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Gesundheit: Gefühl des Ekels: Schleim, Schimmel, Fäulnis

Wir ekeln uns vor Kot und verschimmeltem Essen, vor verfaulenden Leichen und schleimigem Rotz. Ekel strukturiert unseren Alltag: Wir waschen uns, um nicht zu stinken, wir blicken in den Spiegel, um keinen Popel in unserer Nase zu übersehen.

Wir ekeln uns vor Kot und verschimmeltem Essen, vor verfaulenden Leichen und schleimigem Rotz. Ekel strukturiert unseren Alltag: Wir waschen uns, um nicht zu stinken, wir blicken in den Spiegel, um keinen Popel in unserer Nase zu übersehen. Wir würgen und übergeben uns und reagieren damit auf Dinge, die wir abstoßend finden: Kot, Urin, Blut, Sperma, Schleim. Doch in fast allen Gesellschaften ekeln sich Menschen nicht nur vor Körperausscheidungen und verwesenden Kadavern, sondern auch vor anderen Menschen und dem was sie tun - vor Homosexuellen etwa, oder vor Juden. Das behaupten sie jedenfalls.

Ein ungewolltes Objekt einverleiben

Das Gefühl des Ekels, so die These der amerikanischen Philosophin Martha C. Nussbaum, werde vor allem benutzt um auszugrenzen. In ihrem Vortrag im Einsteinforum in Potsdam ging es um die Frage, welche Rolle Empfindungen von Ekel und Abscheu bei ethischen und rechtlichen Problemen spielen: Kann unser Ekel vor einer Tat ein Grund sein, diese moralisch und rechtlich zu verurteilen?

Ekel sei zunächst das Widerstreben, sich ein ungewolltes Objekt einzuverleiben, erklärte Nussbaum. Wir ekeln uns davor, geröstete Kakerlaken zu essen oder Verwesungsgeruch einzuatmen. "Es sind immer Tiere oder tierische Produkte, oder Dinge, die mit ihnen Kontakt hatten. Wir haben Angst, durch diese Dinge verseucht zu werden und selbst auf unser tierisches Dasein reduziert zu werden", sagte Nussbaum. "Ekelhafte Dinge erinnern uns daran, sterblich zu sein, Ekel zeugt von unser Angst, selbst zu Abfallprodukten zu werden." Dieser Ekel sei tief in uns verankert, alle Erwachsenen entwickelten ihn in bestimmten Formen, Gesellschaften lehrten ihn, so Nussbaums. Empfindungen des Ekels seien resistent gegen Argumente.

Doch Ekel beschränkt sich nicht auf Gerüche, Körperflüssigkeiten und Kadaver, meint Nussbaum: "Wir wollen uns so sehr von unsererm tierischen Dasein abgrenzen, dass wir das nicht nur gegenüber Fäkalien und Kakerlaken tun. Wir scheinen Gruppen von Menschen zu brauchen, um unser höheres, reineres Menschsein gegenüber dem niedrigen Tierischen abzugrenzen." So hätten die Nationalsozialisten das Bild des ekelhaft weichen und weiblichen Judens konstruiert, des fauligen Parasiten im gesunden deutschen Volkskörper. Männer haben sich geekelt vor Menstruation und weiblicher Sexualität und Frauen als minderwertig betrachtet. Auch männlichen Homosexuellen begegnen manche Menschen mit Ekel und Abscheu.

Mildernde Umstände

Ekel und Abscheu vor bestimmten Taten haben immer wieder eine Rolle bei juristischen Urteilen gespielt. Martha Nussbaum nannte Beispiele aus den USA: Verbrecher, die sich vor ihren homosexuellen Opfern ekelten, haben versucht, dies als mildernden Umstand anzuführen. Der Ekel, den Richter oder Geschworene vor einem Mord empfinden, wurde, zum Beispiel in Georgia, als Maßstab für die besondere schwere des Verbrechens herangezogen. Dabei darf Ekel, anders als Wut, nicht als mildernder Umstand herangezogen werden, argumentiert dagegen Nussbaum. Wut könne dann berücksichtigt werden, wenn das Opfer den Täter schwer provoziert hätte. Ekel vor bestimmten Menschen aber gehe nicht von ihnen selbst aus, sondern werde auf sie projiziert. Die Empfindung von Ekel dürfe daher niemals Einfluss auf ein gerichtliches Urteil haben. Auch nicht, um die schwere eines Verbrechens zu beurteilen.

Menschen, die wir ekelhaft finden, würden dadurch zu Tieren oder Monstern herabgewürdigt, die es nicht verdient hätten, so behandelt zu werden wie wir. "Durch Ekel können wir uns vor bestimmten Gruppen einer Gesellschaft bequem distanzieren", so Nussbaum."

Sibylle Salewski

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