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Gesundheit: Eine europäische Identität gibt es nicht Lord Ralf Dahrendorf betrachtet die EU nüchtern

Haben Griechen und Polen eine gemeinsame Identität? Gibt es Werte, Normen, Vorstellungen, die man als europäisch bezeichnen könnte?

Haben Griechen und Polen eine gemeinsame Identität? Gibt es Werte, Normen, Vorstellungen, die man als europäisch bezeichnen könnte? Seit der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union auf der politischen Agenda steht, ist diese Frage aktueller denn je. Denn das Hauptargument der Beitrittsgegner lautet: Die Türkei gehört geographisch, aber auch kulturell allenfalls teilweise zu Europa.

Kaum einer kann aus eigener Anschauung besser über dieses Problem Auskunft geben als Lord Ralf Dahrendorf. Der 74-Jährige war Bundestagsabgeordneter, Anfang der Siebzigerjahre Mitglied der Europäischen Kommission, kandidierte auf einer italienischen Liste zu Europawahlen und ist heute Mitglied im britischen Oberhaus. Bei einem Vortrag in der Berliner Katholischen Akademie kam Dahrendorf zu einer vordergründig desillusionierenden Antwort: So etwas wie eine europäische Identität sei eigentlich gar nicht zu finden.

Gemeinsame Werte, ein Gefühl der Zugehörigkeit und einheitliche politische Institutionen, in denen man handelt: Aus diesen drei Komponenten setzt sich laut Dahrendorf „Identität“ zusammen. Auf gemeinsame Werte können sich Europäer sicherlich am leichtesten einigen. Die „Herrschaft des Rechts“ beispielsweise, die Dahrendorf im Vortrag zitierte. Genauso ist die Kontrolle der Regierung und die politische Partizipation der Bürger in allen Ländern der EU selbstverständlich. „Westliche Werte“ hat Dahrendorf sie selber früher genannt.

Das hält er inzwischen für einen Fehler: „Es sind Werte, die nicht auf eine Region begrenzt sind. Sie gelten prinzipiell genauso im Irak und in China.“ Dahrendorf spricht deswegen lieber von einer „liberalen Ordnung“. Den Vorwurf des „Werteimperialismus“ wies Dahrendorf zurück: „Es gibt Wertvorstellungen, deren Sinn es ist, universell zu sein.“

Was die beiden anderen Identitätskomponenten, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer und die politischen Institutionen, angeht, war Dahrendorf skeptisch. Ob Entscheidungen in Länderparlamenten, auf der europäischen Ebene oder von Großunternehmen gefällt werden, sei oft nicht mehr nachzuvollziehen. Und wer würde sich bei einer Straßenumfrage schon spontan als „Europäer“ anstatt als „Deutscher“ oder „Berliner“ bezeichnen?

Ist das Projekt eines geeinten Europa gescheitert? Als „skeptischer Europäer“ bezeichnet sich Dahrendorf selbst, man könnte auch sagen: Er legt das Projekt der Europäischen Union nüchterner aus. Der funktionierende Binnenmarkt, die Festlegung der Kopenhagener Kriterien seien Erfolge, die in der Öffentlichkeit viel zu wenig gewürdigt würden. Wenn die Türkei diese Bedingungen erfülle, „gibt es keinen Grund, den Antrag der Türkei zögerlich zu behandeln".

Für den Berliner Historiker Heinrich August Winkler, der wegen einer Erkrankung die Teilnahme an der Veranstaltung absagen musste, wäre das undenkbar. Er warnte kürzlich vor einer „Überdehnung Europas“, falls die Türkei in die EU aufgenommen wird. „Ich hätte Winkler gerne gefragt, warum die Türkei nicht zu Europa gehört, wenn Großbritannien dazugehört“, entgegnete Dahrendorf. Seine britischen Landsleute lehnen schließlich alles ab, was das einige Europa ausmachen soll: den Euro, das Europäische Parlament, und früher sogar den Kanal-Tunnel. Die Europäische Union solle sich endlich von einem „Märchen“ verabschieden, forderte Dahrendorf: Von einem kleinen Europa zu sprechen, dass sich vereinen könne. Die EU könnte wichtigere Erfolge vorweisen. Als Modell, wie man international in weiten Räumen sinnvoll zusammenarbeite, sei die EU ein einzigartiges Vorbild, sagte Dahrendorf: „Europa schafft etwas, was wir letztendlich weltweit bewerkstelligen müssen.“

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