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Gesundheit: Friedhof der Fischsaurier

Forscher untersuchen eine einmalige Lagerstätte urzeitlicher Lebewesen – manche Meeresräuber sind 15 Meter lang

Ganz Mitteleuropa ist ein ausgedehntes Inselreich mit tropischer Vegetation, zierlichen Sauriern in der Luft und gigantischen auf dem Boden. Durch das ruhige Wasser des Jurameeres im heutigen Baden-Württemberg schweben scheinbar schwerelos riesige Ammoniten, Fische manövrieren durch die Korallenbänke, stets auf der Hut vor den gefräßigen Meereskrokodilen und Haien. Millionenschwärme von Belemniten, tintenfisch-ähnliche Knorpeltiere, vervollständigen mit Schnecken, Krebsen, Paddelechsen und Plankton das marine Leben.

Die Herren des urzeitlichen Gewässers aber sind die Fischsaurier. Ihr Ende ist plötzlich und schrecklich. Etliche dieser delphinähnlichen bis zu 15 Meter langen Meeresräuber sind auf dem „Eislinger Saurierfriedhof“ zusammengespült worden. 17 Exemplare haben die Forscher bislang gefunden, neun haben sie geborgen – so viel wie an keinem anderen Ort der Welt.

Die 20000-Seelen-Gemeinde Eislingen vor den Toren Stuttgarts kommt so zu wissenschaftlichen Ehren. In der Terminologie der Urzeitforscher wird ein neuer Begriff auftauchen: Filsia eislingensis. Das so benannte Geißeltierchen dient den Paläontologen bei der Rekonstruktion der Sauriernekropole als „sehr präzise“ Urzeituhr – es ermöglicht eine zeitliche Auflösung von 200000 Jahren. „Das ist für geologische Verhältnisse ein sehr kurzer Zeitraum“, erläutert Michael Montenari, Geowissenschaftler an der Universität Tübingen.

Und so können die Urzeit-Forscher mit der Kohlenstoff-Isotopen-Analyse an filsia eislingensis das Massensterben der Eislinger Saurier genau festlegen: Es geschah vor 181 Millionen Jahren.

Vor drei Jahren hatten nach dem Zufallsfund eines Saurierknochens die wissenschaftlichen Arbeiten begonnen, eine „Notgrabung mit dem Bagger im Nacken“, wie der Kreisarchäologe Reinhard Rademacher erzählt: Die Bulldozer hatten beim Bau einer Bundesstraße die Urzeit angeknabbert. Der Straßenbau geht unvermindert weiter, die Forscher mussten in diesem Jahr eine Wintergrabung unter beheizten Zelten einlegen.

Dabei sicherten sie weit mehr als 1000 urzeitliche Einzelknochen, zum ersten Mal auch größere Skelettreste von Meereskrokodilen, Haifischen und des seltenen Schlangenhalssauriers. Die Ur–Viecher machen den Wissenschaftlern posthum noch eine spezielle Freude, weil sich ihre Knochen im Gegensatz zu den plattgedrückten Fossilfunden im benachbarten Holzmaden dreidimensional erhalten haben und so eine realistische körperliche Rekonstruktion erlauben.

Ein so wiedererstandener Teenager-Fischsaurier von sechs Meter Länge hängt unter der Decke der neuen Eislinger Stadthalle. Der Kreisarchäologe Rademacher greift zu Superlativen, wenn er die Bedeutung des Eislinger Fischsaurierfriedhofs bewerten soll: „Weltweit einmalig.“

Das betrifft nicht nur die Mengen und Qualität der Funde, sondern inzwischen auch die Ausdehnung über mehrere Quadratkilometer. Denn in einem acht Kilometer entfernten Nachbarort tauchte in der geplanten Sprunggrube eines neuen Sportplatzes die gleiche Ton-Mergel-Schicht mit Überresten von Haifischen und Krokodilen auf wie in Eislingen. Weitere Ausgrabungen sind vorerst dennoch nicht vorgesehen.

Wohin sich die Fundschicht weiter ausdehnt, muss erst noch exakt ergründet werden. Dann kann vielleicht auch sicher geklärt werden, warum die Eislinger Saurier vor 181 Millionen Jahren so plötzlich und reihenweise ums Leben kamen.

Der Geopaläontologe Michael Montenari wendet sich aber gegen monokausale Erklärungen. Aber eines hat er bei seinen geochemischen Untersuchungen der Eislinger Urzeit herausgefunden: „Es gab Ärger im Ökosystem.“ Die filsia eislingensis zeigen für die Zeit vor 181 Millionen Jahren „eine unglaubliche Anreicherung von Kohlenstoff-12“ an, davor und danach verläuft die Kohlenstoff-Isotopen-Kurve gleichmäßig.

„Was ist da geschehen?“, fragt sich der Tübinger Urzeit-Forscher und bietet als Erklärung ein wissenschaftlich bekanntes „Erdrülpsen“ an: Am Meeresboden abgelagertes Methanhydrat zersetzte sich durch äußere Einflüsse wieder in seine Bestandteile Methan und Wasser, das aggressive Methangas blubberte danach an die Meeresoberfläche.

Durch Vergiftung könnte es zu einem Fischsterben gekommen sein, was wiederum den Sauriern die Nahrungsgrundlage raubte. Oder: Die Fischräuber kamen direkt durch die giftige Brühe, in der sie schwammen, ums Leben.

Warum das Methanhydrat instabil wurde und sich auflöste, „das wissen wir noch nicht“, sagt Montenari. „Da reichte vielleicht schon ein kleines Erdbeben, eine Klimaerwärmung oder die Absenkung des Meeresspiegels aus.“

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