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Gesundheit: Flierl, der Einäugige

Von George Turner, Wissenschaftssenator a. D.

Die Empörung über das Verhalten des für Wissenschaft und Kultur zuständigen Senators, Thomas Flierl, angesichts des anmaßenden Auftretens ehemaliger Stasi-Angehöriger ist verständlich. Überraschen konnte das Gewährenlassen der Unverbesserlichen durch den Alt-Genossen nicht. Schon als Bezirks-Baustadtrat in Berlin-Mitte hat er sich als DDR-Nostalgiker und Verhinderer gezeigt. Von Anbeginn galt er als jemand, der vor allem Wählerbedienung betreibt.

Diese Einschätzung hat sich als zutreffend erwiesen. Es ist keine Ironie der Geschichte, sondern der Gipfel des Zynismus, dass jemand wie Flierl, der seine Prägung im DDR-Bildungsministerium erhalten hat, jetzt die Oberaufsicht über die FU führt, die als Antwort auf die Unterdrückung durch die Partei gegründet wurde, deren Nachfolgeeinrichtung er nunmehr angehört. Die Liste seiner „Einäugigkeit“ ist lang: die nachträgliche Verabschiedung abgewickelter DDR-Wissenschaftler, gebremst erst vom Regierenden Bürgermeister; die Vergabe eines Forschungsauftrags zur Ost-Berliner Wissenschaftsgeschichte an seinen ausgeschiedenen Staatssekretär Pasternack; die ideologiebehaftete Forderung nach Einführung der Viertelparität; die Auswahl von Theaterintendanten – um nur einiges zu nennen. Das hat bisher in erster Linie nur die Betroffenen interessiert. Jetzt hat er den Nerv eines größeren Publikums getroffen.

Wenn sich nunmehr der Zorn gegen Flierl richtet, ist das in gewisser Weise sogar ungerecht. Er hat niemanden über seine Haltung getäuscht. Jeder, der sehen und lesen konnte, wusste, womit zu rechnen war. Dass die PDS-Fraktion seinerzeit überhaupt in die Lage kam, Senatoren zu benennen, ist das, worauf der Zorn sich hätte richten sollen. Es war beileibe nicht zwingend, dass die SPD diesen Koalitionspartner wählen musste. In einer Stadt, die weltweit als Symbol für Widerstand gegen die Diktatur des Kommunismus angesehen wurde, in welcher der Schießbefehl praktiziert wurde und es Mauertote zu beklagen gibt, sich mit der Nachfolgepartei der SED einzulassen, ist der Sündenfall. Jenseits von Wahlarithmetik sollte es noch so etwas wie einen politischen Anstand geben. Der ist damals auf der Strecke geblieben. Jetzt ist zu sehen, was Kaderpolitik bedeutet.

Den Hochschulen hat man mit Flierl einen Tort angetan; für die Öffentlichkeit ist er eine Zumutung; für die Stasi-Geschädigten erneut ein Schlag ins Gesicht.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

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