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Gesundheit: Herzerfrischend

Lässt sich die Muskelpumpe mit Zellen aus dem eigenen Knochenmark reparieren? Zwei Studien geben Hoffnung

Wäre es nicht praktisch, wenn es in unserem Körper eine Armee von Reservezellen gäbe, die ausrücken könnten, wenn ein Organ verletzt wurde? Sie könnten die abgestorbenen Zellen ersetzen und so das Gewebe reparieren. Besonders nützlich wäre das für Organe, deren Zellen in der Regel nicht nachwachsen, wenn sie einmal zerstört sind, beispielsweise das Hirn und das Herz.

Die gute Nachricht ist, dass es diese Zellen in unserem Körper gibt. Es sind die „adulten Stammzellen“, „Urzellen“, die sich in verschiedene Gewebetypen spezialisieren können. Aber funktioniert das auch in der Praxis? Dieser Frage sind zwei Ärzteteams aus Rostock und Hongkong nachgegangen – und die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.

Seit 2001 behandeln die beiden Teams unabhängig voneinander kranke Herzen mit Stammzellen aus dem Knochenmark. In der aktuellen Ausgabe der Medizinerzeitschrift „Lancet“ (Band 361, S. 45-49) berichten die Herzspezialisten zeitgleich über erste Erfolge der Therapie.

Die chinesischen Forscher dokumentieren die Behandlung von acht, ihre Kollegen aus Rostock von sechs Patienten. In Rostock wurden in der Zwischenzeit weitere fünf Patienten behandelt, wie Gustav Steinhoff, Direktor der Klinik für Herzchirurgie der Uni Rostock dem Tagesspiegel mitteilte. In beiden Studien zeichnet sich ab, dass die Stammzellgabe verträglich und sicher ist. Es kam außerdem zu einer besseren Durchblutung und Funktion des Herzmuskels, wie die Mediziner drei bis neun Monate nach der Behandlung feststellten. Ob das wirklich den Stammzellen zu verdanken ist, ist jedoch noch nicht zweifelsfrei erwiesen.

Die Herzspezialisten hoffen auf einen neuen Trumpf in einer Situation, in der sie bisher allzuoft passen mussten. Medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln, Aufweitung von verschlossenen Herzkranzgefäßen mit einem Ballonkatheter, Einpflanzung von High-Tech-Röhrchen, die diese offen halten sollen („Stents“), Bypass-Operationen: Das alles kann zwar die Durchblutung verbessern. Man verhindert aber nicht, dass bei zahlreichen Patienten der Herzmuskel dauerhaft geschädigt bleibt oder wird. Wenn wichtiges Muskelgewebe abstirbt, ist die Leistung der Herzpumpe auf Dauer geschwächt. Auch Medikamente können das oft nicht mehr ausgleichen.

Die Herzchirurgen um Christof Stamm von der Rostocker Uniklinik hatten die Stammzellen direkt in die Wand des Herzmuskels an der Infarktgrenze gegeben. Die Kardiologen vom Queen Mary Hospital der Universität Hongkong um Hung-Fat Tse verabreichten ihren Patienten mit schwerer Angina pectoris die Stammzellen ebenfalls direkt ins Herzgewebe. In früheren Versuchen einer Düsseldorfer Arbeitsgruppe waren die Stammzellen dagegen in die Herzkranzgefäße gespritzt worden.

Mit Stammzellen aus dem Knochenmark ist man bereits wohlvertraut, weil sie seit Jahren bei Krebspatienten nach einer Chemotherapie eingesetzt werden. Durch die Medikamente wird in diesem Fall zuvor die Produktion der eigenen, krankhaft veränderten blutbildenden Zellen radikal heruntergefahren.

Die Behandlung des Herzens mit Stammzellen ist anspruchsvoller. Denn bei den Krebspatienten übernehmen die Stammzellen ihren gewohnten Part in der Blutbildung. Bei den Infarktpatienten sollen die aus dem Beckenkamm gewonnenen Knochenmarkszellen dagegen neues Herzgewebe bilden, das die Herzfunktion dauerhaft verbessert. Prinzipiell kann man ihnen das zutrauen, denn es ist bekannt, dass sie nicht nur Blut bilden, sondern auch Gefäße reparieren und Muskelzellen bilden können. Und im Tierversuch an Mäusen ist die Bildung neuen Herzmuskel-Gewebes schon geglückt.

Ob die Stammzellen es jedoch auch beim Menschen schaffen, die Bildung neuen Herzgewebes anzuregen, ist auch durch diese beiden Pionier-Studien noch nicht bewiesen. Die Rostocker Patienten bekamen zugleich eine wirksame Behandlung in Form einer Bypass-Operation – eine Vergleichsgruppe ohne Stammzellbehandlung fehlte. Und die Patienten aus Hongkong fühlten sich zwar nach der Zellgabe ohne zusätzliche Therapie besser und nahmen weniger Medikamente gegen akute Beschwerden. „Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Effektivität der Methode“, meint Steinhoff. Dass bei der Besserung des Befindens auch die Hoffnung auf eine neue Wunderwaffe mitspielte, ist aber nicht auszuschließen, wie die Ärzte aus Hongkong selbst einräumen. Um unrealistische Erwartungen, die bei neuen Stammzell-Therapien nicht gerade unüblich sind, erst gar nicht aufkommen zu lassen, verordnen die Kommentatoren im gleichen „Lancet“-Heft den Lesern „eine gesunde Portion Skepsis als Begleitmedikation“.

Adelheid Müller-Lissner

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