zum Hauptinhalt

Gesundheit: Garantin für den Brückenschlag nach Polen

Die Europa-Universität in Frankfurt/Oder wird in den nächsten sechs Jahren von Gesine Schwan geleitet. Gestern hat der Akademische Senat der Viadrina bei nur einer Gegenstimme die Berliner Politologin zur Nachfolgerin des scheidenden Rektors Hans Weiler gewählt.

Die Europa-Universität in Frankfurt/Oder wird in den nächsten sechs Jahren von Gesine Schwan geleitet. Gestern hat der Akademische Senat der Viadrina bei nur einer Gegenstimme die Berliner Politologin zur Nachfolgerin des scheidenden Rektors Hans Weiler gewählt. Der Wahl war eine längere Phase des Suchens vorausgegangen. Der Vorsitzende der Findungskommission der Viadrina, Professor Hans-Jürgen Wagener, erklärte nach der Wahl: "Frau Schwan entspricht genau dem Profil, das die Hochschule für den neuen Präsidenten formuliert hat. Sie kann die Hochschule in hervorragender Weise nach außen vertreten, was für das Sichtbarmachen einer kleinen Universität in der Hochschullandschaft sehr wichtig ist."Die Viadrina hat von allen deutschen Hochschulen eine besondere Aufgabe: den Brückenschlag nach Polen. Die 1943 in Berlin geborene Gesine Schwan ist schon in der Jugend mit dem Versöhnungsgedanken vertraut gemacht worden. Das lag an ihrer Mutter, die nach dem Ersten Weltkrieg im polnischen Teil von Oberschlesien wohnte, Polnisch sprach und den Gedanken einer guten Nachbarschaft an ihre Tochter weitergab. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Gesine Schwan schon als Studentin den Eindruck gewonnen, daß die Deutschen in Polen weitaus schrecklicher gehaust hatten als in Frankreich und daß daher die deutsch-französische Versöhnung durch eine deutsch-polnische Verständigung ergänzt werden müßte. Hatte Gesine Schwan schon in der Schulzeit fließend Französisch gelernt, so eignete sie sich als Studentin polnische Sprachkenntnisse an und entschloß sich, über den polnischen Philosophen und Dissidenten Leszek Kolakowski zu promovieren.Die damals geknüpften Kontakte zu polnischen Intellektuellen und Dissidenten hielt Gesine Schwan auch in der Zeit aufrecht, als ihre Partei, die SPD, offiziell auf die Verständigung mit dem kommunistischen Regime in Polen setzte. Als Sozialdemokratin kritisierte sie seinerzeit diesen Ansatz als zu einseitig. Heute, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, steht sie noch entschiedener als damals zu der Überzeugung: Wenn es um die Aussöhnung mit Polen ging, hätte der Kontakt zu den Dissidenten im Vordergrund stehen müssen. Aus dieser Zeit stammen die freundschaftlichen Beziehungen zu Dissidenten wie Professor Jerzy Holzer, dem späteren Außenminister Wladyslaw Bartoschszewski, dem heutigen polnischen Außenminister Bronislaw Geremek sowie dem Historiker und Solidarnosc-Mitglied Adam Michnik.Von daher ist es nicht erstaunlich, daß die Viadrina, die den Brückenschlag zu Polen zu ihrer besonderen Aufgabe gemacht hat, in Gesine Schwan die geeignete Präsidentin sieht. Als es jetzt um die Nachfogle des seit 1993 amtierenden Rektors, des Deutsch-Amerikaners Hans Weiler ging, fragte die Viadrina zunächst bei Gesine Schwan nach, ob sie das Präsidentenamt übernehmen wolle. Doch 1998 hatte sich Gesine Schwan ganz auf ihre Bewerbung für das Präsidentenamt an der Freien Universität konzentriert. Die Viadrina nahm daher Kontakt zur ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth auf. Als Frau Süssmuth absagte und Gesine Schwan bei der Präsidentenwahl gegen den FU-Mediziner Peter Gaehtgens unterlag, fragte die Viadrina erneut nach, und jetzt sagte Frau Schwan zu.Die Viadrina orientiert sich nicht nur am Nachbarland Polen, sie bezeichnet sich selbst als Europa-Universität, und auf diesen Auftrag legt Gesine Schwan besonderen Wert. Gesine Schwan ist an einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem 15 Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich und Polen der Frage nachgehen, wie die jeweilige Kultur der Demokratie heute in den drei Ländern aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu erklären ist. Die Randlage der Viadrina an der Oder möchte Gesine Schwan noch bewußter für den Brückenschlag von Westeuropa nach Ostmitteleuropa nutzen - zum Beispiel über Polen hinaus nach Ungarn oder die Ukraine.Die Polen setzen große Hoffnungen auf die Zusammenarbeit mit der Viadrina. In Slubice an ihrem Ufer der Oder haben sie mit dem Collegium Polonicum eine Außenstelle der Universität Posen errichtet, die zugleich als ein großzügig konzipiertes Kongreßzentrum eingerichtet wird. Nach der Jahrtausendwende sollen 15 Studiengänge am Collegium Polonicum angeboten werden. Das geht nur in einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit.Gesine Schwan hat sich bei Wissenschaftsminister Steffen Reiche und Ministerpräsident Manfred Stolpe vergewissert, daß Brandenburg zu seiner Zusage an die Polen steht, fünf Professuren und sieben Mitarbeiterstellen für das Collegium Polonicum ab dem Jahr 2000 zu finanzieren. Und noch eine andere Zusage hat sich Gesine Schwan von Reiche und Stolpe geholt: Keine weiteren Kürzungen sollen der Viadrina während ihrer sechsjährigen Amtszeit auferlegt werden.Außerdem soll die Viadrina zwei weitere Professuren erhalten, ausgestattet mit entsprechenden Mitarbeiterstellen. In welchen Bereichen die neuen Professuren eingesetzt werden, ist noch offen. Die Viadrina und Gesine Schwan reagieren mit der Personalaufstockung auf die Kritik des Wissenschaftsrats, daß die Reform-Universität in Frankfurt an der personellen Untergrenze gefahren werde und ihre Ausstattung nicht ihrem Auftrag entspreche.Besonderes Augenmerk hatte der Wissenschaftsrat auf die kulturwissenschaftliche Fakultät gerichtet, die als letzte der drei Fakultäten gegründet wurde und bis heute noch nicht die Ausstattung besitzt, die es ihr erlaubt, innovative und vor allem integrative Studienangebote zusammen mit den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften anzubieten.Für Gesine Schwan ist nach dem Wahlerfolg und den überraschenden Wenden in ihrem Lebenslauf eines klar: "Ich freue mich über das mir entgegengebrachte Vertrauen und auf die gemeinsame Arbeit an der Frankfurter Universität. Ich will die Präsidentschaft in der Viadrina mit einem weiteren Engagement in Berlin verbinden." Dieser Grundsatz schlägt sich nicht nur ganz banal in einem weiteren Wohnsitz in Frankfurt nieder, sondern auch in wissenschaftlichen Kooperationen.Ihr schwebt die Gründung einer Graduate School vor, in der die besten Doktoranden in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften zusammenkommen. Diese Graduate School soll gemeinsam von den Brandenburger und Berliner Universitäten betrieben werden. Eine Finanzierung durch Stiftungsgelder und Studiengebühren für die Postgraduate-Studenten könnte die Realisierungschancen verbessern. Positive Signale aus der Technischen Universität und der Humboldt-Universität hat Gesine Schwan bereits erhalten. Die Aufnahmebedingungen werden hoch sein: Neben einem hervorragenden Hochschulabschluß müssen drei Sprachen beherrscht werden: Deutsch und Englisch sind obligatorisch, die dritte Sprache steht zur Wahl.An der Viadrina sind zur Zeit 3000 Studenten aus 30 Nationen immatrikuliert. Ein Drittel kommt aus Polen. Die Berufsaussichten der Absolventen sind, wenn die Polen die deutsche Sprache beherrschen, im Zeichen der Osterweiterung der EU besonders gut. Die Viadrina bietet Studiengänge in Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Jura, Kulturwissenschaften und den Bachelor und Master-Studiengang in International-Business-Administration an. Eine Reihe von Aufbaustudien in Zusammenarbeit mit dem Collegium Polonicum ergänzt das Angebot.

UWE SCHLICHT

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false