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Gesundheit: Fremdsprachen: "Lernen Sie Finnisch!"

Das Herz Europas schlägt im Sprachlabor: Geht es nach den Bildungsministern der Europäischen Union, soll bald jeder Bürger neben seiner Muttersprache noch zwei weitere der über 30 europäischen Sprachen beherrschen. Doch bislang ist dazu kaum jemand in der Lage, nicht einmal die Studenten.

Das Herz Europas schlägt im Sprachlabor: Geht es nach den Bildungsministern der Europäischen Union, soll bald jeder Bürger neben seiner Muttersprache noch zwei weitere der über 30 europäischen Sprachen beherrschen. Doch bislang ist dazu kaum jemand in der Lage, nicht einmal die Studenten. Eine Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat ergeben, dass "der Prozentsatz der Mehrsprachigen ernüchternd niedrig ist", er liegt in Deutschland bei elf Prozent. Jeder zweite Student sagt von sich, dass er nur schlecht Englisch spricht. Vielen tritt schon der Schweiß aus den Poren, wenn sie einem Franzosen den Weg zum Bahnhof erklären sollen. Die wenigsten wären in der Lage, ein Vorstellungsgespräch irgendwo auf dem europäischen Arbeitsmarkt in einer Fremdsprache durchzustehen.

Was die Hochschulen tun müssen, um Abhilfe zu schaffen, diskutieren am Donnerstag und Freitag Experten gemeinsam mit allen Interessierten bei dem internationalen Sprachenkongress "Mehrsprachigkeit und neue Lernumgebungen", den die Freie Universität Berlin gemeinsam mit dem Europäischen Sprachenrat veranstaltet. Anlass ist das Europäische Jahr der Sprachen 2001. "Die Frage, wo ein Absolvent gewesen ist, wird im Lebenslauf immer wichtiger werden", prophezeit Wolfgang Mackiewicz, Präsident des Europäischen Sprachenrates. Die Wünsche der Personalbüros mögen für den einzelnen schon Grund genug sein, sich um Auslandsaufenthalte und Fremdsprachen zu kümmern.

Englisch reicht nicht

Aus europäischer Sicht geht es bei der Mehrsprachigkeit der Bürger jedoch um mehr als um individuelle Karrieren. Die Europäische Union kann nur mehr als ein übergestülpter Verwaltungsapparat sein, wenn ihre Bürger tatsächlich miteinander politisch, wirtschaftlich und kulturell kooperieren - und zwar auf Augenhöhe. Alle Sprachen der Mitgliedsstaaten werden im EU-Recht deshalb als gleichwertig angesehen: "Man muss den Menschen ihren Wert lassen, sonst kriegen wir gleich den nächsten Krieg", meint Mackiewicz. Also reicht es seiner Ansicht nach auch nicht, nur Englisch zu lernen: "Es geht um mehr als um zweckrationale Kommunikation, es geht um die Kultur." Je exotischer die gelernte Fremdsprache, desto besser seien im übrigen später die Chancen auf dem Arbeitsmarkt: "Lernen Sie Finnisch und Griechisch", so Mackiewicz.

Das empfiehlt auch Reinhard Hoheisel, der am Dienstag zu einer Vorlesungsreihe zum Jahr der Sprachen aus Brüssel an die Humboldt-Uni gekommen war: "Wer Finnisch oder Ungarisch dolmetschen kann, wird von uns sofort mit Kusshand genommen." Hoheisel arbeitet als Sprachkoordinator Deutsch in der EU. Für Uni-Absolventen tut sich in den Übersetzungsdiensten der EU nach Hoheisels Worten mit der Osterweiterung ein gewaltiger Arbeitsmarkt auf. Über 800 fest angestellte und 3000 freie Dolmetscher arbeiten bereits in den beiden großen Dolmetschdiensten der Kommission und des Parlaments - dabei sind die EU-Publikationen und Konferenzen zur Zeit in nur elf Amtssprachen zu übersetzen, bald werden es doppelt so viele sein.

Doch es mangelt an Dolmetschern, die der baltischen, slawischen oder finno-ugrischen Sprachen mächtig sind. Ein Beitrittskandidat, den Hoheisel nicht nennen wollte, habe der EU einen einzigen Übersetzerverband mit nur 200 aktiven Mitgliedern gemeldet. Pro Sprache braucht die EU aber 200 Vollzeitbeschäftigte, um die Masse der Übersetzungen zu bewältigen. Eingangsvoraussetzung für den Dolmetschdienst in der Kommission ist ein Hochschulabschluss in jedem beliebigen Fach. Für die übrigen EU-Bediensteten gilt, dass sie neben ihrer Muttersprache in mindestens einer weiteren Amtssprache ausreichende Kenntnisse haben müssen, "die meisten sprechen in der Kantine und auf dem Flur aber zwei weitere Sprachen", sagte Hoheisel.

Die Experten gehen davon aus, dass die Hochschulen mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen mehr Spielraum gewinnen werden, um die Studentinnen und Studenten auf das zusammenwachsende Europa vorzubereiten. Zukünftige Jahrgänge sollen fremdsprachige Vorlesungen besuchen und ihre Prüfungen in anderen Sprachen ablegen können. Wer Fremdsprachen wählt, soll dafür international anrechenbare Kreditpunkte sammeln können. Dabei geht es um Schlüsselqualifikationen, die später jeder selbst ausbauen kann: "Die Studierenden sollen nicht naiv mit Sprache umgehen, sie sollen verschiedene Register ziehen können und wissen, wie man das Internet nutzen kann", sagt Mackiewicz.

Preiswerte "Lerntandems"

Der Aufwand für die Unis wird damit immer größer. Denn von den Schulen ist auch nach den Reformen des Sprachunterrichts nicht zu erwarten, dass sie den Hochschulen bereits fertig in Fremdsprachen ausgebildete Abiturienten schicken. Zugleich kommen mit der größeren Gewichtung der Sprachen im Schulunterricht auf die Unis neue Aufgaben in der Aus- und Weiterbildung der Lehrer zu. Schon jetzt reichen die Fremdsprachenkurse an manchen Universitäten nicht, um die Nachfrage der Studenten zu befriedigen. Die Vizepräsidentin der FU, Gisela Klann-Delius, meint aber, vieles sei auch mit "relativ wenig Mitteln erreichbar. Mit Phantasie und Initiative können neue Ressourcen entwickelt werden." Die FU habe neue Computer für Autodidakten angeschafft, am Sprachlabor sollen in Zukunft "Lerntandems" gebildet werden: Ein ausländischer und ein deutscher Student bringen einander ihre Sprache bei.

Aber lohnt sich die Mühe, mehrere Sprachen zu lernen, wenn selbst in der, wie Hoheisel sagte, "hochqualifizierten Kleinstadt" der Europäischen Kommission das Englische nicht aufzuhalten ist? "Das Lernen von Englisch, Französisch plus x bleibt eine gute Investition", meint Hoheisel. "Ein Generaldirektor der EU hört mir eher zu, wenn ich ihn in seiner eigenen Sprache anspreche."

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