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Gesundheit: Druck unter dem Deckel

Vor 100 Jahren kam es zum letzten großen Vesuv-Ausbruch. Heute wären drei Millionen Menschen in Gefahr

Mit einer durchgerüttelten Mineralwasserflasche kann man einen Vulkan wie den Vesuv in Italien vielleicht am besten vergleichen, meint Thomas Walter vom Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Schraubt man den Deckel ab, wird der Druck frei. Große Mengen des gelösten Kohlendioxids blubbern schlagartig aus der Flüssigkeit, reißen Wasser mit sich und kommen als Gas-Wasser-Gemisch dem unvorsichtigen Öffner der Flasche entgegengeschossen.

Nicht viel anders reagierte der Vesuv vor genau 100 Jahren, als Erdbewegungen den Druck weg nahmen. Nur schleuderte der Vulkan zwischen dem 4. und dem 8. April 1906 kein Wasser-Kohlendioxid-Gemisch aus seinem Krater, sondern eine Mixtur aus glutflüssiger Lava und Gasen, Unmengen von Asche und tonnenschwere Steintrümmer. Allein in der Kirche von San Giuseppe Vesuviano starben mehr als 100 Menschen, die dort Schutz gesucht hatten, als das Dach unter heißer Asche einstürzte.

Der Vesuv hatte wieder einmal bewiesen, dass er einer der gefährlichsten Vulkane der Welt ist. Schon am 24. August des Jahres 79 nach Christus kamen schätzungsweise 2500 Menschen ums Leben, als ein Ausbruch erst glühende Asche und später Glutlawinen über die Siedlungen wie Pompeji um den Vulkan jagte. In einem Umkreis von zwölf Kilometern dürfte kaum jemand diesen Ausbruch überlebt haben. Mindestens elf heftige Eruptionen folgten zwischen 202 und 1139, am 16. Dezember 1631 forderte ein Ausbruch rund 4000 Todesopfer.

Immer wieder aber blieb der Vesuv völlig ruhig. Mal waren es 100 Jahre, einmal sogar 140 Jahre. 1875 begann wieder eine Phase der Aktivität, die 1906 mit einer heftigen Eruption endete. Die folgende Ruhe war trügerisch, schon sieben Jahre später rührte der Vesuv sich erneut. Bis 1944 war er aktiv, seither herrscht Ruhe. Wann die nächste Eruptionsphase beginnt, wagt zurzeit niemand zu schätzen. Aber sie wird kommen.

Um die Gefahr einordnen zu können, haben Forscher einen Vulkan-Explosions-Index (VEI) entwickelt, den sie aus der Menge des ausgeschleuderten Materials und der Höhe ausrechnen, bis in die es katapultiert wird. VEI gleich null heißt nicht explosiv, die Lava fließt friedlich, Menschen können leicht ausweichen. Den höchsten Wert acht dagegen haben die Vulkanforscher bisher nur dem Ausbruch des Yellowstone-Vulkans gegeben, der vor rund 2,1 Millionen Jahren explodierte. Mit etwa 2500 Kubikkilometern wurde damals so viel Lava ausgeschleudert, wie in einen Würfel mit 13,5 Kilometern Kantenlänge passt, dessen Oberfläche bis in Höhen reicht, die ein Verkehrsflugzeug gerade noch erreichen kann. Die ausgeschleuderte Asche und Vulkangase stürzten die Erde in einen jahrelangen Winter.

Auch der Vesuv gehört in die Reihe der recht explosiven Vulkane. Der Ausbruch 79 nach Christus und die Eruption 1631 waren jeweils Jahrhundertereignisse mit einem VEI von fünf. Und auch der vor 100 Jahren zu Ende gegangene Ausbruch brachte es auf VEI vier.

Erdbeben können solche Eruptionen auslösen, wenn sie Spannungen in benachbarte Gebiete übertragen. Dadurch könnte sich eine Magmakammer schlagartig ausdehnen, vermutet Thomas Walter. Wie beim Aufschrauben einer Sprudelflasche gast dann im glutflüssigen Gestein gelöstes Kohlendioxid oder Wasserdampf aus und reißt die glühende Flüssigkeit mit sich, bis sie in der Erdkruste stecken bleibt oder sich in einer gewaltigen Explosion den Weg ins Freie bahnt.

Eine Magmakammer kann sich auch dehnen, wenn eine Flanke des Vulkans wie 1980 beim Mount St. Helens in den USA plötzlich abrutscht. Die Bergflanke entspricht dabei dem Deckel auf der Mineralwasserflasche. Der aufgestaute Druck entweicht und neues Gas perlt aus der Flüssigkeit, die plötzlich in einer gewaltigen Explosion aus der Flasche oder dem Vulkankrater schießt. Auch die Westflanke des Vesuv gleitet jedes Jahr ein paar Millimeter nach Westen ab, berichtet Thomas Walter.

Steigt der Druck in der Magmakammer, wölbt sich zum Beispiel eine Region des Berges nach außen. Aus diesem Grund überwachen Forscher den Vesuv genau. Kündigt eine solche Beobachtung eine Veränderung des Druckes an, bleibt noch genügend Zeit, die Gegend zu evakuieren. Genau das bereiten die Behörden vor, auch wenn zurzeit wenig auf einen neuen Ausbruch hindeutet. Denn ein Unterschied macht die explosiven Ausbrüche des Vesuv besonders gefährlich: Während sich viele heftige Vulkanausbrüche in jüngerer Vergangenheit in relativ dünn besiedelten Gebieten ereigneten, gefährdet ein neuer Ausbruch des Vesuvs drei Millionen Menschen.

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