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DR. FEGELERS Sorgenkinder: Niemand fängt sie auf

Von Dr. Ulrich Fegeler .

Zwei Patienten begleiten mich fast mein ganzes Berufsleben. Beide leiden unter schwersten chronischen Krankheiten. Der eine ist Mitte 20, hat eine starke Skoliose, also eine verbogene Wirbelsäule, ist blind und kann weder Arme noch Beine bewegen. Der Zweite ist Ende 20 und hat eine schwere muskulaturabbauende Erkrankung. Er ist vollständig auf äußere Hilfe angewiesen.

Obwohl beide längst volljährig und damit streng genommen aus meinem altersgebundenen Behandlungsspektrum herausgewachsen sind – und um sich herum einen komplexen Hilfeapparat gruppiert haben, bei dem nach wie vor die Eltern die größte Rolle spielen –, begleite ich sie als Arzt auch weiterhin. Das tue ich gerne. Wir haben über die Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Doch die Beispiele zeigen, dass es oft nicht gelingt, chronisch kranke Jugendliche in eine erwachsenenmedizinische Betreuung zu übergeben.

Paradoxerweise scheitert die sogenannte palliativmedizinische Betreuung durch spezifisch ausgebildete Erwachsenenmediziner zum Beispiel daran, dass die jungen Patienten sicher noch einige Lebensjahre vor sich haben. Es ist ja auch all unser Sinnen und Trachten, dies zu ermöglichen. Die Palliativmedizin richtet sich jedoch an Kranke, denen nur noch eine kurze, überschaubare Lebenszeit prognostiziert wird, und kümmert sich im Wesentlichen um Schmerz- und Leidenslinderung.

Wir brauchen für die sogenannte Transitionsphase – also den Übergang in die Erwachsenenmedizin – ein ausgebautes und für die Patienten erreichbares Versorgungsnetz. Mindestens zehn Prozent aller Kinder eines Geburtsjahrgangs gelten als chronisch krank, sie leiden häufig unter lebensbeeinträchtigenden Erkrankungen wie Epilepsien, geistigen Behinderungen oder Stoffwechselerkrankungen. Studien haben gezeigt, dass knapp die Hälfte der Betroffenen nicht im System der Erwachsenenmedizin ankommt.

Die mangelhafte Versorgung kann zu schweren Gesundheitsschädigungen und langen Krankenhausaufenthalten führen. Dabei brauchen chronisch kranke Menschen in jedem Alter genau das: Stabilität durch eine sichere Versorgung. Und spätestens, wenn ich in einigen Jahren meine Praxis aufgebe, müssen auch meine beiden Patienten einen neuen Ansprechpartner finden, der sich mit ihren komplexen Krankheitsbildern auseinandersetzt.

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