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Gesundheit: Haie in Schwaben

Eine Fossillagerstätte auf der Alb verblüfft die Paläontologen

„Viel Steine gab’s und wenig Brot.“ Dieser eine Vers von Ludwig Uhland genügt, um die wirtschaftliche Situation im 19. Jahrhundert auf der Schwäbischen Alb zu beschreiben. Über seinen Besuch von 1839 in Nusplingen notiert der Geologe Friedrich August Quenstedt: „Wir befinden uns hier in einem unbedeutenden Abraum, wo irgend ein industriöser Bauer die grosse Brauchbarkeit der Platten zu häuslichen Zwecken erkannt hat; Und doch erregt sie unsere Aufmerksamkeit in so hohem Grade!“

Was den Professor aus Tübingen so erregte, hatte freilich wenig mit den Bemühungen des „industriösen Bauern“ zu tun, dem steinigen Untergrund Bodenplatten, Deckel für Milchhäfen oder Dachschindeln abzuringen. Es war der ungeheure Fossilreichtum der kleinen Gesteinsgrube und führte den Begriff „Nusplinger Kalkplatten“ ein.

Seither hat es zahlreiche Versuche gegeben, aus dem zerbrechlichen Bodenschatz wirtschaftliches Kapital zu schlagen oder ihn als bedeutende Fundstätte zu etablieren. Doch es fehlte an Weitsicht und Durchhaltevermögen. Auf dem Höhepunkt der Ignoranz begann 1980 eine Firma unweit des historischen Steinbruchs mit der Produktion von Wegschotter. Erst auf Antrag des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart konnte die gesamte, 1,5 Quadratkilometer große Fossillagerstätte auf dem Gebiet der Gemeinden Nusplingen und Egesheim unter Schutz gestellt werden.

Wenn es das Wetter auf der rauen Alb zulässt, rücken die Paläontologen mit Hammer, Meißel und Pinsel an. Sie suchen nach 150 Millionen Jahre alten Kadavern und Pflanzenresten, die der Zufall auf dem damaligen Meeresboden verteilt hat. Dabei glückte Gerd Dietl und Günter Schweigert in den letzten neun Jahren ein Schwabenstreich nach dem anderen, so der Erstnachweis von Bernstein im europäischen Jura.

„Wir schlagen die Platten kurz und klein“, sagt Dietl. In Wahrheit ist es ein Job für Spezialisten. Denn die Fossilien sind oft nur an der Bruchkante zu entdecken, und das Spalten der fragilen Kalkplatten erfordert eine sichere Hand.

Die Fundgrube entpuppte sich als echtes Haifischbecken. Zehn haiähnliche Meerengel mit einer Länge von bis zu 1,4 Meter haben die Forscher schon freigelegt. Die Familie der Meerengel hat ihre abgeflachte Körperform bis heute beibehalten. Die sonderbaren Räuber leben eingegraben im Sediment. Dort lauern sie auf unvorsichtige Fische, Krebse oder Weichtiere, die sie einfach einsaugen und herunterschlucken. Warum strandeten die tropischen Haie auf der Hochfläche der Alb? Das Klima war damals wärmer, die Gegend lag 900 Meter tiefer und ist seit der Jura-Zeit um zehn Breitengrade nach Norden gewandert. Weitere Informationen liefert ein Reiseführer der Malediven: Man darf von einer kleinen Lagune träumen, die von Inseln umringt ist.

Doch die Idylle täuscht. In 80 Meter Tiefe lauert der Tod. Weil das Meer nur sporadisch frisches Wasser in die Lagune drückt, fehlt am Boden der Sauerstoff. Kein Krebs knabbert hier an Kadavern, kein Wurm durchwühlt den Untergrund, keine Strömung verteilt die Skelette. Und leise rieselt der feine Kalk, den Milliarden von Grünalgen ausscheiden, die sich im warmen Oberflächenwasser tummeln. Wenn die Algenblüte abklingt, stoppt auch die Sedimentation. An dieser Stelle lassen sich die Platten heute spalten.

Feinkörnige Sedimente entstehen nur bei „ungestörter“ Ablagerung in ruhigem Wasser. Sind die Kalkplatten grau und bitumenreich, können sogar die organischen Bestandteile des Lebewesens überliefert sein. So geschehen bei der Nusplinger Riesenlibelle, deren Flügeladerung erhalten ist. Das Insekt mit einer Flügelspannweite von knapp 16 Zentimetern lebte auf einer der benachbarten Inseln. Dort muss es zumindest kleinere Tümpel gegeben haben, da sich Libellenlarven nur im Süßwasser entwickeln können.

So trägt jeder neue Fund zur Rekonstruktion der Lagune und ihrer Umgebung bei. Etwa 300 Tier- und Pflanzenarten wurden bereits identifiziert, darunter einige neue Spezies.

Angesichts der enormen Zeitspanne und der Kräfte, denen die Fossilien während der Gesteinsbildung ausgesetzt sind, ist es erstaunlich, was die Grabesgemeinschaft alles erzählen kann. Da ist die Geschichte der Tintenfische, deren Farbbeutel von den Raubfischen verschmäht wurde.

Oder das zerbissene Gehäuse eines Seeigels: Versteinertes Symbol für das große Fressen und Gefressenwerden. Dank Nusplingen haben die Forscher auch das Rätsel um die wurmförmigen Häufchen gelüftet, die als Lumbricaria beschrieben wurden. Es handelt sich schlicht um Ammonitenkot, wie ein Vergleich mit dem Mageninhalt dieser Tiere bewies.

Mathias Orgeldinger

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