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Gesundheit: Es wird einsam um uns

Eine dunkle Energie treibt das Weltall auseinander. Doch was steckt hinter dieser mysteriösen Kraft?

Das Bild ist die älteste Kunde aus dem Universum, die wir besitzen. Man kann die Aufnahme mit einem Ultraschallbild vergleichen, das der Arzt in einer der ersten Schwangerschaftswochen gemacht hat: einem weitgehend strukturlosen Gebilde, aus dem einmal ein Mensch werden soll, mit all seinen Organen, seinen Blut- und Nervenbahnen. Aus dem, was wir auf dem obigen Mikrowellenbild sehen, sollte etwas noch Erstaunlicheres hervorgehen: unser gesamtes Weltall, mit all seinen Galaxien und Sternen, die sich im Lauf von 13,7 Milliarden Jahren entlang großräumiger kosmischer Filamente gebildet haben.

Das Bild wurde am Wochenende mehrfach an die Wand des Audimax der Technischen Universität Berlin geworfen. Der im Jahr 2003 entstandene Schnappschuss zeigt das junge Universum im Alter von gerade einmal 400000 Jahren, in einer Zeit, als der zunächst sehr heiße Kosmos erstmals für Lichtstrahlen durchlässig wurde. Die heute noch sichtbare, aber stark abgekühlte Strahlung wurde vor 13,7 Milliarden Jahren ausgesandt. Sie trifft nun aus allen Richtungen des Raumes bei uns ein und sieht überall etwa gleich aus.

Bei der Physikertagung in Berlin kreiste am Sonnabend ein ganzes Symposium um diese Aufnahme, die der Mikrowellen-Satelliten „WMAP“ gemacht hat. „In der Karte steckt sehr viel Information“, sagte Matthias Bartelmann vom Institut für theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg in seinem Eröffnungsvortrag. Vor allem aber gibt sie neue Rätsel auf: Sie liefert starke Hinweise auf die Existenz einer neuen, fünften Kraft im Kosmos, der „Quintessenz“.

Dabei sollte dieses Bild den Forschern Klarheit verschaffen. Darüber, wie aus einem fast gleichförmigen, heißen Urgas jenes facettenreiche Weltall entstehen konnte, das wir kennen. Schon 1992 entdeckten Forscher mit dem Satelliten „Cobe“ erstmals kleine Unregelmäßigkeiten in der kosmischen Hintergrundstrahlung. Mit dem Nachfolgesatelliten WMAP schauten sie 2003 genauer hin: Die Temperaturschwankungen – geringfügig wärmere, rote und kältere, blaue Regionen – traten jetzt deutlich hervor. Es sind Dichteunterschiede im Urgas.

Diese Keime sind aber viel zu klein, als dass sich daraus die spätere Galaxienbildung quantitativ auch nur halbwegs erklären ließe. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bildet eine hypothetische „dunkle Materie“, die kein Licht abstrahlt und sich nur über ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar macht. Es gibt inzwischen sehr viele Indizien dafür, dass Galaxien zu einem Großteil aus unsichtbarer, dunkler Materie bestehen und das auch große Galaxienhaufen davon zusammengehalten werden. Diese dunkle Materie könnte schon im jungen Kosmos Zusammenballungen und Verklumpungen herbeigeführt haben.

Doch damit handelt man sich gleich das nächste Problem ein: Woraus könnte eine solche dunkle Materie bestehen? „Wir brauchen dafür neue, exotische Teilchen“, sagte Manuel Drees, Physiker an der Universität Bonn. Und stellte einige hypothetische Kandidaten vor, etwa die supersymmetrischen Teilchen, seine „persönlichen Favoriten“. Auch die Experimente, mit denen man diese spiegelbildlichen Partner der herkömmlichen Materie nachweisen möchte, kamen nicht zu kurz. Allerdings sind die Voraussagen dazu, wonach man überhaupt suchen will, welche Masse diese supersymmetrischen Teilchen etwa haben könnten, bislang sehr vage.

Trotz dieser schlechten Aussichten haben sich die Physiker mit der Existenz dunkler Materie inzwischen arrangiert. So gut, dass sie auf dieser Basis eine zweite, noch größere Unbekannte in ihr kosmologisches Weltbild eingebracht haben: die „dunkle Energie“, die das Geschehen im All heute wesentlich bestimmen und die Galaxien auseinander treiben soll. Christof Wetterich von der Universität Heidelberg vermutet in der dunklen Energie sogar eine fünfte Kraft am Werk, die die bisherigen Vorstellungen der Theorie anficht: Mit ihr würden sich fundamentale physikalische Größen und damit die Gesetze der Physik selbst im Laufe der Zeit verändern.

Wetterich publizierte diese Gedanken bereits 1988, als er sich mit der von Albert Einstein eingeführten „kosmologischen Konstante“ auseinander setzte. Vor fast 1000 Zuhörern führte Wetterich aus, warum seine Überlegungen von damals durch die Mikrowellenbilder plötzlich an Brisanz gewonnen haben. Die obige Karte enthält nämlich weitere Informationen über die Geometrie und die Energiedichte des Universums:

Die Größe der farbigen Schwankungsregionen entspricht einem kleinen Winkel von etwa einem Grad. Anhand dieses Winkels können Forscher berechnen, dass die Lichtstrahlen auf nahezu geradem Weg zu uns gelangt sind. Das Universum ist demzufolge „flach“, der Raum ist im Wesentlichen weder negativ noch positiv gekrümmt. Das bedeutet, dass zwei Lichtstrahlen, die im All nebeneinanderher ziehen, bis in alle Ewigkeit parallel laufen.

Die Geometrie der Welt ist also glücklicherweise so einfach wie möglich – ihre Zusammensetzung dagegen ist es nicht. Denn in einem flachen Universum kann die Massen- und Energiedichte einen kritischen Wert weder über- noch unterschreiten. Die Folge: Die normale Materie, aus der die Himmelskörper bestehen, und die dunkle Materie reichen zusammengenommen nicht aus, um auf diesen kritischen Wert zu kommen. Statt dessen besteht das Universum nur zu etwa vier Prozent aus herkömmlicher Materie und zu etwa 23 Prozent aus dunkler Materie.

„Der Rest ist die mysteriöse dunkle Energie“, sagte Wetterich. Sie macht 73 Prozent der kritischen Dichte im Weltall aus. „Es ist irgendeine Energieform, die homogen verteilt ist.“ Die also keinerlei Klumpen, keine Galaxien bildet, wie gewöhnliche und wie dunkle Materie. Das macht ihre Wahrnehmung so außergewöhnlich schwierig.

Irgendwie treibt diese dunkle Energie unser Universum auseinander. Und zwar mit der Zeit immer schneller. Das hat die Messung der Entfernung und der Bewegung sehr entlegener, sehr heller Himmelsobjekte (Supernovae) in den vergangenen Jahren gezeigt. Was zur Folge haben könnte, dass unser Horizont mit der Zeit immer kleiner wird, dass Galaxien, die wir heute noch sehen, irgendwann wieder aus unserem Blickfeld verschwinden werden.

Es wird einsamer um uns. Aber in der Frühzeit des Universums kann die dunkle Energie keine derart dominante Rolle gespielt haben wie heute. Sonst wären Galaxien wie unsere Milchstraße erst gar nicht entstanden. Eine mögliche Erklärung dafür sieht Wetterich darin, dass wir es bei der dunklen Energie mit einer neuen, fünften Kraft (Quintessenz) zu tun haben, die sich mit der Zeit verändert. Er nannte sie vor 17 Jahren „Kosmon-Feld“.

Die Existenz einer solchen Kraft müsste sich auch auf der Erde nachweisen lassen, obschon sie noch schwächer wäre als die Gravitation. Sie hätte unter anderem zur Folge, dass zwei Körper mit der gleichen Masse, aber unterschiedlicher Zusammensetzung im Vakuum nicht mehr gleich schnell fallen würden. Bei künftigen Präsizionsmessungen sollte man das überprüfen können, meint Wetterich.

Bislang ist das Kosmon-Feld nur eine von mehreren Optionen, die dunkle Energie zu deuten. Sie lässt auch anders beschreiben, etwa mit Hilfe von Einsteins kosmologischer Konstante. „Auch damit kann man im Prinzip alle Beobachtungen erklären“, sagte Claus Kiefer von der Universität Köln.

Für die Physiker ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie immer noch das Maß vieler Dinge – allerdings nicht aller. „Sie beinhaltet ihren eigenen Zusammenbruch“, sagte Kiefer. Um Erscheinungen wie schwarze Löcher zu verstehen, in denen enorm viel Materie auf engstem Raum verdichtet wird, muss man sie mit der Quantenmechanik, der Theorie des Mikrokosmos, zusammenführen.

Auch in Berlin diskutieren Wissenschaftler noch bis Mittwoch über eine solche übergreifende Theorie, aus der sich dann womöglich alle Grundkräfte wie von selbst ergeben sollen. Wetterich hat die Hoffnung, dass auch das Kosmon- Feld aus einer solchen vereinheitlichten Theorie hervorgehen wird. „Aber das ist nur ein Traum“, sagte er.

Die Physiker tappen im Dunkeln. Um sich ein konsistentes Bild von der Entwicklung des Kosmos machen zu können, haben sie Begriffe eingeführt, die an den hypothetischen, weltumspannenden, unsichtbaren „Äther“ erinnern, an den viele ihrer Vorgänger vor 100 Jahren glaubten. Bis Einstein ihn mit einem Geniestreich für immer aus der Physik verbannte.

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