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Gesundheit: Gegen das Vergessen

Was hilft Demenzkranken? Ärzte greifen meist nur zu Pillen – aber ihre Wirkung ist begrenzt

Amerikas Alt-Präsident Ronald Reagan hat sich damals in einem offenen Brief von seinen Landsleuten verabschiedet, als die Diagnose feststand: Demenz. Wäre soviel Mut auch bei uns denkbar? „Noch immer scheuen viele den Weg in die Öffentlichkeit, sogar den Weg zum Arzt“, sagte Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Die Bundesärztekammer hatte sie eingeladen, beim Schwerpunktthema Demenz ihres 29. Internationalen Forums „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ in Berlin zur Situation der Kranken und ihrer Familien zu sprechen.

Die Kranken leben in Unruhe und Angst, Vewirrung und Depression durch den Verlust der Orientierung in Zeit und Raum. Am Ende erkennen sie die nächsten Angehörigen nicht mehr, von denen sie völlig abhängen. Die Angehörigen sind durch die 24-Stunden-Pflege körperlich und seelisch so überfordert, dass sie oft selbst krank werden. Die Familien fühlen sich allein gelassen, ziehen sich zurück, geraten in die Isolation. Die Heime sind zu 60 bis 70 Prozent mit Demenzkranken belegt, für deren angemessene Versorgung aber meist nicht gerüstet. So stellt man sie ruhig.

Jeder vierte Deutsche wird die degenerative Veränderung seines Gehirns noch erleben, schon jetzt sind etwa eine Million betroffen, sagte der Freiburger Hochschul-Psychiater Matthias Berger, und alle lebensverlängernden Fortschritte der Medizin werden dieses schwierigste Problem unseres Gesundheitswesens nur noch vergrößern.

Wer an Demenz denkt, denkt an Alzheimer. Fritz Henn, Direktor des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim, wies daraufhin, dass aber „nur“ etwa 60 Prozent an der Alzheimer- Demenz leiden, einem degenerativen Hirnleiden, bei dem Eiweißablagerungen Nervenzellen und deren Verbindungen zerstören. Daneben gibt es auch die vaskulären – gefäßbedingten – Demenzen (etwa 20 Prozent), außerdem Mischformen und seltenere Varianten. Und nicht zuletzt körperliche Störungen können das Gehirn schädigen, zum Beispiel Schilddrüsenfehlfunktionen, Stoffwechselkrankheiten, Vergiftungen etwa mit Alkohol oder Medikamenten, Austrocknung, Vitaminmangel durch extreme Fehlernährung (Veganer).

Schon wegen der Therapierbarkeit dieser Störungen sollte man frühzeitig medizinische Hilfe suchen. „Wenn jemand mit dem Verdacht auf Demenz selbst zum Arzt geht, hat er fast nie eine“, meinte Henn. Mit psychometrischen Tests, Laboruntersuchungen und modernen bildgebenden Verfahren lässt sich die Diagnose sichern. Viele Ärzte aber scheuen sich, sie den Betroffenen klar mitzuteilen, ergab eine Befragung von Haus- und Nervenärzten. Über diese Studie des Hamburger Universitätsinstituts für Allgemeinmedizin berichtete dessen Direktor Hendrik van den Bussche. Eines der Probleme: Ärzte haben kaum Informationen über Hilfsangebote wie Gedächtnissprechstunden, Verhaltenstraining, ambulante Dienste, Selbsthilfegruppen, Ratgeberliteratur und -websites. So greifen sie meist nur zu Medikamenten, die den geistigen Abbau stoppen, zumindest verzögern sollen. Oft werden Gingkoextrakte verordnet. Eine nennenswerte Wirksamkeit sei aber nicht nachweisbar, sagte der Freiburger Psychiater Michael Hüll.

Als Mittel der Wahl bei leichter und mittelschwerer Alzheimer-Demenz gelten die (mit Durchschnittskosten von täglich etwa fünf Euro sehr teuren) Cholinesterase-Blocker. Sie hemmen Enzyme, die an der Entstehung der Eiweißablagerungen im Gehirn beteiligt sind. Es sind die Wirkstoffe Donepezil (Aricept), Rivastigmin (Exelon) und Gelantamin (Reminyl). Wirksamkeitsstudien ergaben, dass sie den geistigen Verfall bei einzelnen Patienten leicht verzögern; Donepezil etwa bei jedem elften, teilte Hill mit. Als Erfolg gilt schon, wenn dessen Zustand sich für ein halbes Jahr nicht verschlimmert. Die Nebenwirkungen reichen von Durchfall und Erbrechen bis hin zu Herzrhythmusstörungen.

Die Diskussion über die Wirksamkeit der Medikamente wird kontrovers geführt. „Also was sollte man schlucken?", fragte zum Beispiel der Alzheimer-Experte Henn. Seine Antwort: „Ich habe keine Idee, was man schlucken sollte!“ Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft legte während der Tagung eine revidierte Therapieempfehlung zur Demenz vor: Wie bei anderen schweren Krankheiten, etwa Krebs, sei es „bei der medikamentösen Behandlung der Demenz ärztliches Gebot, auch mögliche kleine Verbesserungen und Erleichterungen anzustreben“. Aus dem ärztlichen Auditorium kam dagegen der Vorschlag, auf nutzlose Therapieversuche zu verzichten, die nur falsche Hoffnungen wecken, und die frei werdenden Ressourcen für eine bessere Versorgung der Kranken einzusetzen.

Immerhin gibt es wirksame Arzneimittel gegen Begleitsymptome der Demenz wie Ängste, Wahnvorstellungen oder Depressionen. Es bleibt auch die Hoffnung auf bessere Demenzmittel – sowie auf die Entwicklung eines Impfstoffes. Noch sei man nicht so weit, sagte der Züricher Psychiater Christoph Hock. Es ist zwar schon gelungen, Mäuse gegen die krankhaften Ablagerungen im Gehirn zu impfen (sie bildeten Antikörper gegen Bete- Amyloid) und ihre Gedächtnisleistungen zu verbessern. Beim ersten Versuch mit Alzheimerpatienten jedoch entwickelten sechs Prozent schwere Nebenwirkungen: Hirnhaut- und Hirnentzündung. „Wenn es gut läuft“, meinte Hock, „werden wir vielleicht in zehn Jahren einen wirksamen und sicheren Impfstoff haben.“

„Alzheimer-Telefon“ der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft: 01803-171017. Weitere Infos beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, Tel. 01805-262302 sowie bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Tel. 30-400456- 500, E-mail: info@akdae.de oder www.akdae.de

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