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Gesundheit: "Er brauchte die Narrenfreiheit von Basel"

Hätte sich Jacob Burkhardt auf dem Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens einer Evaluierung nach den heute üblichen Kriterien unterziehen müssen, das Ergebnis wäre vernichtend ausgefallen: In dreißig Jahren nur ein halbes Dutzend Veröffentlichungen und eine auch für die Zeitgenossen nur schwer verständliche Begrenzung auf einen Arbeitsort. Doch, die Zeiten waren im 19.

Hätte sich Jacob Burkhardt auf dem Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens einer Evaluierung nach den heute üblichen Kriterien unterziehen müssen, das Ergebnis wäre vernichtend ausgefallen: In dreißig Jahren nur ein halbes Dutzend Veröffentlichungen und eine auch für die Zeitgenossen nur schwer verständliche Begrenzung auf einen Arbeitsort. Doch, die Zeiten waren im 19. Jahrhundert anders und so galt Jacob Burkhardt schon zu Lebzeiten als einer der größten seiner Zunft. Heute ehrt ihn nicht nur die Fachwelt als Begründer der Kulturgeschichte und als einen der großen Universitätslehrer. In einer anläßlich seines 100. Todesjahres 1997 konzipierten Wanderausstellung, die jetzt in der Berliner Humboldt-Universität zu sehen ist, wird dem Schweizer Historiker, Künstler, Lehrer und Baseler Eremiten gedacht.

Seine Heimatstadt liebte Burckhardt über alles. Nach dem Studium bei Ranke und Droysen in Berlin und einem kurzen Aufenthalt in Bonn kehrte er nach Basel zurück und nahm fünfzehn Jahre ungesicherter Existenz in Kauf, bevor er 1858 den Lehrstuhl für Geschichte an der hiesigen Universität bekam. In den folgenden dreißig Jahren lehnte er alle Rufe an andere Universitäten ab, auch das ultimative Angebot, an der Berliner Universität die Nachfolge Leopold von Rankes anzutreten. "Er brauchte die Narrenfreiheit in Basel", meint Heinz Walker-Nederkoorn, Kulturat der Schweizer Botschaft. Nicht nur wegen seines schrulligen Lebensstils, der in der Ausstellung mit Bildern und Briefen dokumentiert wird. Burckhardt lag mit seiner Zeit über Kreuz; dem starken Glauben seiner Zeitgenossen an den Gang der Geschichte als eine stetige Entwicklung zum Besseren setzte er seinen Fortschrittspessimismus entgegen. Er wollte nicht wie sein Zeitgenosse Karl Marx (den er 1843 in Bonn bei einer Demonstration kennenlernte) die Welt verändern, sondern lehren, sie zu sehen. Geschichte war für ihn keine abstrakte Konstruktion, vielmehr sei sie das Produkt eines handelnden Menschen, der bleibt "wie er ist und immer war und sein wird."

Für seine Zeitgenossen ist Burckhardt der Verfasser des "Cicerone" und der "Cultur der Renaissance in Italien" gewesen, sein postum erschienenes Werk "Weltgeschichtliche Betrachtungen" ist heute einer der Klassiker deutscher Geschichtsschreibung.

Der "Cicerone" trägt den Untertitel: "Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens." In diesem Streben nach Verständnis von Kunst über ihren freien Genuss zeigt sich der Weltmann Burkhardt, der keineswegs auf sein Baseler Biotop begrenzt blieb. Zeitlebens war er unterwegs zu den Kulturplätzen Europas und seine Korrespondenz mit den Geistesgrößen seiner Zeit zeigen ihn als einen wachen Zeitzeugen, der am Ende seines Lebens in den 1890er Jahren mit Scharfsichtigkeit vor den Fehlentwicklungen der Moderne warnte.Die Ausstellung im Foyer der Humboldt-Universität ist bis zum 26. November geöffnet. Zur Ausstellung ist beim Schwabe Verlag Basel ein Katalog erschienen (12 Mark).

Jens Schley

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