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Gesundheit: „Es droht eine neue Bildungskatastrophe“

Föderalismus-Streit: Jörg Tauss, SPD-Bildungsexperte, warnt vor Nachteilen für Schule und Hochschule

Herr Tauss, die Bildungspolitik ist in der FöderalismusKommission besonders strittig. Warum?

Bildung ist zuvörderst eine Aufgabe der Länder. Das soll auch so bleiben. Der Bund hat nie den Anspruch erhoben, das Bildungswesen an sich zu ziehen. Aber jetzt wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Bund soll überhaupt keine Zuständigkeit mehr in der Bildung haben.

Womit erklären Sie sich das?

Das hat mit Rationalität überhaupt nichts mehr zu tun.

Haben die Ministerpräsidenten, die in der Kommission den Ton angeben, die Interessen von Bildung und Wissenschaft überhaupt im Blick – oder benutzen sie die Bildung vielleicht nur im Rahmen einer viel größeren Verschiebemasse?

Das ist eindeutig so, und ich bedaure das sehr. Die Ministerpräsidenten lassen sich nicht von den Notwendigkeiten der nationalen Aufgabe Bildung leiten, sondern von taktischem Kalkül. Das zeigt auch das Beispiel Spitzenuniversitäten. Der Bund war sich mit den Fachministern schon über das Konzept einig, da stoppten die Ministerpräsidenten das Programm. Solche strategischen Spielchen gehen zu Lasten von Bildung und Wissenschaft.

Wenn der Bund Geld für ein Eliteprogramm oder Ganztagsschulen gibt, müssen die Länder die Folgekosten tragen. Ist das auch ein Grund dafür, dass die Ministerpräsidenten den Bund aus der Bildung drängen wollen?

Wenn das so wäre, hätten die Ministerpräsidenten das vorher sagen müssen. Im „Forum Bildung“ haben Bund und Länder noch im Jahr 2000 gemeinsam beschlossen, dass Investitionshilfen des Bundes sinnvoll sind.

Der Hochschulbau soll in Zukunft allein Ländersache sein. Die Hochschulen befürchten nun, wichtige Vorhaben würden nicht mehr umgesetzt. Hier ist offenbar bereits eine Entscheidung gefallen, die gar nicht im Sinne der Hochschulen ist. Wie konnte das geschehen?

Ich teile die Einschätzung der Hochschulen vollkommen. Ich hoffe deshalb, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Hochschulen gerade in ärmeren Ländern haben von der Bund-Länder-Finanzierung profitiert. Ohne die Zuschüsse des Bundes hätten sich die Wissenschaftsminister am Kabinettstisch mit ihren Forderungen vielleicht gar nicht durchgesetzt.

Womöglich haben die Länder auch keine Lust mehr auf die Zusammenarbeit mit dem Bund, weil Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn sich den Ländern gegenüber in der Vergangenheit allzu undiplomatisch verhalten hat? Das faktische Verbot der Habilitation, das Studiengebührenverbot, das Programm für die Eliteunis …

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ministerpräsidenten persönliches Beleidigtsein zur Grundlage ihres Handelns machen. Die Juniorprofessur etwa war vorher mit den Ländern abgestimmt worden – im Nachhinein haben sie sie zum Anlass genommen, den Bund zu kritisieren. Ebenso war es bei den Ganztagsschulen.

Ist es angesichts der Spannungen zwischen Bund und Ländern klug gewesen, dass der Bund das Studiengebührenverbot vor wenigen Tagen plötzlich noch mit in die Föderalismus-Verhandlungen einbezogen hat?

Studiengebühren sind eine ganz zentrale Frage. Sie entscheiden womöglich darüber, ob ein junger Mensch sich zu einem Studium entschließt oder darauf verzichtet. Bestimmte Bundesländer könnten der Versuchung nicht widerstehen, hohe Gebühren einzuführen und um so ihre Studentenzahlen zu senken. Andere hätten dann die Last der Ausbildung für die Breite zu tragen. Deshalb muss eine bundeseinheitliche Lösung her. Die Länder haben ja schon jetzt Gestaltungsfreiheit, sie können von Langzeitstudenten Gebühren nehmen oder Studienkonten einführen. Studiengebühren sind auch eine Frage der Einheitlichkeit von Lebensbedingungen in der Bundesrepublik.

Ein wichtiger Streitpunkt ist, dass der Bund die Qualitätssicherung an den Hochschulen für sich will. Warum soll der Bund in der Lehre über die Akkreditierung von Studiengängen mitentscheiden oder bei der Evaluierung? Hier scheinen doch die Länder direkter steuern zu können?

Das sieht auch der Bund so. Hier liegt offenbar ein Missverständnis bei den Ländern vor. Der Bund will überhaupt nicht in jeden Studiengang hinein regieren. Es geht nur darum, dass etwa Inhalte, die von den europäischen Bildungsministern im Zuge der Bolognaerklärung beschlossen werden, einheitlich umgesetzt werden, natürlich immer in Abstimmung mit den Ländern. Und was die Evaluierung von Hochschulen oder Projekten betrifft: Wenn jedes Bundesland hier seinen eigenen Standards folgen würde, hätte das mit Qualitätssicherung nichts mehr zu tun. Hier brauchen wir gemeinsame Vorgaben, wie sie etwa vom Wissenschaftsrat formuliert werden.

Die gemeinsame Bildungsplanung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) soll abgeschafft werden soll. Ist das ein Verlust – außer ein paar Modellversuchen hat sie doch nicht viel gebracht?

Ich würde den Fortfall der BLK sehr bedauern. Es handelt sich um ein Gremium, in dem Bund und Länder zur Verständigung gezwungen waren. Eine Möglichkeit zur gemeinsamen Weiterentwicklung des Bildungswesens muss auch in Zukunft im Grundgesetz verankert sein.

Die Kultusministerkonferenz hat in der letzten Zeit zügig eine Reihe von Reformschritten eingeleitet. Warum haben Sie Zweifel an ihrer Handlungsfähigkeit?

Ich halte die KMK nicht für handlungsunfähig, sie macht sich allerdings selbst manchmal handlungsunfähig, wie man etwa an dem Hickhack um die Rechtschreibreform oder der Kündigung Niedersachsens sieht. Die KMK hat gleichwohl eine Reihe von Initiativen des Bundes nach Pisa aufgegriffen, etwa die nationalen Bildungsstandards oder die Bildungsberichterstattung. Allerdings können wir in Europa nicht als vielstimmiger Chor auftreten, es muss eine nationale Stimme geben. In der Vergangenheit gibt es dafür gute Beispiele. Die jetzige Debatte ist ein furchtbarer Rückschritt.

Könnte das Eliteprogramm, das ebenfalls in der Kommission verhandelt wird, das vorläufig letzte gemeinsame Großprojekt von Bund und Ländern für Bildung und Wissenschaft sein?

Ja, so eine Investition wäre künftig durch das Grundgesetz verboten, sollten die Länderpläne der Föderalismus-Kommission umgesetzt werden. Selbst das Ganztagsschulprogramm des Bundes, das die Länder dankbar aufgenommen haben, wäre in Zukunft unmöglich.

Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes, die jetzt abgeschafft werden sollen, hat man Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre in der Verfassung geschaffen. Bildung wurde als nationale Aufgabe erkannt. Die Lage hat sich seitdem nicht verändert, im Gegenteil steht Deutschland im globalen Wettbewerb. Lässt der Bund es zu, dass das Rad nun zurückgedreht wird?

Der Bund wünscht sich das ja nicht, sondern die Länder. Wir müssen zu einem sachlichen Dialog zurückfinden.

Vielleicht sollte lieber alles so bleiben wie bislang?

Grundsätzlich würde ich mir das wünschen. Das heißt ja nicht, dass man beim Hochschulbau nicht die Bürokratie abbauen könnte. Nicht über jede Mensa muss es eine umfangreiche Abstimmung zwischen Bund und Ländern geben.

Wenn Bund und Länder in der Bildung tatsächlich getrennt werden – wie kann sich das in zehn bis zwanzig Jahren auf Schulen und Universitäten ausgewirkt haben?

Ich bin mir sicher, dass wir dann unsere Bildungsmisere nicht gelöst haben, sondern dass wir im Gegenteil eine schwere Bildungskatastrophe erleben werden. Die Bevölkerung will das nicht, sie will; dass Bund und Länder sich gemeinsam für die Bildung engagieren, das zeigen Umfragen. Das macht mich optimistisch.

Das Gespräch führte Anja Kühne

Jörg Tauss , Jahrgang 1953, ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist bildungs-, forschungs und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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