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Gesundheit: Wie die Deutschen immer schlechter essen

Übergewichtige Mutter = übergewichtiger Nachwuchs? An der Charité wird diese Frage erforscht Ein neuer Bericht zeigt: Die Deutschen ändern ihre Ernährungsgewohnheiten – zum Schlechten

Der Bonner Universitätsclub liegt romantisch hoch über dem Rheinufer. Gleich nebenan steht das Haus, in dem 1789 Peter Joseph Lenné geboren wurde, der später mit den schönsten Garten- und Parkanlagen die Herzen der Berliner erfreute. Weniger romantisch sind die großen Containerschiffe, die sich den Strom hinaufkämpfen, beladen mit Baumaterial, Autos oder Lebensmitteln. Ob Letztere immer dem entsprechen, was sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) unter gesundem Essen vorstellt, ist nicht klar. Wahrscheinlich nicht, denn laut Ernährungsbericht 2008, den die Gesellschaft Ende Januar im Uni-Club vorgestellt hat, liegt so einiges mit unseren Essgewohnheiten im Argen.

Seit 1969 veröffentlicht die DGE alle vier Jahre einen Bericht, in dem die Ernährungslage in Deutschland umfassend aus wissenschaftlicher Sicht dargestellt wird. Gleich zu Beginn des 400-Seiten-Buches finden sich interessante Grafiken. Zum Beispiel geht daraus hervor, dass der Getreidevebrauch hierzulande seit 2000 wieder ansteigt, was nicht zuletzt auf das große Angebot an sogenannten Ready-to-eat-Produkten, denen man in Form von belegten Brötchen inzwischen in jedem U-Bahnhof begegnet, zurückzuführen ist. Die Kartoffel hingegen, einstmals Retterin aus mancher Hungersnot, hat einen schweren Stand. Verbrauchte 1950 noch jeder Deutsche im Jahr fast 200 Kilogramm, sind es inzwischen nur noch knapp 70. Die Kartoffel ist uncool geworden. „Viele decken ihren Bedarf an Kohlehydraten heute mit Nudeln oder Reis“, sagt Günther Wolfram von der TU München, Chefredakteur des Ernährungsberichts, „oder in Form von frittierten Kartoffelerzeugnissen“, sprich: Pommes Frites. Die enthalten aber wieder ernährungsphysiologisch problematische ungesättigte Fettsäuren.

Und das führt ins Zentrum des größten Problems: Immer mehr Menschen in den Industrieländern sind übergewichtig. Bei den Männern sind die Normalgewichtigen mittlerweile ab einem Alter von 35 Jahren in der Minderheit, bei den Frauen ab 55 Jahren. Helmut Heseker, Professor an der Universität Paderborn, findet zahlreiche Gründen dafür. „Unsere Gene sind darauf eingerichtet, Hunger und Mangel, nicht aber Überernährung zu bewältigen“, sagt er. Über einen Zeitraum von hunderttausenden Generationen mussten wir Energie akkumulieren, wo immer es möglich war. Erst seit etwa 300 Generationen besteht relative Nahrungssicherheit. Heute, so Heseker, bewegen wir uns viel weniger als früher und essen dazu häufiger außer Haus, was eher dazu führt, dass man alle Portionen auch aufisst. Richtige Ernährung sei aber auch eine Bildungsfrage. „Menschen mit geringer Schulbildung denken weniger voraus und leben eher im Jetzt“, sagt Heseker. „Weniger zu essen ist unbequem, weil es zwingt, über die eigene Situation und damit über die Zukunft nachzudenken.“

Andreas Plagemann von der Klinik für Geburtsmedizin der Charité kennt noch einen weiteren Grund für Übergewicht. Er vertritt den relativ jungen Forschungsbereich „Perinatale Programmierung“, in dem beobachtet wurde, dass schon im Mutterleib entscheidender Einfluss darauf ausgeübt wird, ob ein Kind später fettleibig wird. Studien haben gezeigt: Eine übergewichtige Mutter erhöht das Risiko für das Kind, selbst Übergewicht und Diabetes zu entwickeln. Bereits jetzt ist ein Drittel der gebärfähigen Frauen in Deutschland zu dick. Plagemann appelliert, dass Frauen nach Möglichkeit mit Normalgewicht in die Schwangerschaft gehen und nicht „für zwei“ essen. Außerdem rät er ihnen, möglichst lange zu stillen, denn auch das senkt das Risiko. „Die genauen Gründe kennt man noch nicht, aber es hat mit der Zusammensetzung der Muttermilch gegenüber der im Handel erhältlichen Milch zu tun“, so Plagemann. Stillen verhindert auch die Gefahr der Übersättigung durch die Flasche.

Für alle, die dem Säuglingsalter entwachsen sind, hält die DGE Tipps zur Ernährung bereit, die sich in den letzten 20 Jahren nur minimal verändert haben. Neu hinzugekommen ist zum Beispiel die Empfehlung, fünf Mal am Tag Obst und Gemüse in kleinen Mengen, also etwa eine Handvoll, zu sich zu nehmen. Generell gilt: Die Abwechslung macht’s. Reichlich Getreideprodukte sollten darunter sein, Zucker, Salz, Eier oder Fleisch dagegen nur in Maßen. Die Speisen sollten schonend zubereitet sein, das heißt: kurz und bei niedrigen Temperaturen garen.

Man sollte sich Zeit nehmen, bewusst zu essen. Dann greift man automatisch zu verschiedenen Lebensmitteln und verpasst außerdem nicht den Zeitpunkt, an dem sich das Sättigungsempfinden einstellt. Dazu trinkt man am besten 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag, wobei es sich von selbst versteht, dass damit Säfte oder Wasser – mit oder ohne Kohlensäure – gemeint sind und nicht Alkohol oder Limonade. Im neuen Ernährungsbericht steht auch, dass Alkohol Krebs befördert, sofern der Tumor schon vorhanden ist.

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