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Gesundheit: Harry Potter im Ohr

Stimme, Stimme, Stimme: Hörbücher erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Der Markt wächst, auch Jugendliche greifen zu

Von Dorothee Nolte

Man nehme: einen Sessel, einen Sonntagnachmittag, eine Kanne Tee. Oder: einen Stau, ein Wartezimmer, eine Reise mit der Eisenbahn. Dann, ein Knopfdruck, und schon schmeichelt, bohrt, drängt sich eine Geschichte ins Ohr, die Gehirnzellen kribbeln, vor dem inneren Auge entstehen brasilianische Urwälder, Pariser Bistros und schwäbische WGs, aufgehoben fühlt man sich, hingegeben, vom Erzähler sanft geleitet oder markig aufgewühlt, ein Zustand zwischen Wachen und Träumen: Hörseligkeit.

Man kann natürlich auch Pech haben. Dann kratzt, hetzt oder schnupft die Sprecherstimme, die Geschichte schleppt sich dahin, und die eingespielte Musik ist von einem Kitsch, dass die Kopfhörer von den Ohren fallen. Beim Hörbuch ist ja, anders als beim Buch, nicht nur die Qualität des Textes entscheidend. Aber immer mehr Kunden lassen sich von den Vorzügen überzeugen, die es bietet. „Bei uns gibt es keine Krise", strahlt die Chefin des Verlags Hörbuch Hamburg, Margrit Osterwold. „Die Einkäufe der Buchhändler für den Herbst laufen prima."

Den Jahresumsatz der Branche, in der sich über 200, darunter auch sehr kleine Anbieter tummeln, schätzt das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel auf rund 35 Millionen Euro, Tendenz steigend. Das ist zwar nur ein Bruchteil des Geschäfts mit dem traditionellen Buch, aber die Hörbuch-Verleger haben sich schon seit Mitte der neunziger Jahre aus der Nische derer befreit, die für Sehbehinderte, Kinder und versprengte bildungsbürgerliche Liebhaber produzierten.

„Natürlich sind die Gebildeten und gut Verdienenden für uns eine wichtige Käufergruppe", sagt Heike Völker-Sieber, Sprecherin des „Hörverlags" in München. „Aber gerade Jugendliche schätzen die Mobilität und Flexibilität, die das Hörbuch bietet."

Entsprechend vielfältig ist der Markt. Es gibt Hörbücher als Lesung und als Hörspiel, mit Musik und ohne; das Spektrum der Titel reicht von den Krimis Henning Mankells (Hörverlag) bis zu Originalaufnahmen von WM-Fußballreportagen (Hörbuch Hamburg), von Tucholskys „Rheinsberg" (Der Audioverlag) bis hin zur deutsch-arabischen Aufnahme des Koran (Hoffmann & Campe).

Hörbücher werden inzwischen von großen Zeitungen rezensiert und erreichen Auflagen von durchschnittlich 3000 bis 5000 Stück. Bestseller gibt es auch – die Harry Potter-Hörbücher (Hörverlag), gelesen von Rufus Beck, verkauften sich eine Million Mal – , und bekannte Schauspieler wie Monica Bleibtreu oder Udo Samel leihen ihnen ihre Stimme.

A propos: Für Margrit Osterwold ist das Wichtigste am Hörbuch eben dies - „Stimme, Stimme, Stimme". Sie zieht die klassische Lesung der Hörspielfassung vor und liebt Charakterstimmen wie die von Christian Brückner, oder Hannelore Hoger. „Wir haben keine Schwierigkeiten, gute Sprecher zu finden", erzählt Osterwold. „Schauspieler machen das gerne, um sich wieder intensiv mit einem literarischen Text auseinanderzusetzen - anders als bei den oft dümmlichen Drehbüchern."

Osterwold ist gelernte Buchhändlerin, hat 35 Jahre im Verlagsmanagement gearbeitet und sich 1995 selbstständig gemacht. Jetzt sieht ihr Alltag als Chefin des Verlags Hörbuch Hamburg anders aus als in den klassischen Buch-Berufen: Sie engagiert Sprecher und Schauspieler, Regisseure und Tontechniker, verbringt ganze Wochen im Studio bei den Aufnahmen und diskutiert mit ihren zwei festen Mitarbeitern darüber, ob die Stimme von Alice Schwarzer zu den Reportagen von Marion Gräfin Dönhoff passt oder ob auf einer deutsch-englischen CD ein junger Schauspieler die deutsche Fassung von Henry Millers „Das Lächeln am Fuß der Leiter" lesen kann - „ja, haben wir entschieden, das gibt einen reizvollen Kontrast zur rauchigen Stimme von Miller".

Viele Kunden kaufen Hörbücher allerdings nicht, um einen professionellen Sprecher zu genießen; sie wollen lieber den Autor, die Autorin der Geschichte hören - selbst wenn der monoton liest. „Im Zweifel entscheiden wir uns für den Autor", sagt Heike Völker-Sieber vom „Hörverlag". Der 1993 gegründete Marktführer „Hörverlag" ist ein Zusammenschluss mehrerer Verlage, darunter Suhrkamp, Kiepenheuer & Witsch und Hanser, und hat etwa 50 Prozent Marktanteil.

Viele Hörbücher werden gar nicht von den Verlagen produziert, sondern von Radiosendern übernommen, gerade im Falle der teuren Hörspiele. So ein Fall ist auch die aufwändige O-Ton-Collage „Unter dem Gras darüber - Erinnerungen an 100 Jahre Deutschland" von Inge Kurtz und Jürgen Geers, aufgenommen vom Hessischen Rundfunk und erschienen im „Hörverlag". Darin erzählen über hundert Menschen, Arbeiter wie Großbürger, Junge wie Alte, aus ihrem Leben, ein Sammelsurium von Stimmen, die die Zeit von etwa 1890 bis heute lebendig werden lassen, auf insgesamt fast 900 Minuten. Heike Völker-Sieber: „Bei dieser Aufnahme ist gerade das Spannende, dass die Leute authentisch erzählen und keine professionellen Sprecher sind."

Das dürfte ja auch für viele Teilnehmer am Tagesspiegel-Erzählwettbewerb gelten. Zwei dieser wertvollen Cassetten-Sets können übrigens diejenigen Teilnehmer gewinnen, die sich für eine Geschichte aus ihrem Leben, passend zu unseren Themen, entschieden haben.

Beim Erzähl-Wettbewerb des Tagesspiegels gibt es auch zahlreiche Hörbücher zu gewinnen, gestiftet vom Verlag Hörbuch Hamburg ( www.hoerbuch-hamburg.de ), vom Heyne Hörbuch Verlag und vom „Hörverlag" ( www.hoerverlag.de ). Weitere Links zum Thema Hörbuch und Hörspiele: www.hoerothek.de , www.hoernews.de , www.hoerspielstation.de , www.hoerspielwoche.de

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