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Gesundheit: Gleichung mit Unbekannten

Deutschland hat sich bei Pisa II nur wenig verbessert. Braucht die Schule neue Reformen?

Ein bisschen besser haben die deutschen Schüler im neuen Pisa-Test wohl abgeschnitten – aber noch immer nicht gut genug. Die vorab veröffentlichten Ergebnisse der internationalen Schulstudie alarmieren Bildungspolitiker und Pädagogen. Wie berichtet, soll Deutschland in Mathematik diesmal Platz 17 von 31 Industrienationen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erreicht haben – vor drei Jahren war es Platz 20. Außerdem sei das deutsche Schulsystem noch immer das selektivste; Migrantenkinder und Kinder aus bildungsfernen Schichten haben die international schlechtesten Chancen, Abitur zu machen.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eva-Maria Stange, forderte gestern ein Förderprogramm für benachteiligte Schüler und mehr Lehrerfortbildung. Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulrike Flach (FDP), kritisierte, nach der ersten Pisa-Studie sei nicht in die Verbesserung der Qualität des Unterrichts investiert worden, „sondern in Mess- und Evaluationsverfahren“. FDP-Chef Guido Westerwelle forderte erneut die Abschaffung der Kultusministerkonferenz (KMK). Westerwelle macht das Gremium, in dem sich die Kultusminister der Länder über Schulreformen abstimmen, für das schlechte deutsche Abschneiden beim neuen Pisa-Test verantwortlich. „Nicht die Schüler sind dümmer geworden, sondern das System ist falsch“, sagte er und sprach sich für „mehr Autonomie für die Bildungsträger aus“.

Gerade die nationale Bildungsberichterstattung und die Bildungsstandards für die Schulen, auf die sich die Bundesländer in der KMK geeinigt haben, lobte das Bundesbildungsministerium gestern als Reaktionen auf den ersten Pisa-Schock: Diese Initiativen, aber auch die von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) angeschobene bundesweite Einführung von Ganztagsschulen zeigten, das Deutschland auf dem Weg sei, „die Schule zu verändern und verbessern“, hieß es aus dem Ministerium. Sprecherin Sabine Baun sagte, gebraucht werde eine „gemeinsame nationale Anstrengung von den für die Schulen verantwortlichen Ländern und dem Bund, aber auch von allen anderen Beteiligten vor allem in den Schulen“.

Ein neues Bildungs-Programm als Reaktion auf die Ergebnisse, die am 6. Dezember offiziell vorgestellt werden, werde es aber nicht geben, sagte Baun. Drei Jahre nach der ersten Studie könnten die Resultate nicht besser sein, betonte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Vor „Panikmache“ warnte CDU-Bildungsexpertin Katherina Reiche. Was Schulreformen bringen, wisse man „erst nach fünf bis zehn Jahren“.

Eine radikale Bildungsreform fordert die grüne Bildungsexpertin Grietje Bettin. Sie will das dreigliedrige Schulsystem abschaffen. Solange es eine „heilige Kuh“ bleibe, seien durchgreifende Besserungen nicht zu erwarten. Auch OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher erklärt das deutsche Schulsystem für gescheitert. Die Aufteilung der Kinder nach dem vierten Schuljahr auf Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen führe dazu, „dass schwache Schüler abgeschoben statt individuell gefördert werden“, sagte Schleicher dem Wirtschaftsmagazin „Capital“.

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn wollte sich gestern ebenso wenig wie die Vorsitzende der KMK, Doris Ahnen (SPD, zu den vorab bekannt gewordenen Ergebnissen äußern: Bulmahn sagte, sie könne die Studie nicht kommentieren, weil sie ihr nicht vorliege. Ahnen kritisierte den „Wettlauf um die Vorveröffentlichung der Pisa-Ergebnisse“, der die sachliche Auseinandersetzung mit den Daten erschwere. Gleichzeitig plädierte Ahnen dafür, die offensichtliche Verbesserung Deutschlands nach Rangplätzen nicht zu unterschlagen: „Deutschland befindet sich danach in allen Kompetenzfeldern im Mittelfeld.“ Größere Veränderungen seien in einem so komplexen System wie der Schule innerhalb so kurzer Zeit nicht erwartbar, betont Ahnen.

Unterdessen wurden neue Teilergebnisse bekannt: Laut dpa sind deutsche Schüler gut im Lösen von Alltagsproblemen. Bei einer im Rahmen der Pisa-Studie durchgeführten Sondererhebung konnten die 15-Jährigen beispielsweise CD’s richtig einsortieren und erklären, wie man eine defekte Luftpumpe repariert.

Diskussion zum Thema im Internet:

www.tagesspiegel.de/pisa

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