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Gesundheit: Entrüstung im Kaffeehaus

Deutschland wartet auf Studiengebühren, Österreich hat sie schon. Eine Zwischenbilanz

Georg Winckler, der Rektor der Universität Wien, hofft, dass in Deutschland Studiengebühren eingeführt werden. „Dann wäre nämlich die Diskussion in Österreich gelaufen.“ Denn bislang beriefen sich die Gegner der im Jahr 2000 eingeführten österreichischen „Studienbeiträge“ ärgerlicherweise stets auf Deutschland: Da ginge es doch auch ohne.

Die Hoffnungen Wincklers, der auch Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz ist, sind berechtigt. Am kommenden Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das Verbot von Studiengebühren für das Erststudium. Die Zeit für Gebühren scheint auch den chronisch unterfinanzierten deutschen Universitäten reif zu sein. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sprach sich im Juni mit einem Beschluss für ihre Einführung aus. 500 Euro pro Semester seien eine „sozial verträgliche Einstiegssumme“, sagte die Generalsekretärin der HRK, Christiane Ebel-Gabriel: „Das hat Österreich erfolgreich vorgemacht.“

„Österreich ein positives Beispiel?“ Patrice Fuchs lacht. Die Psychologiestudentin an der Universität Wien ist stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnenschaft (ÖH) und organisiert den anhaltenden Protest gegen die Beiträge in Höhe von 363 Euro pro Semester. Jeder fünfte österreichische Studierende habe nach der Einführung das Studium abgebrochen, darunter viele allein Erziehende mit Kind und Studenten aus bildungsfernen Schichten, sagt Fuchs. Nach einer im Mai 2002 abgeschlossenen Studie des Wiener Soziologen Franz Kolland äußerten 57 Prozent der befragten Studierenden, dass sie „höheren finanziellen Druck verspüren“, 50 Prozent gaben an, für die Gebühren zu jobben. Die Übrigen wurden von den Eltern finanziert (46,9 Prozent) oder erhielten eine staatliche Studienbeihilfe (12,2 Prozent). Laut Studie brachen 17 Prozent ihr Studium nach Einführung der Gebühren ab: 36 Prozent gaben an, Studium und Erwerbstätigkeit seien nicht vereinbar, 34 Prozent lehnten die Studienbeiträge grundsätzlich ab; 27 Prozent sagten, die Zahlungen seien für sie „nicht leistbar“. Bei Kindern von Eltern mit niedriger oder mittlerer Schulbildung waren es jeweils um bis zu acht Prozent mehr – für Studentenvertreterin Fuchs ein alarmierender Wert: „Es ist schwer, diese Kinder überhaupt an die Unis zu bringen.“ Dass der Staat einen solchen Rückschlag in Kauf nehme, sei „entrüstend“.

Kann man da noch von einem Erfolg des österreichischen Modells sprechen? Durchaus, sagt Erwin Neumeister vom Bildungsministerium: Der Rückgang der Studienanfänger sei nur kurzfristig gewesen. Zwar hätten sich nach der Einführung der Studienbeiträge knapp 5000 weniger als im Jahr zuvor immatrikuliert. Aber seitdem sei die Zahl der Studienanfänger „auf einen historischen Höchststand gestiegen“. Auch die Zahl der Hochschulabschlüsse steige kontinuierlich an.

Die Studienbeiträge seien ein „starker Anreiz intensiver zu studieren“, sagt Rektor Winckler. Und sie hätten die Unis von den „Karteileichen“ befreit; er schätzt den Anteil der Studierenden, die sich tatsächlich wegen der Gebühr exmatrikulierten auf „etwas über zehn Prozent“.

Der Streit um den bezifferbaren Schaden oder Nutzen der Studienbeiträge geht weiter. So werfen die Studentenvertretungen dem Ministerium jetzt vor, „Zahlen zu schönen“: Die Immatrikulationszahlen seien trotz Gebühr gestiegen, weil es immer mehr Abiturienten gäbe, aber keine attraktiven Ausbildungsplätze. Der Anstieg der Graduiertenzahlen könne zudem nur ein vorübergehendes Phänomen sein, sagt Patrice Fuchs. „Die Studienbedingungen sind derzeit so schlecht, dass man gar nicht schneller studieren kann.“

Genau das werde aber erwartet, sagt Dominik Gries, Student der Rechtswissenschaften und der Soziologie im sechsten Semester an der Uni Wien. Diese Absurdität sei derzeit das Kaffeehausgespräch: Man soll in der Regelstudienzeit fertig werden und zahlt Gebühren dafür, dass die Uni die Bedingungen dafür schafft. Um aber die Gebühren aufzubringen, muss man jobben. Der 22-jährige Gries arbeitet nebenher als Redaktionsassistent bei einer Zeitung, 20 Stunden die Woche – auch für seinen Lebensunterhalt. „Und dann sind die Seminare so überfüllt, dass man keinen Platz mehr bekommt.“

Tatsächlich fließen die Studienbeiträge zu 100 Prozent an die Hochschulen – aber erst seit Anfang 2004, als ihnen mit dem neuem Universitätsgesetz die volle Autonomie übertragen wurde. Bis dahin behielt der Staat 40 Prozent der studentischen Zahlungen für sich und kürzte gleichzeitig die Unibudgets empfindlich, sagt Rektor Winckler. Dass dies in Deutschland nicht passieren dürfe, ist in der Diskussion um Studiengebühren immer wieder beschworen worden. Das Wiener Universitätsgesetz könnte hier ein Vorbild sein: Es sieht vor, die Studienbeiträge wie Drittmittel zu behandeln, die der Lehre zugute kommen.

Rektor Winckler verspricht, mit den rund 30 Millionen Euro aus den Beiträgen „Engpässe in der Lehre“ vor allem in Massenfächern wie Publizistik oder Germanistik mit mehr Doktorandenstellen und zusätzlichen Lehraufträgen auszugleichen. Im laufenden Jahr habe die Uni bereits rund eine Million Euro aus den Studienbeiträgen in die Laborausstattungen der Naturwissenschaftler gesteckt.

Bleibt die Angst vieler Studenten, die Beiträge könnten steigen. Der Rektorenpräsident bestätigt Überlegungen zu „differenzierten Beiträgen“. Die 363 Euro seien in den Rechtswissenschaften nur zu einem Drittel kostendeckend, in der Medizin gar nur zu zwei, drei Prozent. „Aber solange in den Wahlprogrammen der politischen Opposition die Abschaffung der Beiträge steht, wollen wir diese Diskussion nicht beginnen.“ In Deutschland wird diese Diskussion bereits geführt. Einig ist man sich an den meisten Universitäten und in der HRK allerdings, dass zunächst nur 500 Euro pro Semester erhoben werden sollen – als „Einstiegssumme“.

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