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Gesundheit: Ein Edgar Wallace der Antike

Troja-Ausgräber Manfred Korfmann: Was in Homers Ilias über die Stadt berichtet wird, ist teilweise präzise formuliert – teilweise bleibt es nebulös

Von Wolfgang Lehmann

Einen Baedeker für Troja hat Homer ebensowenig geschrieben wie Agatha Christie oder Edgar Wallace mit ihren Kriminalromanen Reiseführer für den Orient oder London verfaßt haben: Nil, Big Ben oder Nebel sind gegeben, das andere ist Phantasie. So ist es bei dem griechischen Epiker Homer - oder wer immer hinter dem n sich verbirgt oder wie viele Schriftsteller sich dahinter verbergen: Er schrieb seine „Ilias", weniger ein Geschichts- als ein Geschichtenbuch, das 51 Tage im neunten Jahr des zehnjährigen Trojanischen Krieges erzählt, „hinlänglich präzise in den topographischen Angaben, manchmal auch nebulös formuliert", sagt Manfred Korfmann, Troja-Ausgräber seit 1988.

Streit unter Archäologen

Korfmann ist Ziel eines seit Monaten währenden Wissenschaftlerstreits: Aus seinen archäologischen Funden folgert er, dass Troja, das Ilion Homers, mit dem in bronzezeitlichen hethitischen Schriftquellen des 2. Jahrtausends vor Christus genannten Wilusa/(W)ilios identisch ist, einem Stadtstaat an der Westküste Kleinasiens. Dessen von Korfmann angenommene Bedeutung als politische Macht und als Handelszentrum wird von einigen Althistorikern, Altphilologen und Klassischen Archäologen bestritten. Daraus hat sich eine aktuelle politische Debatte über die kulturellen Wurzeln Europas entzündet (der Tagesspiegel berichtete).

In einem Vortrag im Winckelmann-Institut der Humboldt-Universität zeigte der Tübinger Prähistoriker und Archäologe vor kurzem Örtlichkeiten, die im Epos beschrieben werden und in denen Homer seine Götter- und Heldengeschichten spielen lässt: Die Besik-Bucht etwa, auf deren flachen Strand die Griechen ihre kiellosen Schiffe ziehen, das skäische Tor (im Südwesten), von wo aus die schöne Helena ihrem Schwiegervater König Priamos die Anführer der Griechen zeigt, deren „blitzende Augen" vom Turm des Tores aus sie „erschaut" (3. Gesang). So nahe konnten Homers „schmuckgeschienten Achaier" der Burg kommen, weil Stadt- und Burgmauer an dieser Stelle zusammenstoßen. Homers Zeitgenossen und spätere Besucher konnten den Ort dieses fiktiven Blickkontakts erkennen wie die heutigen Besucher auch. Homer muss Landschaft und Ruinen aus eigener Anschauung oder durch Informanten gekannt haben, vermutet Korfmann.

Genauso konnten frühere Besucher die nicht so gut befestigte Burgmauer im Westen wiedererkennen, vor deren Schwäche Andromache ihren Gatten Hektor warnt (“Stelle die Truppen beim Feigenbaum auf, wo am leichtesten / ist ersteigbar die Stadt und berennbar die Mauer", Ilias, 6. Gesang. Vers 444/445), „der einzige logische Ort für einen Angriff" laut Korfmann. „Die Kulisse musste stimmen", sagt er, damit Besucher des auf dem Ruinenberg immer existenten Heiligtums, die Stätten des - fiktiven - Trojanischen Krieges, der durch mündliche Überlieferung bekannt war, und die Topographie des Untergangs wiedererkennen konnten. Zumindest musste der Autor damit rechnen und um Genauigkeit bemüht sein.

Den Feigenbaum gibt es natürlich nicht mehr, aber die „berennbare" Mauer ist zu erkennen. Sie wurde in der Phase Troja VI (1700 - 1300 vor Christus) gebaut und ist an den kleineren Steinen zu erkennen. Während Troja VI spät ( etwa 1300 vor Christus) wurden die Mauern verstärkt und aus größeren Steinen neu errichtet. Man schloss auch das bisherige Haupttor durch Vermauerung. Die Mauer zu verstärken, „wo die Stadt am leichtesten ersteigbar ist" - dazu fehlte offenbar die Zeit: Angreifende Feinde waren wahrscheinlich schneller.

Während die Mauern verstärkt wurden, habe sich die Stadt unter der Burg nach Süden ausgedehnt, darauf deuteten Verteidigungsgräben hin, von denen der eine um 1300 vor Christus, der zweite weiter südlich um1200 vor Christus zugeschüttet worden sei, weil das Stadtgebiet immer wieder vergrößert werden musste. 270 000 Quadratmeter groß sei es gewesen, im Vergleich zu den damaligen Großstädten wie der hethitischen Hauptstadt Hattusa (Bogazköy) oder Uruk im heutigen Irak ein kleiner Ort, aber mächtig genug, dass das Hethiterreich 1280 v. Chr. einen Beistandspakt mit dem trojanischen Fürsten Alaxandu von Wilusa abschloss. Fünf Jahre später, 1275 v. Chr., unterstützt der kleine Bundesgenosse mit seinen Streitwagen in der Schlacht von Kadesh die Hethiter im Kampf gegen Ägypten.

Dann kam das Ende des anatolischen Stadtstaates Troja. Burg und Stadt wurden durch ein Erdbeben stark beschädigt. Aus den archäologischen Funden folgert Korfmann, dass sich die Bevölkerung verhielt, als sei sie belagert: In die zerstörten Paläste wurden kleinere Häuser gebaut, Vorratskammern wurden auf kleinstem Raum angelegt. Die Stadt muss zeitweise eng geworden sein, vielleicht waren Menschen aus der Umgebung vor Feinden hinter die schützenden Mauern geflüchtet.

Troja war zur Zeit Homers eine Ruine

Möglicherweise, so Korfmann, wurde danach ein Krieg verloren und die Stadt, beschädigt durch das Erdbeben, von den Feinden zerstört. Darauf deuten nicht oder schlecht bestattete Leichen, unbenutzte steinerne Wurfgeschosse, Brandspuren hin. Korfmann datiert die Katastrophe auf die Zeit um 1200 vor Christus, die Entstehungszeit von Homers Epos nimmt man zwischen 750 und 700 vor Christus an, dazwischen lag in Troja eine längere Phase (etwa 950 - 750/700 v. Chr.), in der keine Bautätigkeiten nachgewiesen werden können.

Troia sei zur Zeit Homers eine Ruine gewesen, in der es immer heilige Stätten gab. Die Ausgrabungen der letzten 14 Jahre haben ergeben, dass die Stadt 13mal größer war, als der erste Troja-Forscher Heinrich Schliemann und seine Nachfolger Dörpfeld und Blegen angenommern haben. „Leute, die sich vor Jahrzehnten eine Meinung gebildet haben", forderte Korfmann auf, die Forschungsergebnisse der Hethitologie und Archäologie zu berücksichtigen, die den Blick von Osten her auf eine anatolische Stadt lenken, deren „gewaltige Architektur im 9. und 8. vorchristlichen Jahrhundert nichts Vergleichbares hatte und die möglicherweise schon durch ihre Gewaltigkeit die Mythen erzeugt hat, die Homer dichterisch formte", so Henning Wrede, Professor für Klassische Archäologie am Winckelmann-Institut.

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