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Gesundheit: Gut ohne Gott

Sind religiöse Menschen moralisch überlegen? Nein, sagen Forscher – und entwerfen eine atheistische Ethik

Sie sind unter uns. Sie sind überall. Sie treffen sich in Kneipen, im Internet, manchmal auch auf Kongressen. Gut möglich, dass Sie dazugehören. Dass auch Sie ein „Bright“ sind.

„Bright“, das Wort kommt aus dem Englischen und steht für: leuchtend, strahlend, hell – nicht zuletzt im Kopf. Im engeren Sinne sind „Brights“ Menschen mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild, genauer gesagt: einem „naturalistischen“ Weltbild, frei von Übersinnlichem, Esoterik und Hokuspokus. Manche würden sagen: einem kalten, sinnfreien, seelenlosen Weltbild.

Der amerikanische Philosoph Daniel Dennett hat es in der „New York Times“ wie folgt formuliert: „Wir Brights glauben nicht an Geister, Elfen, den Osterhasen – oder Gott.“

Weniger auf den Osterhasen, dafür umso mehr auf Gott haben es die Brights abgesehen. So veröffentlichte Dennett selbst zuletzt ein Buch mit dem Titel „Breaking the Spell“ („Den Bann brechen“), in dem es darum geht, Religion als reines Naturphänomen zu entlarven.

Kurz darauf legte Dennetts Bright-Kollege, der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins nach und startete mit seinem Buch „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“, ab September in deutscher Übersetzung bei Ullstein) einen Generalangriff auf den Glauben: Wer im heutigen, wissenschaftlichen Zeitalter noch an Gott glaube, so Dawkins, der leide unter einer Art psychotischem Wahn. Für den Hardliner Dawkins ist Religion nichts weiter als ein „Virus des Geistes“, gegen die es allerdings eine Medizin gibt: Wissenschaft und Aufklärung.

Und wie so oft bei Trends aus Amerika, schwappt auch die Bright-Welle langsam nach Deutschland über. „Wir sind in der Hinsicht zwar gemäßigter“, sagt Michael Schmidt-Salomon, Autor eines „Manifests des evolutionären Humanismus“ (Alibri 2006). So scheint es, als würden bei uns Religion und Wissenschaft eher eine friedliche Koexistenz führen. „Aber auch hier könnte sich die Sache mehr und mehr zuspitzen, die Fronten sich radikalisieren.“

Denn durch und durch „bright“, meint Schmidt-Salomon, seien auch wir in Deutschland (noch) nicht. Zum Beispiel halten einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge nur 46 Prozent der Deutschen die Evolutionstheorie für richtig. Und wie das Institut Infratest im Auftrag des Magazins „Zeit Wissen“ herausfand, glaubt fast ein Drittel der Bevölkerung nicht, dass Menschen und Affen gemeinsame Vorfahren haben.

Dem deutschen Bright Schmidt-Salomon jedoch geht es nicht einfach nur um bessere Kenntnis der Biologie. Es geht ihm vor allem um ein besseres Leben. Salomons Vision: Aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaften – von der Evolutionstheorie bis zur Hirnforschung – könnte ein Weltbild erwachsen, dass zu einer anderen, humaneren Ethik führt als jene, die uns die Religionen, etwa das Christentum oder der Islam, anbieten.

Aus Sicht des Brights sind die Zehn Gebote der Bibel zum Beispiel „einfach nicht mehr zeitgemäß“, ja sie führten mitunter sogar zu ungerechtem Verhalten, wie Schmidt-Salomon meint. Deshalb will er die Zehn Gebote ersetzen – und zwar durch die „zehn Angebote des evolutionären Humanismus“ ( siehe Infokasten ).

„Christliche Ethik ist nicht mehr gegenwartstauglich“, davon ist auch der Biophilosoph Eckart Voland von der Universität Gießen überzeugt. „Der moderne, aufgeklärte Staat ist viel weiter als das Alte und Neue Testament.“

Und so schwebt den Brights eine neue Ethik aus dem Geiste der Wissenschaft vor, die der christlichen Moral teilweise diametral entgegengesetzt ist:

Beispiel Tierschutz. Mach dir die Erde untertan, heißt es in der Bibel. Bright-Ethiker dagegen kommen zum Schluss, dass viele Tiere über sehr ähnliche Hirnstrukturen verfügen wie der Mensch und somit vermutlich ähnlich leidensfähig sind. Der australische Bioethiker Peter Singer hat daraus den Schluss gezogen: Auch Tieren müssten gewisse Grundrechte zugestanden werden. Eine befruchtete menschliche Eizelle, beklagt er, genieße unter Umständen mehr Rechte als ein ausgewachsener Menschenaffe – obwohl die Eizelle nicht im Geringsten leidensfähig sei, der Affe dagegen schon.

Beispiel Sterbehilfe. Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen: Für Brights, die daran nicht glauben, gibt es kaum rationale Gründe, warum ein Mensch nicht über sein eigenes Leben und seinen Tod entscheiden dürfte.

„Wir Humanisten gehen vom Menschen aus, nicht vom Imaginären wie Gott oder einem abstrakten Begriff wie Würde“, sagt Schmidt-Salomon.

Und das könne nicht nur zu einer humaneren Welt führen, sondern auch zu einem Gefühl, dieses Leben – unser einziges – als unendlich kostbar zu empfinden, wie Dawkins meint: „Wenn wir eine Sekunde davon vergeuden oder uns beschweren, dass es dämlich, öde oder langweilig ist – ist das nicht ein Anschlag auf all jene, denen niemals die Möglichkeit zu leben gegeben wurde?“

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