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Gesundheit: Geheimnis des Christentums

Karl Rahner war ein verschlossener Mensch, aber als Theologe erreichte er eine große Gemeinde. Zum 100. Geburtstag des Reformers

Er muss geschrieben haben wie ein Wilder. Über 3500 Essays, Lexikonartikel und Bücher hat er veröffentlicht. Das Werk des Mannes ist ein Riesengebirge. Karl Rahner gilt vielen als der bedeutendste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, als der, der die katholische Theologie in die Moderne gebracht hat. Er ist der Kopf ihrer „anthropozentrischen Wende“. Doch wer heute anfängt, Theologie zu studieren, für den ist der 1984 gestorbene Jesuitenpater und Theologieprofessor meist ein Unbekannter.

Vielleicht, weil seine Sprache als schwer zugänglich gilt. Seine langen, gewundenen Satzkonstruktionen sind geprägt von seinem Lehrer Martin Heidegger. Zwei Jahre lang studierte Rahner von 1934 bis 1936 bei ihm in Freiburg Philosophie. Da war er schon über zwölf Jahre Mitglied des Jesuitenordens und seit zwei Jahren Priester. Der verschlossene Schwarzwälder verbrachte all seine freie Zeit über dicke Folianten gebeugt. Seine Studiengenossen nannten ihn den „Holzkopf“. Rahner war ein mürrischer Mensch, einer der austeilen konnte und selbst nur zu leicht verletzbar war, und einer, der hoch emotional war und dadurch viele Menschen erreichte.

Vieles, was heute in der katholischen Theologie zum Allgemeingut geworden ist, stammt von ihm. Gnade, zum Beispiel, verstand Rahner als die „Selbstmitteilung Gottes“: In Jesus hat Gott sich dieser Welt zugesagt, sich „in sie hinein gesprochen“. Mit dieser Terminologie prägt Rahner bis heute die Sprache der Kirche. Er wollte weg vom Schulsystem der Neuscholastik, weg von dem bis dahin alles bestimmenden Kanon der auf Latein verfassten Lehrbücher. Kirche und Christentum, so Rahner, sollten sich den Problemen der Gegenwart zuwenden, sich mit Naturwissenschaften und Technik auseinander setzen und eine neue Spiritualität entwickeln. „Mein Christentum ist, wenn es sich selbst nicht missverstehen soll, der Akt eines Sichloslassens in das unbegreifliche Geheimnis hinein“, schrieb Rahner 1972, „mein Christentum ist daher alles andere als eine ,Erklärung’ der Welt und meiner Existenz.“

Rahner war weder ein Kirchenrebell noch ein liberaler Erneuerer, der mit dem Alten brechen wollte. Seine Schüler waren oft überrascht, mit welcher Härte er traditionelles Wissen prüfte. In Rom aber galt Rahner bei manchen Vertretern der Kurie als „fortschrittlicher“ Theologe. Anfang der 60er Jahre wurde er sogar unter „Vorzensur“ gestellt, doch nur wenige Monate später wurde er als offizieller theologischer Experte ins zweite Vatikanische Konzil berufen. Mit diesem Konzil öffnete sich die katholische Kirche und begann eine Neuorientierung. Die Aufbruchsstimmung in der Kirche, die während und nach diesem Konzil herrschte, geht wohl entscheidend mit auf Rahner zurück.

Von dieser Stimmung ist heute, in einer Zeit, in der die katholische Kirche unter Papst Johannes Paul II. wieder in eine restaurative Phase getreten ist, nichts mehr zu spüren. Rahners Werk scheint fast vergessen zu sein. Vielleicht auch, weil er nie ein geschlossenes theologisches System entwickelt hat. Er hat geschrieben, wann immer er dafür einen Anlass gab, wenn es um ein Problem ging, wenn ein Lexikon erschien, wenn er zu einer Diskussion beitragen wollte. Das macht sein Werk unübersichtlich, aber auch lebendig. Und dieser Stil war ihm Programm: „Eure Theologie soll nicht mit billigen Kompromissen denkfaul arbeiten“, lässt Rahner den Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola in einer fiktiven Rede sagen. „Aber ein glasklar durchkonstruiertes System der Theologie wäre ein falsches System.“

Sibylle Salewski

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