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Gesundheit: Hier können Familien forschen

Ein Programm für Unis soll Wissenschaftlern mit Kindern bessere Karrierechancen geben

Sie fehlen in keiner Diskussion über die demografische Entwicklung: kinderlose Akademikerinnen. Beruf und Kinderwunsch miteinander zu vereinbaren, scheint insbesondere für Wissenschaftlerinnen schwierig zu sein. Immer mehr Hochschulen erkennen das und präsentieren sich als familienfreundlich. Zehn von ihnen bekamen Mitte Juni in Berlin das Zertifikat „Familiengerechte Hochschule“ von der Hertie-Stiftung verliehen. Die Stiftung bietet das „Audit Familiengerechte Hochschule“ an. Dabei suchen so genannte Auditoren gemeinsam mit Beteiligten nach Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

Hans Bertram, Soziologe an der Humboldt-Universität, hält dies für bitter nötig: „Die deutschen Universitäten sind extrem unfreundlich gegenüber Kindern und Familien“, sagt Bertram, der der Familienkommission des Bundestags vorstand. Karrierewege seien an den Hochschulen nur darauf ausgerichtet, dass man sich hundertprozentig dem Beruf widmet. „Wenn man sich daneben aber auch der Familie widmen will, hat man Nachteile“, sagt Bertram.

Eine der Auditorinnen ist Elisabeth Mantl. Die Familienhistorikerin sieht das Hauptproblem für Wissenschaftlerinnen darin, dass die eigene Qualifikationsphase, in der man an Promotion oder Habilitation arbeitet, mit dem Zeitfenster zusammentreffe, in dem man ein Kind bekommt. In der stressintensiven Habilitationsphase könne man nicht mit gutem Gewissen ein Kind bekommen. „Der Entscheidungsdruck zwischen Wissenschaft und Familie ist groß. Und die Option Familie wird oft abgewählt“, sagt Mantl. Denn wer durch familiäre Verpflichtungen weniger veröffentlicht hat oder seltener auf Fachkongressen war, habe in Berufungsverfahren schlechtere Chancen. Der Konkurrenzdruck sei hart, es entscheide einzig die wissenschaftliche Qualifikation.

Neben getrübten Karriereaussichten treten konkrete Probleme im Alltag: Etwa dass Betreuungsmöglichkeiten für Kinder fehlen oder zeitlich zu eng begrenzt sind. Wenn die Kita um 14 Uhr schließt, muss für jedes Seminar am Nachmittag oder für das abendliche Colloquium eine Betreuung organisiert werden. Probleme wie diese wollen die zehn Universitäten angehen, die beim Audit teilnehmen. Die Auditoren sehen sich dabei als Moderatoren, die Hochschulleitung mit Professoren, jungen Wissenschaftlern, Mitarbeitern und Studierenden zusammenbringt. Gemeinsam identifizieren sie die größten Probleme und legen Ziele fest. Die Uni verpflichtet sich, sie in drei Jahren zu erreichen. Das „Grundzertifikat“, das nun neun Hochschulen erhalten haben, steht am Anfang des Prozesses. Nach drei Jahren erhalten sie, wie jetzt die Fachhochschule Hildesheim, das zweite Zertifikat.

Eine der großen Hochschulen, die sich jetzt auf den Weg gemacht hat, ist die Uni Bielefeld. Rektor Dieter Timmermann sieht darin „einen symbolischen Ausweis für unser Ziel, Arbeitsbedingungen zu verbessern und für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attraktiver zu werden.“ Darüber hinaus will die Uni „mehr Chancengleichheit zwischen Beschäftigten oder Studierenden mit und ohne familiäre Aufgaben bewirken“.

Bei den Studierenden mit Kind sollen Studiendauer und Abbrecherquoten sinken. Dafür werden E-Learning-Angebote ebenso ausgebaut werden wie die Kurzzeitbetreuung, so dass Eltern ihr Kind zwei Stunden abgeben können, um eine Vorlesung zu besuchen. Als wichtigste Maßnahme sieht der Bielefelder Rektor die Uni-Kita, die im August eröffnen soll.

Davon wird auch Petra Dannecker profitieren. Die 40-Jährige ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Soziologie und Mutter eines zweijährigen Sohnes. Die Habilitandin freut sich auf die Uni-Kita. „Dann kann ich das Schreiben und meine Karriere beruhigter angehen. Der Arbeitsalltag wird viel leichter.“ Nach der Geburt ihres Sohnes hat sie ein Jahr Elternzeit genommen, nun arbeitet sie wieder. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin sei sie zwar flexibel und habe in der Regel außerhalb von Seminaren und Sprechstunden keine festen Arbeitszeiten. „Doch ich muss auch zu Colloquien, die abends stattfinden, und zu Tagungen.“ Auf solche Bedürfnisse soll die Uni-Kita eingehen. Auch außerhalb der Öffnungszeiten soll es Betreuung geben.

Wichtig ist Dannecker auch, „dass man sich notfalls auch in der Uni mit Kindern bewegen kann“, sagt sie. Das fange bei Kinderhochstühlen in der Mensa an und reiche bis zu Wickelräumen. Eine solche konkrete Hilfe hat die Uni Bielefeld nun im Rahmen des Audit zugesagt. In der Unibibliothek soll ein separater Raum eingerichtet werden, in den Kinder von Wissenschaftlern oder Studierenden mitgenommen werden und dort spielen können – ohne den Rest der Leser zu stören.

Von den Berliner Hochschulen hat bislang noch keine an der Initiative teilgenommen. Das mag auch an den Kosten liegen, die die Hertie-Stiftung für das Audit berechnet. Die Preise sind nach Anzahl der Studierenden gestaffelt. Für die drei großen Berliner Unis würde es jeweils 12 000 Euro kosten. An der FU verweist man darauf, dass die Uni bereits zweimal für ihre Politik der Gleichstellung von Frauen und Männern ausgezeichnet worden ist. 2002 und 2005 erhielt die Hochschule den Total-E-Quality-Award, ein für jeweils drei Jahre gültiges Prädikat. „Wir mussten hierbei klare Konzepte für Chancengleichheit vorweisen und diese auch umsetzen – beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Goran Krstin, Pressesprecher des FU-Präsidenten Dieter Lenzen. „Auch deshalb sieht sich die Freie Universität als familiengerechte Universität.“

Einen solchen Ansatz kritisiert Hans Bertram. Frauenförderung bedeute eben nicht Familienförderung. An den Hochschulen fehle noch immer das Bewusstsein, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kein Frauenproblem sei, sondern Männer genauso betreffe. Auch seine eigene Universität kritisiert der Soziologe. Ihn verwundere, dass das Präsidium der Humboldt-Uni in Sachen Familienfreundlichkeit nicht aktiver sei.

Informationen im Internet:

www.beruf-und-familie.de

Fabian Reinbold

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