Kreuzung Friedrichstraße und protestieren gegen die „unerträgliche Ausbeutungssituation" (Teilnehmer) in den Berliner Krankenhäusern. „Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren, dass sich die jungen Ärzte wehren", freut sich der Berliner Ärztekammerpräsident Günther Jonitz.

Totale Überforderung

Gerade junge Ärzte im Praktikum (AiP) müssen rackern, was das Zeug hält. Überstunden, nächtliche Bereitschaftsdienste, totale Überforderung, null Privatleben. Das Anfängersalär, das nach BAT berechnet wird, liegt bei rund 1100 Euro. „Sklavenarbeit" nennen viele die 18-monatige Klinikarbeit an deren Ende die Vollapprobation steht. Aber nur die wenigsten begehren auf. Schließlich ist Widerspruch gegen die Arbeitsbedingungen meist zwecklos und karrierehinderlich: Jeder zweite junge Nachwuchsarzt in Berlin hängt am Tropf eines befristeten Vertrages und bangt um seine spätere Übernahme als Assistenzarzt.

Revolutionär ist deshalb die Gründung des „Arbeitskreises Junge Ärzte", einem Sprössling der Berliner Ärztekammer, vor zwei Jahren. Hier artikulieren junge Nachwuchsärzte ihren Frust und Unmut über die Klinikfron. Der „Arbeitskreis Junge Ärzte" macht sich unbeliebt: Seine jüngst veröffentlichte Studie ergab, dass nahezu 90 Prozent aller jungen Ärzte in Berlin gegen das Tarif- und Arbeitsrecht verstoßen, schließlich arbeiten die meisten von ihnen über 44 Stunden wöchentlich und leisten zusätzlich monatlich sechs bis acht Bereitschaftsdienste.

Gedeckt ist der Schichtmarathon durch einen Griff in die Trickkiste des Arbeitsrechtes: Nach einem gewöhnlichen Arbeitstag dürfen die Ärzte noch Bereitschaftsdienst schieben, wenn sie wenigstens die Hälfte der Zeit ruhen. Doch von Ruhen kann keine Rede sein. Eine halbe Stunde Schlaf am Stück ist Luxus. Während es in der AiP-Richtlinie heißt „38,5 Stunden regelmäßiger Arbeitszeit", liegt die reale Arbeitszeit (ohne Nachtdienst!) zwischen 60 und 80 Stunden pro Woche. Aus dem Mund des Jungarztes Thomas Lerchner* klingt das so: Alle vier Wochen haut er sich bei Aldi zwei Einkaufwagen mit Tiefkühlgerichten und Apfelsaft voll, damit es bis zum nächsten freien Tag in einem Monat reicht. Das Leben pendelt zwischen Schlafen und Arbeiten. „Der junge Doktor wird behandelt wie der letzte Lakai“, sagt Günther Jonitz.

Dabei liegt bereits seit dem Jahr 2000 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor, welches den nächtlichen Bereitschaftsdienst im Krankenhaus als Arbeitszeit wertet. Seitdem haben deutsche Arbeitsgerichte in Gotha, Kiel und Herne diese Auffassung bestätigt, nur das Bundesarbeitsministerium erkennt bis dato keinen verbindlichen Veränderungszwang. 27 000 neue Stellen müssten geschaffen werden, so Hans-Jörg Freese, Sprecher der Bundesärztekammer. Doch es geht nicht in erster Linie um die Umsetzung des EuGH-Urteils, wie Tanja Gerhardus vom „Arbeitskreis Junge Ärzte" betont, sondern auch um die Kontrolle des geltenden Rechts durch die Gewerbeaufsichtsämter. „Aber angesichts der Tatsache, dass gerade eine Halbtagskraft in Berlin 63 Kliniken überprüfen soll, klappt dies mit Wissen von Politik und Krankenhausträgern nicht", so Gerhardus. Motto der Verantwortlichen: Es geht doch auch so. Aus so manchem Heiler wird unterdessen ein Patient, der an Depressionen, Alkoholismus und psychische Störungen leidet.

Sinkt also die Attraktivität des Arztberufes? Sie sei „miserabel", meint Jonitz. Bernhard Scheer von der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) kann dies nicht feststellen: Im zehnjährigen Vergleich sei die Studienbewerberzahl fast konstant um 20 000 herum gependelt. „Medizin ist noch immer ein begehrter Studiengang", schlussfolgert Scheer. Aber viele Studenten sehen sich rechtzeitig nach Alternativen um. Das Studienfach ist also weiterhin gefragt, der Beruf hingegen nicht.

Während sich vor rund zehn Jahren noch nahezu alle 12 000 jährlichen Studienanfänger den Kittel als Arzt im Praktikum übergestülpt haben, sind es heute nur noch knapp über die Hälfte. Die Massenflucht vom deutschen Krankenbett grassiert wie eine bösartige Influenza, ein Viertel der jährlich 9000 Absolventen hat sich in den letzten fünf Jahren angesteckt. In den neuen Bundesländern ging die Zahl der Ärzte im Praktikum allein im vergangenen Jahr sogar um zweistellige Raten zurück, wie eine Studie der Bundesärztekammer ergab.

Immerhin: Die heutigen Studenten sind die letzte AiP-Generation. Am 26. April hat der Bundesrat endlich die Reform der Approbationsordnung beschlossen, über deren Vorbereitung sich drei Gesundheitsminister verschlissen haben. Doch bislang bleibt noch alles beim Alten, und ob sich allzu viel ändern wird, steht noch in den Sternen: Die jungen Ärzte stimmen mit den Füßen ab - sie laufen weg, ins Ausland oder in die Pharma-Etagen. Es lockt das britische oder skandinavische Paradies mit besseren Arbeitszeiten und Fortbildungschancen. Immer mehr Mediziner streben in die Pharmaforschung, Medizininformatik, Bio- und Gentechnik und Gesundheitsmanagement, um dem Klinikalltag zu entkommen. Allerdings sind, so Jonitz, „die alternativen Berufsfelder nicht nur attraktiver, weil die Gehälter höher sind und mehr Zeit für die Familie bleibt, sondern vor allem, weil die Ärzte sich willkommen fühlen." Ein Beispiel ist Simone Schumann*, die fünf Jahre auf einer chirurgischen Station arbeitete, 60 Stunden pro Woche. Danach hatte sie „die Faxen dicke vom Krankenhaus". Neben der enormen Arbeitsbelastung kritisiert sie die Hierarchien (“So etwas gibt es sonst nur noch beim Militär").

Die noch vor fünf Jahren prophezeite Ärzteschwemme hat sich in einen öffentlich beklagten Ärztemangel umgekehrt. Allerdings ist der Mangel ungleich verteilt. Während in Berlin Stellen für junge Ärzte im Praktikum noch immer rar sind, suchen die brandenburgischen Kliniken händeringend nach Nachwuchs, sogar Oberarztstellen können oft nicht besetzt werden. Und dass, obwohl die Zahl der Mediziner ständig zunimmt, im vergangenen Jahr waren es bundesweit 375 000 - ein Rekord.

Der Ruf nach der Green Card

Vor der Gefahr des Versorgungsmangels warnen jetzt auch jene, die noch Mitte der neunziger Jahre für eine radikale Studienplatzkürzung fochten. Schon wird der Ruf nach einer „Green Card" für Ärzte laut, dabei ist die Zahl der Mediziner pro Patientenkopf noch immer eine der höchsten im europäischen Vergleich. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe klagt, „eine ruinöse Kostengesetzgebung, unmenschliche Arbeitsbedingungen und der diffamierende Umgang mit dem Arztberuf haben die Motivation unter den Jungmedizinern auf den Nullpunkt sinken lassen". Jeder dritte Berliner Nachwuchsarzt würde unter den derzeitigen Umständen nicht noch einmal den Arztberuf ergreifen - auch das hat die Studie des „Arbeitskreises Junger Ärzte" aufgedeckt. Dabei sind ihre Forderungen bescheiden. Auf einem Demo-Plakat war zu lesen: „Für die 55-Stunden-Woche".

* Namen von der Redaktion geändert

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