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HeilSTÄTTEN: Viele irre Geschichten

In der Dämmerung wäre die alte Nervenklinik Charité-Campus in Mitte ein idealer Drehort für einen Thriller oder Horrorfilm – am besten für einen historischen. Man fühlt sich in die Zeit des frühen 20.

In der Dämmerung wäre die alte Nervenklinik Charité-Campus in Mitte ein idealer Drehort für einen Thriller oder Horrorfilm – am besten für einen historischen. Man fühlt sich in die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts zurückversetzt. Jeder Mauerstein des gotisch anmutenden Hauses scheint hier seine besondere Geschichte zu haben. Links und rechts des Haupteingangs thronen Türmchen, auf dem Vorplatz wacht eine Büste von Wilhelm Griesinger, der in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts Direktor der psychiatrischen Klinik der Charité war und hier die moderne Psychiatrie begründete, damals noch in einem älteren Gebäude, das heute nicht mehr steht.

Durch ein Portal, das gut zu einem englischen Herrenhaus passen würde, betritt man die Nervenklinik aus dunkelroten Backsteinen und gelangt schnell in einen langen weißen Gang. Zur Linken liegt ein Innenhof mit Tischtennisplatte und hohen alten Bäumen, zur Rechten hängen unter dem Titel „Vom Irrenasyl zur Nervenklinik“ Ausstellungstafeln zur Geschichte des Hauses – die auch die Geschichte der Psychiatrie in Berlin ist. Um „Seelenstörungen“, „Geisteskranke“ in der „Irrenabtheilung“ geht es dort in historischen Texten. Auf alten Schwarz-Weiß-Fotos sitzen und liegen Patienten in Betten, die dicht an dicht in großen Krankensälen stehen – getrennt nach Geschlechtern.

Auf einem Bild sieht man in einem der Säle Badewannen, die zur sogenannten „Hydrotherapie“ verwendet wurden: Dabei saßen Patienten mit Angsterkrankungen in einem 36 Grad warmen „Dauerbad“ – und zwar ganze Tage. Sie aßen selbst dort, nur zum Schlafen ging es in ihre Betten im Schlafsaal nebenan. Heute scheint diese Form der Therapie sehr seltsam, schon lange gibt es keine großen Schlafsäle und „Dauerbäder“ mehr. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie aber ein Zeichen dafür, wie modern die Nervenklinik geworden war: Die alten Gebäude der Charité, in denen schlimme Zustände geherrscht hatten, waren abgerissen worden – und bei laufendem Betrieb durch den heutigen Bau ersetzt worden. Der war nicht mehr dafür konzipiert, psychisch Kranke einzusperren wie das vorherige Haus, sondern dafür, sie zu heilen.

Der lange Gang mit den Ausstellungstafeln trennt seitdem zwei nahezu identische Gebäudeteile. Zusammen haben sie von oben gesehen die Form des Buchstabens H – und der Gang ist der Querbalken. Hier ist man meist allein, nur Stimmen und Schritte hallen aus anderen Teilen des Hauses herüber. In der leicht unheimlichen Atmosphäre kann sich ein Besucher mit etwas Fantasie schnell einbilden, Geräusche aus der Vergangenheit zu hören – wie eine Tonspur zur Ausstellung. Dabei kommen die Geräusche aus der heutigen Klinik für Psychiatrie und der Nervenklinik im hinteren Teil des Gebäudes und aus der Klinik für Neurologie und der Psychiatrischen Poliklinik im vorderen Teil – und ganz bestimmt nicht aus dem Dauerbad. Daniela Martens

PSYCHIATRIE DER CHARITÉ IN MITTE

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