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Gesundheit: Gelehrter Rebell

Der Berliner Jurist Uwe Wesel wird 70 Jahre alt

Welcher ist nun der richtige Wesel? Der Bürgerschreck, der der Professor für römisches und bürgerliches Recht an der FU für viele in den stürmischen Jahren des Studentenprotestes war? Die Links-Verschiebung an der Spitze der FU verstörte die akademische Dahlemer Provinz in den Sechziger- und Siebzigerjahren immerhin nachhaltig. Sie hatte in dem sprachmächtigen, immer an der vordersten Front der Streits um die Studenten-Rebellion zündelnden Vizepräsidenten der Jahre von 1969 bis 1973 ihren herausragenden Repräsentanten. Oder ist es der Jurist, der Verfasser gewichtiger Studien, der rechtspolitische Publizist mit seiner gewandten, von den Verlagen geschätzten Feder, der Gelehrte und Liebhaber des römischen Rechts, der sich mit Vergnügen der Digesten-Lektüre hingibt? Tatsächlich hat Uwe Wesel seinerzeit kräftig dazu beigetragen, die Hochschule und das alte West-Berlin durcheinander zu bringen. Inzwischen wird man in ihm vielleicht eher den Autor einer originellen Rechtskunde unter dem hübschen Titel „Fast alles was recht ist“ oder einer umfangreichen „Geschichte des Rechts“ sehen.

Man wird sich wohl damit abfinden müssen, dass der linke und der gelehrte Wesel ein und derselbe sind. Der notorische Kritiker, der selten eine Chance ausließ, sich quer zu legen, und der Professor, der mit akkurater Handschrift seine Arbeiten verfasst, geben die Figur eines Nonkonformisten, wie sie sonst nur im angelsächsischen Raum vorkommt. Die Biografie gibt die Fußnoten dazu: Der Sohn eines Maschinenschlossers, in Hamburg geboren, studiert klassische Philologie, bevor er zur Jurisprudenz wechselt, wird Schüler eines renommierten Münchener Rechtshistorikers, der ganz in der Tradition der klassischen deutschen Universität steht – und lässt sich, kurz nach seiner Berufung nach Berlin, zum Vizepräsidenten in der von der Studentenrevolte erschütterten Freien Universität wählen.

War er von sich selbst überrascht? In Wesels vor einem Jahr erschienenen, sehr persönlich gehaltenen Geschichte der 68er-Rebellion, betitelt „Die verspielte Revolution“, liest sich das alles heute schon wie eine amüsante Abenteuer-Geschichte. Ganz so lustig war es vielleicht doch nicht; die Sache hat, zurückhaltend ausgedrückt, den Preis lang anhaltender Irrungen und Wirrungen gekostet, auf beiden Seiten. Den Schuh des Verdachts, ein Konvertit zu sein, braucht sich Wesel – im Unterschied zu vielen anderen – jedoch nicht anzuziehen: Er ist wirklich ein Linker und ist es geblieben, jenseits der politischen Festlegungen, jenseits auch der Moden – was immer das heißt. Doch das ist seine Sache. Seine Leser haben an ihm den Ertrag beträchtlicher Intelligenz, fast altertümlicher Gelehrsamkeit und einer unter Juristen seltenen Lesbarkeit. Das Linke buchen sie ab als ein Beispiel bürgerlicher Exzentrik in den Zeiten alter und neuer Unübersichtlichkeit. An diesem Sonntag wird Uwe Wesel 70 Jahre alt.

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