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Gesundheit: Erntezeit

Welche Ernährung senkt das Krebsrisiko? Seit 15 Jahren geht die Epic-Studie dieser Frage nach

Hier wurde Europa Maß genommen: 519 000 Europäer von Tromso bis Athen wurden im Dienste der Wissenschaft gemessen und gewogen, bekamen Blut abgenommen und mussten über ihre Mahlzeiten Tagebuch führen. Das Besondere an ihnen allen ist, dass sie ganz normale Durchschnittseuropäer sind – und dass sie zu Beginn der Studie alle so weit gesund waren. Im Jahr 1992 begann in Potsdam und Heidelberg ebenso wie an 21 anderen Zentren in zehn europäischen Ländern die Epic-Studie.

Jetzt wurde die weltweit größte unter den Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und Krebs prospektiv, also in die Zukunft gerichtet, unter die Lupe nehmen, 15 Jahre alt. 27 500 der Teilnehmer stammen aus Potsdam und Umgebung, um ihre Daten kümmert sich das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (Dife) in Potsdam-Rehbrücke.

Nach und nach werden wir nun mit den Ergebnissen von Epic bekannt gemacht. Auf den ersten Blick wirkt das, was anlässlich des 15. Geburtstags jetzt auf einem Dife-Symposium zusammengetragen wurde, reichlich verwirrend: Wer sein Risiko niedrig halten will, an Dickdarmkrebs zu erkranken, sollte viel Vollkornbrot essen, wegen der in ihm enthaltenen Ballaststoffe. Auch Fisch ist für ihn gesund, von rotem Fleisch und Wurstwaren wird dagegen abgeraten.

Viel Obst und Gemüse zu essen, senkt das Risiko für Lungenkrebs und Krebs des oberen Verdauungstrakts, ein Zusammenhang mit den ebenfalls häufigen Tumoren an Brust und Prostata und dem Eierstockkrebs konnte dagegen nicht nachgewiesen werden. „Deshalb raten wir aber trotzdem allen dazu, reichlich Obst und Gemüse zu essen“, sagte Dife-Direktor Hans-Georg Joost bei dem Symposium.

Das Bild ist nämlich nur auf den ersten Blick verwirrend. Bezieht man auch das Risiko ein, an Herz und Gefäßen zu erkranken oder zuckerkrank zu werden, dann dient es der Gesundheit auf jeden Fall, viel Grünzeug auf den Speiseplan zu setzen. Und gefährlich ist es anscheinend auch nicht: „Wir haben keine negativen Effekte einer solchen Ernährungsweise festgestellt“, stellte Epic-Forscher Elio Riboli vom Imperial College London klar.

Das gilt auch für körperliche Aktivität. Die vermindert das Risiko für Dickdarmkrebs, was für Brustkrebs dagegen nicht bewiesen werden konnte. Indirekt könnte sie trotzdem auch davor schützen. Denn mit dem Gewicht steigt zumindest bei Frauen nach der Menopause auch das Risiko, Brustkrebs zu bekommen. Und Bewegung macht es leichter, schlank zu bleiben.

Dabei interessiert die Forscher heute nicht mehr nur der Body Mass Index (BMI, Gewicht in Kilo geteilt durch Größe in Metern im Quadrat), sondern ein Wert, den allein das Maßband liefert: der Bauchumfang. Mit ihm wächst den Daten zufolge die Gefahr, an Krebs der Bauchspeicheldrüse oder der Gebärmutter zu erkranken. „Wir haben aber noch keine verlässlichen Grundlagen, die es erlauben würden, hier einen Grenzwert festzulegen“, sagte Joost.

Herz-Kreislauf-Spezialisten sehen das Risiko für Gefäßerkrankungen bei Männern ab einem Wert über 102 Zentimetern, bei Frauen ab 88 Zentimetern als stark erhöht an. Der Taillenumfang könnte beim weiblichen Geschlecht als Gesundheitsmaß noch aussagekräftiger sein als bei den Männern. So erwiesen sich bei Männern sowohl BMI als auch großer Bauchumfang als Risikofaktoren für Dickdarmkrebs, bei Frauen hatte ein hoher BMI allein jedoch keinen Vorhersagewert, bei ihnen zählte nur die große Taillenweite.

Was die Essgewohnheiten betrifft, so interessiert man sich inzwischen aber nicht mehr nur dafür, wie viel jemand täglich von einem Nahrungsmittel zu sich nimmt, sondern eher für typische Ernährungsmuster. Das erläuterte Heiner Boeing, Leiter des Potsdamer Epic-Arms.

Solche Muster, geprägt von den höchst eigenen Vorlieben und den Gewohnheiten des sozialen Umfelds, bleiben oft über Jahrzehnte bemerkenswert gleich. Wir wissen zwar inzwischen einiges darüber, dass sie langfristig einen Einfluss auf die Entstehung von Diabetes, Herzinfarkten oder verschiedenen Krebsformen haben. Unklar ist aber immer noch, was dabei im Körper wirklich geschieht, vor allem im Fall von Krebs.

Einen Einblick in das Zusammenspiel von Genen, Stoffwechsel und Zellveränderungen ermöglichen jedoch die Blutproben, die vorsorglich von allen Epic-Teilnehmern eingesammelt wurden. Blutwerte, Biomarker genannt, geben etwa Auskunft darüber, wie hoch die Konzentration bestimmter Nährstoffe im Körper ist, wie Hormone den Stoffwechsel beeinflussen und welche Rolle Gene und Infektionen in diesem komplizierten Geschehen spielen.

„Um genetische Unterschiede zu ermitteln, braucht man Daten von sehr vielen Menschen, und wir haben das Glück, dass sie für Epic gesammelt wurden", sagte Jakob Linseisen vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg. Doch so notwendig die Größe von Epic ist, der Ernährungswissenschaftler Boeing sieht sie mit zwiespältigen Gefühlen: „Wir haben Probleme mit der Finanzierung.“ Für die geplanten Biomarker-Studien brauche man jetzt noch einmal mindestens zehn Millionen Euro. Ein großer Geburtstagswunsch.

Adelheid Müller-Lissner

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