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Gesundheit: Ein Ozean voller Ideen

Mediziner entdecken eine neue Quelle für Arzneimittel: das Meer

Ein kleiner Meeresbewohner inspirierte Forscher zu einer Idee, die großen Nutzen für den Menschen haben könnte. Die nur fünf bis sieben Zentimeter messende Kegelschnecke überwältigt Fische, die viel schneller und viel größer sind als sie selber. Zwar sind Schnecken nicht gerade als Raubtiere bekannt, diese aber schafft es, ihre Beute mit Hilfe einer Giftharpune zu erlegen, die das Opfer auf der Stelle lähmt. Da das offensichtlich ohne Schmerzempfinden geschieht, vermuteten Biologen, die Schnecke könnte im Besitz eines hochwirksamen Nervengifts sein, das vielleicht auch in der Medizin einsetzbar wäre.

Unser Nervensystem funktioniert in seinen Grundzügen ähnlich wie das von wirbellosen Tieren. Und so nahm ein Team von Forschern der Universität Utah in Salt Lake City das Waffenarsenal von Conus magus unter die Lupe und analysierte die Zusammensetzung der aus mehr als 100 Eiweißbausteinen bestehenden Substanz. Eins davon, Conotoxin VIII genannt, blockiert die Weiterleitung des Schmerzempfindens im Nervensystem. Es bildet nun die Grundlage eines Schmerzmittels, das nächstes Jahr auf den Markt kommen soll.

„Das war nur nach jahrelanger, systematischer Grundlagenforschung möglich“, sagt Uwe Waller vom Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel, der sich dort vornehmlich mit der Biotechnologie von Aquakulturen befasst. „Das Wissen zur Ökologie und Produktionsbiologie sind für ein nachhaltiges Management von marinen Ressourcen unabdingbar.“ Gemeinsam mit seiner Kollegin Nicole Kube hat er eine Studie über die Suche nach marinen Naturstoffen erarbeitet. Dieser junge Wissenschaftszweig hat in den letzten Jahren enormen Auftrieb erfahren, nicht zuletzt deshalb, weil die Anwendungspalette erstaunlich breit gefächert ist.

Außer in der Medizin sind Substanzen aus dem Meer auch in der Nahrungsmittelindustrie und in der Kosmetik gefragt. Beinahe unbemerkt haben sie unseren Alltag als Zusatz von Duschgels, Hautcremes, Backpulver, Margarine oder Marmelade erobert. Und sind somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Allein mit der Aquakultur von Algen wurde im Jahr 2001 ein Umsatz von weltweit mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar erzielt, heißt es in der Studie von Wallert und Kube. Zu den bekanntesten Produkten gehört der aus Rotalgen gewonnene Agar, der als Ersatz für tierische Gelantine dient und bei der Herstellung von Sülzen und Gelees, Kuchen oder auch Eiscreme verwendet wird.

Hoffnungen hegen die Wissenschaftler auch hinsichtlich der Krebsbekämpfung durch marine Wirkstoffe. Sesshafte Meeresorganismen wie Schwämme, Korallen oder Manteltiere verteidigen ihren Platz oftmals mit Abwehrstoffen, die als Substanzen gegen Krebs oder Infektionskrankheiten fungieren könnten. Beim Steinschwamm (Theonella swinhoei) zum Beispiel wurden Stoffe gefunden, die gegen Tumoren wirken. Die Schwierigkeit ist, dass man auf Grund der geringen Verfügbarkeit solcher Stoffe nicht die notwendigen Studien durchführen kann, die man zur Entwicklung einer Arznei braucht. „Um ein Gramm Wirkstoff von einer Schwammart zu testen“, erläutert Nicole Kube, „müsste man rund 1000 Tonnen dieses Schwamms aus dem Meer holen.“ Das ist natürlich unrealistisch. Als Alternative bleiben nur, falls möglich, die Zucht solcher Organismen oder der synthetische Nachbau von Wirkstoffen im Labor.

In der Entwicklung einer nachhaltigen Produktionsmethode ist die Forschergruppe um Jörn Piel vom Jenaer Max- Planck-Institut für Chemische Ökologie zusammen mit Kollegen aus dem Institut für Molekulare Biotechnologie, ebenfalls in Jena, einen Schritt vorangekommen. Sie entdeckten, dass die Anti-Tumor-Substanzen von Theonella swinhoei nicht von Schwamm selbst produziert werden, sondern von Bakterien, die mit ihm in Symbiose leben.

Bislang lassen sich nur sehr wenige solcher Bakterien im Labor züchten – die des Steinschwamms gehören nicht dazu. Deshalb klonierten die Chemiker diejenigen Bakteriengene, welche die Erbinformation für den Stoffwechselweg der Anti-Tumorwirkstoffe tragen. Diese Naturstoffgene lassen sich leicht in kultivierbare Bakterien übertragen. „Die Wirkstoffe könnten deshalb schon bald im Großmaßstab erzeugt und für weitere pharmakologische Tests zur Verfügung gestellt werden“, sagt Piel.

Und das ist, wie es scheint, erst der Anfang einer „blauen Medizin“. Denn der Ozean steckt noch voller Ideen.

Monika Rößiger

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