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Gesundheit: Fenster in die Kulturen

Die Welt spricht Englisch. Zugleich entstehen überall neue Spielarten der Sprache – mit eigenen Regeln

Als die Hypo-Vereinsbank die Übernahme durch die italienische Unicredito bekannt gab, traten die Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Rampl und Alessandro Profumo vor die deutschen und italienischen Fernsehkameras und sprachen – Englisch mit Akzent. Es überraschte nicht, dass die Konzernsprache das Englische sein sollte, ist es bei der Deutschen Bank und der Europäischen Zentralbank doch nicht anders. Die Sprache des Geldes ist eben Englisch! Nicht nur das: die Tsunamihilfe, die Friedensmaßnahmen in Afghanistan und der Krieg im Irak wären ohne das Englische undenkbar.

Als Papst Benedikt XVI. seine Predigt auf dem Weltjugendtreffen in Köln in seiner Muttersprache, in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch hielt, wählte er Weltsprachen europäischen Ursprungs. Der englische Predigtteil war (nach dem deutschen) der ausführlichste. Englisch ist die Lingua franca schlechthin. Doch jede Entscheidung zu seinen Gunsten läuft auf einen politischen Akt hinaus, der Alternativen ausschließt.

Die EU mit ihren Institutionen weiß ein Lied von der Problematik mit 20 offiziellen Sprachen und zahllosen Arbeitssprachen zu singen. Es überrascht nicht, dass trotz institutionalisierter Vielfalt das Englische dominiert. Asean, der Bund südostasiatischer Staaten, kennt nur das Englische. Die „großen“ Sprachen wie das Malayische, das Thai oder Kantonesisch wären zu konfliktträchtig. Algerien erhob Englisch zur ersten Fremdsprache zum Leidwesen der Franzosen. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich findet mehr als die Hälfte der Lehre in englischer Sprache statt. Knapp 85 Prozent aller Internetseiten weltweit sind auf Englisch; Deutsch folgt mit gerade mal 4,5 Prozent. 300 Millionen Internetnutzer haben einen anglophonen Hintergrund; Deutsch ist abgeschlagen mit 45 Millionen. Das Englische scheint unausweichlich!

Die Entwicklung begann in den amerikanischen Kolonien und den Handelsstützpunkten in Indien im 17. Jahrhundert. Losgelöst von der Heimat entwickelten sich lokale Formen des Englischen, die im Kontakt mit der Landesbevölkerung und den Migranten aus vielen Teilen der Welt bereichert wurden. Die Elite in den Kolonien Afrikas und Asiens machte es zur Sprache des Widerstandes; ohne sie hätte Gandhi wenig Erfolg gehabt.

Als mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem Völkerbund die ersten globalen Institutionen nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden, wurden Englisch und Französisch die offiziellen Sprachen. In der Folge des Zweiten Weltkrieges wurde Englisch zur globalen Sprache. Die USA waren die einzige verbliebene Macht mit einer intakten politischen, militärischen und wirtschaftlichen Struktur. Ihre wissenschaftlich-technologische Dynamik und die Attraktion der Populärkultur machten Englisch zugleich zur Sprache der Elite und der Jugend. Es wurde nun zum „Selbstläufer“, losgelöst von allen historischen Bedingungen.

David Crystal, einer der prominentesten Experten, meint, es sei zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Nur, wenden die Kritiker ein, war es nicht die Macht, die das möglich machte? Die Schaffung globaler Institutionen wie der UN und die Globalisierung schufen die Bedingungen, die es über andere Sprachen hinaus wachsen ließen.

Wenn man fragt, wie das Englische genutzt wird, fällt auf, dass es nur noch etwa 350 Millionen Muttersprachler in Großbritannien, den USA und einigen anderen Staaten gibt. Eine etwa gleich große Zahl in 50 früheren Kolonien nutzt es als Zweitsprache in der Wissenschaft oder der Verwaltung. Als Fremdsprache wird es von zwei Milliarden Menschen erlernt. Einen Boom erlebt es in Mittel- und Osteuropa, China und Russland, wo es bis Ende des Kalten Krieges unzugänglich war. Die Nachfrage nach Muttersprachlern als Lehrer ist enorm, auch wenn klar ist, dass es für Nehmerländer schwer ist, auf eine Zielnorm, etwa das britische oder amerikanische Englisch, zu setzen.

Englisch ist nicht mehr die Sprache, mit der man sich als „Engländer“ fühlt. Allein die Mobilität der Studenten sorgt dafür, dass Lerner selten eine reine Norm erwerben oder Lehrer sie beherrschen. Das Englische ist die Sprache der Modernität, der Popkultur, der Mobilität. Als Verkehrssprache ist sie fashionable. Da eine reine Norm unrealistisch ist, heißt das Ziel „interkulturelle Kompetenz“, die Fähigkeit also, sich trotz unterschiedlicher Herkunft zu verstehen. Englisch ist die Brücke dazu!

Wenn das Queen’s English heute eine so geringe Rolle spielt, ist das für Großbritanniens mächtiges Kulturinstitut, den British Council, kein reiner Segen. Wenn knapp zwei Milliarden Menschen das Englische auf allen Kontinenten zu ihren Zwecken nutzen, verändern sie es nach Gutdünken; es wird quasi unkontrollierbar. Der Verlust britischer Normen würde es den großen Verlagen in Oxford und Cambridge oder der BBC schwerer machen, weltweit führend zu sein. Die Fremdsprachenindustrie ist aber ein wichtiger Wirtschaftszweig des Landes.

Das Englische hatte sich schon auf seinem Weg zum modernen Englisch massiv gewandelt. Die normannische Invasion 1066 machte es zu einer germanisch-romanischen Mischsprache, die durch Latein und Griechisch weiter verändert wurde. Heute gibt es kaum eine Sprache, die keine Spuren im Englischen hinterlassen hätte. Bonsai, geisha, futon oder karaoke sind japanisch, angst ist deutsch, sari aus dem Hindi Indiens. Wigwam oder chocolate kommen aus den Indianersprachen Nordamerikas, candy aus dem Arabischen und boomerang ist australischen Ursprungs. Manche Wörter sind international, viele aber auf Varianten des Englischen beschränkt. „Waltzing Matilda“, der Titel des australischen Melodrams, geht auf das Deutsche „auf der Walz sein“ und „Matilde“ zurück, heißt aber soviel wie „mit seinem Bündel auf der Schulter auf Wanderschaft sein“. Matildes Weg nach Australien ist ungeklärt!

Auch die Aussprache gibt Rätsel auf, was jeder Tourist weiß, der den Akzent Glasgows oder das Cockney des Londoner East End gehört hat. Doch ist „didja wanna say sumfink?“ – „wolltest du was sagen?“ auch ein Beleg, der den deutschen Lerner beruhigen kann. Selbst Muttersprachler ersetzen das leidige „th“! Das Englische Indiens, Malaysias, Kenias oder das der Aborigines stellt Fremde vor noch größere Probleme, wenn das Englische mit Heimatsprachen vermischt wird und Wendungen einfließen, die nur dort üblich sind.

„That’s not cricket“, sagte Churchill auf der Münchener Konferenz 1938. Er meinte mehr als er sagte, aber man verstand. Der folgende Ausschnitt aus einem Schulungskurs in einer malaysischen Firma setzt das Malayische voraus: „What sort watch are you wearing?“ („Was für eine Uhr tragen sie?“) – „Paar malam.“ („Eine vom Basar.“). Deutsche Wissenschaftler haben ihre Probleme mit dem Englisch chinesischer oder japanischer Kollegen. Man neigt dazu, das als „gebrochenes“ Englisch abzutun. Doch zu Hochmut besteht kein Anlass. Was ein Viertel der Englischsprachigen tut, sagte ein pakistanischer Minister, kann nicht falsch sein. Der Verlust muttersprachlicher Normen hat auch Folgen für unseren Englischunterricht.

Unausweichlich und unkontrollierbar ist das Englische, denn auch kein Muttersprachler kann seinen Reichtum überblicken, geschweige denn bestimmen, was „gutes“ Englisch ist. Nun wurde es nie kontrolliert, zumindest nicht durch eine Organisation wie die Académie Française. Es gab Institutionen und Privatpersonen, die sich eine Stellung erwarben, die ihre Ansichten über das Englische wichtig machte. Die Fowlerbrüder mit ihrem King’s English und Modern English Usage gehören ebenso dazu wie Webster mit seinen Lexika. Sie formten das Bild des Englischen und werden noch heute verlegt – aber nach zahlreichen Überarbeitungen, die dem Wesen des heutigen Englisch Rechnung tragen.

Die Forschung spricht von einem „plurizentrischen“ Englisch, einem Englisch mit vielen „Epizentren“. Sie bestimmen selbst, was „gutes“ Englisch ist. Neben dem britischen und amerikanischen Englisch stehen das Englische Indiens, Malaysias oder Kenias: Diese Länder haben ein Englisch mit eigenen Regeln. Das Englische reflektiert so die Kulturen der Welt. Nur das amerikanische Englisch formt mit seiner Dynamik ein einigendes Band, ziehen die USA doch die Eliten der Entwicklungs- und Schwellenländer mehr an als jedes andere Land. So situiert sich das Englische heute in einem Spannungsbogen zwischen lokalen und globalen Varianten, den die Forschung untersucht, um das Wissen bereitzustellen, das für modernen Englischunterricht nötig ist.

Eine wachsende Zahl von Experten vertritt nun die Ansicht, es gäbe eine Ebene zwischen den lokalen und globalen Varianten des Englischen. So sagt Robert Phillipson, ein in Dänemark lebender englischer Linguist, es sei Sache der Asiaten und Europäer, ein Asian English oder Euro-Englisch zu definieren. Diese Ebene wäre vorteilhaft, denn sie würde zu Lehrmaterialen für ein Regionalenglisch führen. Wenn Englisch als Lingua franca eine Sprache ohne eigene Kultur ist, würde es nun asiatisiert oder europäisiert – rekultiviert. Das Englische würde zum Fenster in die Kulturen der Regionen.

Das Euro-Englisch, von dem viele sprechen, ist ein in den Institutionen der EU üblicher Jargon, der sich an politischen Erfordernissen orientiert, Dinge zu benennen, für die es keine Wörter gibt. Das leidige „th“ darf zu „s“ oder „t“ werden, das „since“ benötigt kein Perfekt: „I speak English since my childhood“ ist dann „perfektes“ Euro-English. Aber ein Europa-Englisch scheint weder auf dem Wege zu sein noch ist es wünschenswert. Welcher Deutsche würde polnische Wörter verwenden, welcher Pole wie ein Deutscher sprechen? Es fehlt die Akzeptanz.

Wichtig sind Lernstrategien, um Kommunikationsbarrieren zu überbrücken. Die mitteleuropäische „Wärme“ bei der Begrüßung oder dem Abschied ist nicht die gleiche, wie in den südlichen Ländern, wenn man mal die „Kühle“ der Südostengländer außer Acht lässt. Der Schreibstil der Franzosen ist blumiger als der der deutschen Exkurse. Wer interkulturell sein will, benötigt also Detailwissen über den Hintergrund der Partner, mit denen er Englisch spricht. Warum dann nicht gleich in der Landessprache?

Mit der Zukunft des Englischen befassen sich viele Experten. Die Bevölkerungsentwicklung, der Mangel an finanziellen und Humanressourcen, Weltkonflikte oder der Wandel im Prestige des Englischen können seine Bedeutung mindern. Es gibt Szenarien, denen zufolge chinesische Sprachen, Hindi, das mit ihm verwandte Urdu, Spanisch und Arabisch auf internationaler Ebene gewinnen. Malayisch, Russisch, gegebenenfalls Deutsch und wenige andere Sprachen werden in manchen Regionen hinzutreten. Andere Sprachen geraten weiter unter Druck. Wenn das eine neue Weltordnung sein kann, sollte man sich darauf einstellen, gerade in einem exportorientierten Land wie Deutschland.

Das Englische ist also ein heißes politisches Eisen. Statt unreflektierter Akzeptanz, sollte man über Folgen und Alternativen nachdenken. Wenn deutsche Firmen in Ländern, wo Deutsch noch eine gute Basis hat, Englisch wählen, schwächen sie die Entwicklungschancen der Muttersprache. Sie mögen als „modern“ wahrgenommen werden, riskieren aber eine unnötige Kundendistanz und erschweren die Kommunikation mit sich selbst. Die weltweite Kommunikation ist nicht einmal sicher, ist das Englische doch vielschichtiger als man denkt.

Die Schweiz setzt die nationale und soziale Kohäsion aufs Spiel, wenn das Englische als fünfte Nationalsprache zur ersten Fremdsprache avanciert, statt dass die jeweils anderen Nationalsprachen gelernt werden. Man ignoriert Szenarien, die den asiatischen Sprachen, dem Arabischen oder Spanischen ein größeres Gewicht geben. Wenn der multinationale Irakkrieg ohne Englisch nicht möglich war, so wird in den USA – reichlich spät – erkannt, dass der Frieden ohne Arabisch schwer zu erreichen ist. Wir brauchen eine informierte Debatte über Fremdsprachen und ihren Nutzen, die auf Fakten beruht – statt des ständigen Credos an die Kraft des Englischen. Die Welt ist reicher mit ihrer Vielfalt, sie verarmt mit English-only.

Der Autor ist Professor für Englische Linguistik an der Freien Universität Berlin.

Gerhard Leitner

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