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Kleiner Helfer. Eine Keramikprothese kann geschädigte Handgelenke mobil erhalten. Liana Kath kann die Hand mit dem künstlichen Gelenk problemlos bewegen und biegen.

© Thilo Rückeis

Handchirurgie: Ein simpler Dreh

Liana Kath war 28, als ein Sportunfall ihr Handgelenk schädigte. Die klassische OP-Methode ist das Versteifen. Chirurg Joachim Felderhoff entwickelte eine Alternative: Eine Keramikprothese erhält die Beweglichkeit

Von Susanne Leimstoll

Es ist jetzt sieben Jahre her. Ein kleiner Sportunfall, nichts Außergewöhnliches. Liana Kath, einer gut trainierten jungen Frau, knallt im Training der Ball ans linke Handgelenk. Höllischer Schmerz, Verdacht auf Bänderdehnung. Danach kann sie ihre Hand nicht mehr richtig drehen, nicht mehr abknicken. Das Ziehen hört auch in Ruhehaltung nicht auf. Im Unfallkrankenhaus Marzahn stellen sie fest: Das Mondbein, einer der acht Handwurzelknochen, die mit der Speiche das Handgelenk bilden, wird nicht mehr richtig durchblutet. Bei der folgenden OP entfernen die Ärzte den Knochen und transplantieren einen anderen an die Stelle. Doch die Schmerzen bleiben, werden immer schlimmer. Die Patientin läuft von Arzt zu Arzt, konsultiert verschiedene Chirurgen. Alle raten zur klassischen Methode, das Handgelenk zu versteifen. Da ist Liana Kath 28 und macht gerade ihren Friseurmeister. Sie ist verzweifelt. „Wie soll ich so arbeiten?“ Schließlich hört sie von Handchirurg Joachim Felderhoff in Wilmersdorf. Der sagt, es gibt da was Neues, eine Handgelenk-Prothese. Ein ambulanter Eingriff. „Ich war begeistert“, sagt Liana Kath. „Und ich sollte meine Hand wie früher bewegen können. Das war wie ein Sechser im Lotto!“

Handgelenkprothese, das hört sich schrecklich an, irgendwie nach Captain Hook. Da muss der Arzt Joachim Felderhoff, 48, spezialisiert auf Hand- und Fußchirurgie, lachen. Er hält die Prothese in der flachen Hand: zwei kleine, weiße Keramikteile, nur einige Zentimeter groß. MBW nennt sich der künstliche Gelenkersatz: „Multiaxes Bioverticoated Wrist“. Felderhoff hat es mitentwickelt. Ein System, das den komplizierten Aufbau der Handwurzelknochen, die mit Bändern und Gelenken verbunden sind, ignoriert. „Eine Unzahl von Kleingelenken, die in der Summe die Bewegung ausmachen: beugen, strecken, drehen“, sagt Felderhoff. „Unmöglich zu rekonstruieren.“ Er fand einen schematischen Ersatz. So einfach funktionieren die beiden Keramikstückchen, die aussehen wie ein Spielzeug: Ein Kreisel dreht sich in einer ovalen Pfanne.

Felderhoff demonstriert die Methode an einer Skeletthand, deutet auf die Handwurzelknochen: hier das Kahnbein, da das dreieckige Mondbein. Das kommt bei der OP raus, vom Kopfbein wird eine kleine Scheibe entfernt. Hier bohrt der Chirurg ein feines Loch, in dem der raue Stift des Kreisels verschwindet, der sich später mit dem Knochen verbindet. Die Pfanne kommt in eine Bohrung im hauchfein abgesägten Ende der Speiche. Für einen Spezialisten ein unaufwendiger Eingriff: Ein sechs bis acht Zentimeter langer Schnitt, die OP dauert eine Stunde.

In den vergangenen Jahren hat Joachim Felderhoff 70 solcher Implantate eingesetzt. Er schwört auf die zementfreie Technik. „Mit Keramik gibt es keine Abstoßungsreaktion.“ Das System funktioniert auch als Hemiprothese – die alte Gelenkpfanne bleibt, nur das Knöchelchen in der Handwurzel wird ersetzt – oder mit weit filigraneren Prothesen auch beim Finger- und Daumensattelgelenk. Klingt simpel, und dennoch ist der Gedanke an eine Kleinprothese in der Hand für viele befremdlich. „Die Hüftprothese ist akzeptiert, weil man sie schon lange kennt“, sagt Felderhoff. „Bei der Hand ist die Barriere größer.“ Ein Körperteil, auf dessen Unversehrtheit und Beweglichkeit niemand auch nur für nur eine Sekunde verzichten mag.

Die häufigste Ursache für ein schwer geschädigtes Handgelenk sind Arthrose oder Brüche nach Stürzen, häufig auch falsch verheilte Frakturen. Felderhoff sagt, er habe mit der neuen Prothetik selbst schlecht voroperierte Gelenke wieder beweglich gemacht: operativ versteifte Handgelenke, mit Schrauben unbeweglich gemachte Knochen. Die Kosten für den Materialeinsatz sind gering, sie liegen bei 2000 Euro. Die Erfolgsquote sei sehr gut. 80 Prozent der Fälle bleiben auch nach vielen Jahren ohne Beschwerden. „Wir sind keine Zauberer, aber das ist ein tolles Ergebnis“, sagt Felderhoff, ein Tüftler, der nach dem Abi erst eine Ausbildung als Feinmechaniker machte, ehe er sich für die Medizin entschied.

Mit Einschränkungen muss der MBW-Patient leben lernen. Er kann leichte Arbeiten machen, aber nicht schwer heben. Tennis spielen, aber kein Leistungstennis. Dafür Filigranarbeiten wie Töpfern oder ein Musikinstrument spielen. „Ein Schmied wird seinen Beruf nicht mehr ausüben können. Da ist die Gefahr zu groß, dass die Prothese sich lockert.“ Der Patient sollte also kein Schwerarbeiter sein.

Joachim Felderhoff, 48, hat das Implantat mitentwickelt.
Joachim Felderhoff, 48, hat das Implantat mitentwickelt.

© Prof. Dr. Joachim Felderhoff

Liana Kath ist einer von Felderhoffs erfolgreichen Fällen. Sie lebt seit sieben Jahren beschwerdefrei mit dem kleinen Fremdkörper im Gelenk. „Nach der OP konnte ich gleich nach Hause. Und ich kann mich über die Heilung nicht beschweren“, sagt sie. Sechs Wochen war ihr Arm ruhig gestellt, noch einmal drei bis vier Monate hat es gedauert, bis die alte Beweglichkeit wiederhergestellt war. Die Krankengymnastik startete in der zweiten Woche. „Ich kann zwar nicht mehr Handball spielen, aber Sport treiben: Fitness, Laufen, sogar Ski und Snowboardfahren.“ Dafür hat sie sich einen Handschuh mit integrierter Plastikverstärkung zugelegt. Der schützt zusätzlich. „Niemand sieht mir die Verletzung an.“

Liana Kath ist heute 35. Sie musste beruflich nicht umsatteln, hat sich als mobile Friseurin selbstständig gemacht, lebt in Schulzendorf und hat Kunden im großen Umkreis. Beschwerden? „Selten“, sagt sie. „Wenn ich zu viel mit der Hand mache, merke ich, dass ich es übertrieben habe. Dann bin ich vorsichtiger.“ Schmerzen verschwinden schnell. „Wie lange hält das?“, hat sie ihren Arzt damals gefragt. Joachim Felderhoff hat lächelnd geantwortet: „Ewig.“ „Das war natürlich geflachst“, sagt Liana Kath. „Aber sollte mein Handgelenk irgendwann doch versteift werden müssen, konnte ich bis dahin wenigstens super leben.“

Den Erfolg schreibt sie Felderhoff zu – und ihrer Hartnäckigkeit. Sieben Fachärzte hatten ihr zur Versteifung des Handgelenks geraten. Als sie sagte, da muss es doch noch eine andere Möglichkeit geben, lautete die Antwort: Selbstverständlich, aber nicht für Sie als Kassenpatientin. „Das war ein Schlag ins Gesicht.“ Sie hat sich nicht entmutigen lassen. Ihre Krankenkasse, die IKK, hat die OP übrigens bezahlt – anstandslos.

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