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Gesundheit: Etwas Lebenszeit gewinnen

Bauchfellkrebs gilt als unheilbar – und kann nur mit einer kaum erforschten Methode behandelt werden. Dazu gehört eine schwere Operation. Ein spezielles Zentrum an der Charité bietet sie an.

Holger Petersen (Name geändert) ist ein Mensch, der sicher sein will, dass er alle Möglichkeiten ausschöpft. Vor allem, wenn es um seine unheilbare Krankheit geht: Der 49-Jährige hat Bauchfellkrebs. Vor fünf Jahren schlugen ihm Spezialisten von der Berliner Charité eine Operation vor, die massiv ist, deren Wirkung aber noch nicht ausreichend erforscht ist. Petersen zögerte nicht, einzuwilligen, obwohl die behandelnde Chirurgin zu ihm sagte, sie werde ihm bei dem Eingriff sehr wehtun. Heute ist sein Bauch vernarbt, im Alltag sei er zu 99,5 Prozent beschwerdefrei, sagt er. Er macht Hochleistungssport, nur wenn jemand weit in die Zukunft plant, etwa eine Reise nach Afrika in drei Jahren, dann muss er schlucken. „Einen Moment, da war doch was“, erinnert er sich dann.

Bauchfellkrebs heißt in 90 Prozent der Fälle, dass eine Krebserkrankung schon weit fortgeschritten ist. Das Bauchfell, das die Bewegung der inneren Organe geschmeidig macht, ist dann nicht das erste betroffene Organ, sondern Tumoren an anderen Stellen in der Bauchhöhle haben dorthin ausgestrahlt: vom Darm, vom Magen, von der Bauchspeicheldrüse oder von den Eierstöcken. Die Krankheit gilt als nicht heilbar, auch für lebensverlängernde Maßnahmen hatten Ärzte bislang kaum ein Angebot. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Patienten liegt bei einem Jahr und darunter. Holger Petersen wurde zunächst in Hamburg behandelt, doch die Ärzte dort seien überfordert gewesen, sagt er.

In Berlin jedoch kann eine Kombination aus Tumorentfernung und Chemotherapie direkt am Organ einem Teil der Patienten das Leben verlängern, ihre Lebensqualität steigern und sie in einigen wenigen Fällen vielleicht sogar heilen. Seit April dieses Jahres ist die Charité eine von fünf anerkannten Kliniken in Deutschland, die nach der sogenannten HIPEC-Methode operieren. Die Methode ist zwar seit den 1990er Jahren bekannt, aber nicht ausreichend erforscht. In Deutschland ist sie keine Standardbehandlung, Daten aus den Operationen dienen der weiteren Erforschung. An der Charité ist Holger Petersen eine der erfolgreichsten Patientengeschichten. Die Entscheidung, ob operiert werden soll oder nicht, ist selbst für Spezialisten deshalb nicht immer leicht.

Denn die Operation ist für den Organismus des Patienten sehr belastend, sie dauert zwölf bis fünfzehn Stunden. Die Abkürzung HIPEC steht für eine Form der Chemotherapie, bei der das Bauchfell direkt mit einer auf 42 Grad erwärmten Wirkstofflösung gespült wird. Das Bauchfell ist nämlich schlecht durchblutet und deshalb mit Infusionen über die Blutbahnen nur schwer zu behandeln. Die höhere Dosis und Temperatur wirkt auch besser gegen die Krebszellen als bei einer Infusion. Die Chemo-Behandlung ist aber nur sinnvoll, wenn in einem ersten Schritt der Operation Tumor und Metastasen an allen betroffenen Organen der Bauchhöhle entfernt werden konnten. Neben dem Bauchfell werden den Patienten dabei häufig Teile des Magens oder des Darms, auch die Milz oder die Gallenblase entfernt. Trotz genauer Vorauswahl der Patienten könne sie letztlich erst im OP sagen, ob die Tumoren entfernt werden können oder nicht, sagt Oberärztin Beate Rau, die das Zentrum für Bauchfellkrebs an der Berliner Charité leitet. Von 100 Patienten, die dieses Jahr schon im OP waren, war das bei 50 der Fall.

Insgesamt hat Rau bislang um die 180 Patienten nach der HIPEC-Methode operiert. Auch wenn sich Tumoren klar entfernen lassen, ist es nicht einfach, Patientennutzen und Operationsrisiken abzuwägen. Bei Knochenbrüchen operiere man, dann sei der Patient in den meisten Fällen wieder gesund, sagt Rau. Bei Tumoroperationen ist es ein medizinischer Fortschritt, wenn eine Operation das Leben der Patienten verlängert und ihre Schmerzen lindert. Ein 29-jähriger Mann kam mit so fortgeschrittenem Magen- und Bauchfellkrebs zu ihr an die Klinik, er hätte wohl noch eine Woche zu leben gehabt, erzählt Rau. Nach der Operation blieben ihm 1,5 Jahre, wenn auch in medizinischer Versorgung. „So konnte er sich noch verabschieden“, meint Rau.

Für die Mehrheit der Patienten verlängere sich nach jetzigem Wissensstand die Lebenszeit um mehrere Wochen bis mehrere Monate, nicht mehrere Jahre, sagt Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrum. Es gebe Ausreißer nach unten und oben, nur in Einzelfällen vermutet man Heilung. Für die kleine Patientengruppe, die durch Krebsbild und Gesundheitszustand überhaupt für die Operation infrage kommt, sei es also letztlich eine individuelle Entscheidung: Manche Patienten sind bereit, für jegliche gewonnene Zeit medizinische Strapazen auf sich zu nehmen, andere nehmen eine kürzere Lebenserwartung in Kauf, wenn sie sich dadurch Zeit im Krankenhaus sparen. Weg-Remers empfiehlt allen Patienten mit Bauchfellkrebs eine zweite Meinung in einem der fünf anerkannten Zentren einzuholen: In Regensburg, Wiesbaden, Würzburg, Tübingen – oder Berlin. Angesichts der Schwere der Krankheit würde dies in der Regel von den Krankenkassen übernommen, müsse aber abgesprochen werden. Generell beobachtet sie, dass sich Krebspatienten von unerforschten Behandlungsmethoden trotz Aufklärungsgesprächen doch Heilung erhoffen. Patienten sollten sich der realistischen Chancen und Risiken einer Operation bewusst sein, der Krebsinformationsdienst informiert auch telefonisch. Patienten ohne Komplikationen bleiben ein bis drei Wochen im Krankenhaus. Zu den Nebenwirkungen der Chemotherapie zählen Nervenstörungen und Erbrechen. Sie kann aber auch die Wundheilung beeinträchtigen. Zu möglichen Komplikationen zählt auch, dass Nachbarorgane verletzt werden oder es zu Verwachsungen kommt.

Holger Petersen litt nach der Behandlung unter starker Übelkeit. Innerhalb von vierzehn Tagen nahm er 13 Kilogramm ab. Nach sechs Wochen Pflege zu Hause begann er langsam wieder zu arbeiten. Für ihn war das ein Weg mit seiner Krankheit fertig zu werden. Bis er den Gewichtsverlust wieder ausgeglichen hatte, dauerte es ein halbes Jahr. Petersen kann heute ohne Beschwerden essen und verdauen, außer wenn er zu viel isst.

Dass man den Krebs, wenn man ihn einmal hat, wieder loswird, bezweifelt er. Bei jeder Kontrolle spiele sich wieder der Film ab, was er schon alles durchgemacht hat. „Das ist Stress pur“, sagt er, um dann gleich nachzusetzen, er mache sich nicht verrückt. Es gehe ihm gut. Er verfolgt zusätzlich eine homöopathische Therapie, auch wenn er weiß, dass seine Ärztin das belächelt. Aber so kann er was tun. Weil es ihm jetzt seit fünf Jahren gut geht, hat er in Absprache mit seiner Ärztin beschlossen, dass er sich die Kontrolle dieses Jahr spart.

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