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Gesundheit: Für Grundschulen noch kein Grund zum Jubeln Ergebnisse der Leseuntersuchung Iglu nicht leicht zu deuten

Vor falschen Folgerungen aus dem relativ guten deutschen Abschneiden bei der internationalen Leseuntersuchung „Iglu“ warnt der Berliner Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen. Auf keinen Fall dürfe man aus den Ergebnissen irgendwelche Schlüsse auf die Vor- oder Nachteile von bestimmten Schulformen ziehen, wie es jetzt geschehe, meint der FU-Vizepräsident.

Vor falschen Folgerungen aus dem relativ guten deutschen Abschneiden bei der internationalen Leseuntersuchung „Iglu“ warnt der Berliner Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen. Auf keinen Fall dürfe man aus den Ergebnissen irgendwelche Schlüsse auf die Vor- oder Nachteile von bestimmten Schulformen ziehen, wie es jetzt geschehe, meint der FU-Vizepräsident.

Wie berichtet, hatte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) bei der Iglu-Präsentation am Dienstag die Einführung der achtjährigen Einheitsschule in Deutschland gefordert. Sie begründete dies damit, dass die deutschen Schüler bei Iglu besser abgeschnitten hatten als bei Pisa: Bei Pisa waren 15-Jährige getestet worden, also Jugendliche, die auf die verschiedenen Schulformen von Hauptschule bis Gymnasium verteilt sind. Bei Iglu dagegen ging es um Viertklässler, die noch in den Grundschulen zusammen unterrichtet werden.

Lenzen weist nun aber darauf hin, dass die Ergebnisse von Pisa und Iglu nicht direkt miteinander verglichen werden können. Und er nennt mehrere Gründe dafür, warum der Vergleich hinkt:

Es nahmen ganz unterschiedliche Staaten an beiden Untersuchungen teil. Von den 20 Ländern, die bei Pisa vor Deutschland lagen, waren bei Iglu zehn gar nicht mehr dabei, darunter solche Spitzenreiter wie Finnland, Japan und Korea. Stattdessen kamen extrem viele schwächere Länder wie Belize, Iran, Marokko und Kolumbien hinzu

Bei Pisa wurden 15-Jährige getestet. Die aber sind in Deutschland meist erst in der neunten Klasse, weltweit aber schon in der zehnten: Ein offensichtlicher Nachteil für die deutschen Teilnehmer. Bei Iglu hingegen waren die Deutschen leicht im Vorteil, weil die Viertklässler hier im Schnitt ein Jahr älter sind als international.

Die Testaufgaben lassen sich nicht ohne weiteres vergleichen. Bei Pisa waren die deutschen Schüler etwa auffallend häufig bei Fragen gescheitert, wo es um das Verstehen von Gebrauchsanweisungen ging. Solche Aufgaben kamen bei Iglu kaum vor.

Anders als bei Längsschnittuntersuchungen wurden nicht dieselben Schüler bei Pisa und Iglu befragt, sondern erstens andere Schüler und zweitens andere Alterskohorten. Auch dies kann das unterschiedliche Abschneiden bei Iglu und Pisa mit beeinflussen.

Auch den Iglu-Verantwortlichen war klar, dass der Vergleich zwischen Pisa und Iglu nur unter Vorbehalt möglich ist. Darauf weisen sie im Abschlussbericht hin. Dennoch sagte Iglu-Mitherausgeberin Renate Valtin – im Tagesspiegel-Interview angesprochen auf die unterschiedlichen Bedingungen beider Tests – , dass die Statistik „von solchen Abweichungen bereinigt“ worden sei.

Dies aber sei in Gänze gar nicht möglich betont Erziehungswissenschaftler Lenzen. Und deshalb sei es unmöglich, aus der Zusammenschau beider Test etwa zu folgern, das die Grundschule aufgrund ihres Gesamtschulcharakters dem gegliederten Schulsystem überlegen sei.

Aber noch aus anderen Gründen warnt Lenzen davor, die Grundschulen jetzt zu bejubeln, wie es zurzeit geschieht: Er verweist darauf, dass zehn Prozent der bei Iglu getesteten Viertklässler zur so genannten Risikogruppe gehören, weil sie extrem schlecht lesen können. Und insgesamt über 30 Prozent sind von schulischem Misserfolg bedroht, wenn sie nach Klasse vier nicht zusätzlich gefördert werden. Lenzen fragt sich, wie man angesichts dieser Zahlen derart über die Iglu-Ergebnisse erfreut sein könne. Was man aus der Zusammenschau der Studien allenfalls schlussfolgern könne, sei, dass Schulerfolg keine Frage der Schulform, sondern des Unterrichts – des guten Unterrichts – sei.

Es gibt aber noch weitere Gründe, insbesondere in Berlin die guten Iglu-Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten: In Berlin ist der Migranten-Anteil um 50 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Und die Iglu-Forscher haben darauf hingewiesen, dass bei hoher Ausländerrate die Iglu-Ergebnisse schlechter waren als der bundesweite Mittelwert. Deshalb sei es klar, „dass Iglu für Berliner Schulen keine Aussage erlaubt“, betont Iglu-Wissenschaftlerin Renate Valtin. Zudem mache Iglu deutlich, dass es ein Leistungsgefälle von Schulen auf dem Land hin zu städtischen Schulen gebe: Auch dies müsse auf Berlin mit seinen schwierigen sozialen Verhältnissen bezogen werden.

Die Einschränkungen Lenzens und Valtins fügen sich in die Bedenken, die von Berlins Oberschulen nach Bekanntgabe der Iglu-Ergebnisse gekommen waren. Wie berichtet, hatten die Schulen Schwierigkeiten damit, Iglu und ihre eigenen Erfahrungen mit Berliner Grundschülern in Einklang zu bringen.

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