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Homöopathie übt selbst auf Ärzte eine Faszination aus.

© ddp

Homöopathie: Zuwendung mit süßen Kügelchen

Rund 180 Kassenärzte bieten in Berlin Homöopathie an. Ob die Kassen das zahlen sollen, ist umstritten. Ebenso die Wirkung der Behandlung.

Das Zauberwort heißt Zeit. Fast immer, wenn Kinderärztin Christiane Ley von Heilerfolgen bei Patienten erzählt, fällt der Satz: „Das hat mit Zeit zu tun“. Und dann sagt sie: „Denn von zwei Kügelchen allein wird bestimmt nicht alles besser.“

Seit 13 Jahren betreibt die 58-Jährige in Zehlendorf eine homöopathische Praxis. Ley erzählt von Patienten mit Neurodermitis, Asthma, Migräne und Krebs, die mit einer langen Leidensgeschichte zu ihr kommen. Die Ärztin reagiert auf die Beschwerden meist mit einer kombinierten Therapie aus Schulmedizin und Homöopathie. „Ich will nicht die Gesundheit meiner Patienten fahrlässig aufs Spiel setzen, indem ich auf die Schulmedizin verzichte“, so Ley.

182 Kassenärzte bieten in Berlin Homöopathie an und sind damit in den Fokus der aktuellen hitzigen Diskussion gerückt, die durch das von SPD-Politiker Karl Lauterbach geforderte Verbot der Homöopathie auf Kassenkosten angestoßen wurde. Es gibt, das ist in Berlin ein offenes Geheimnis, nicht wenige, die die Lehre vor allem als Einnahmequelle nutzen. Denn um Homöopathie auf das Praxisschild zu schreiben, reicht ein Wochenendkurs aus.

Doch die Kassenärzte haben alle eine mindestens 18-monatige berufsbegleitende Weiterbildung hinter sich. Mehr als 60 dieser Ärzte praktizieren in den reichen Westbezirken Wilmersdorf, Charlottenburg und Schöneberg, in Marzahn kein einziger, in Wedding nur zwei. Viele mögen wie Ley vor allem das Wohl der Patienten im Auge haben. Denn ausführliche Gespräche kann sich bei den Engpässen im Gesundheitssystem kaum ein Kassenarzt mehr leisten. Da bietet die homöopathische Anamnese ein Schlupfloch, um das berechtigte Bedürfnis der hilfesuchenden Menschen nach Aufmerksamkeit befriedigen zu können. Christiane Ley führt mit ihren Patienten stundenlange Gespräche, auch über mögliche traumatische Erlebnisse und fördert deren Selbstwahrnehmung. Die Frau mit der warmen Stimme und empathischen Art sagt: „Eigentlich bin ich zugleich Psychotherapeutin.“

Selbst einst von einer schweren Krebserkrankung betroffen, hat sich Ley damals „an jeden Strohhalm“ geklammert, von dem sie sich Hilfe versprach. Dazu gehörte auch Homöopathie. Die eigene Krankheitserfahrung fließt heute in ihre Arbeit ein. Um sich viel Zeit für den Einzelnen nehmen zu können, führt Ley eine Privatpraxis: „So sehe ich in der Woche höchstens 50 Patienten.“ Ein Kassenarzt mit vergleichbarer Praxis hat zu Stoßzeiten bis zu 80 Patienten. Am Tag.

Zur aktuellen Diskussion über Homöopathie sagt Ley: Der Vorwurf, die Wirkung sei über Doppelblindstudien nicht nachweisbar, greife nicht. „Denn die klassische Homöopathie will das eine Mittel für den einen speziellen Menschen finden.“ Es sei „eine ganz eigene Philosophie“. Wissenschaft wäre auch das falsche Wort. Denn noch niemand konnte die Wirksamkeit der von dem Arzt Samuel Hahnemann ab 1796 entwickelten Lehre beweisen: Sie gibt vor, Krankheiten unter anderem mittels Potenzierung des Wirkstoffs heilen zu können. Potenzierung bedeutet: Den Wirkstoff mit ritualisierten Methoden bis zur völligen Unnachweisbarkeit zu verdünnen. „Bei sehr vielen Studien mit positivem Ergebnis krankt es arg an der Methodik, die übrigen konnten nicht reproduziert werden“, sagt der designierte oberste deutsche Arzneimittelprüfer Jürgen Windeler.

Auf einen der größten Widersprüche der Homöopathie hat auch Ley keine Antwort: Die durch die Potenzierung gar nicht mehr nachweisbaren Wirkstoffmoleküle sollen angeblich dennoch einen „Abdruck“ in dem Wasser hinterlassen, mit dem die „Globuli“ genannten Zuckerkügelchen für die Patienten getränkt sind. Würde das stimmen, müsste der Wirkstoff aber eigentlich von den vielen im Wasser normalerweise vorhandenen Fremdstoffen überlagert werden. „Trotzdem wird auf höherer Ebene Information weitergegeben", glaubt Ley fest. Mit Glaube hat die homöopathische Mittelgabe viel zu tun. Von „Illusionen“ und „Wunschbildern“ seiner Kollegen sprach der 1979 verstorbene Berliner Chefarzt und zunächst überzeugte Homöopath Fritz Donner. Er hatte in der Homöopathie-freundlichen NS-Zeit umfassende Studien geleitet, deren in Donners Worten „desaströse“ Ergebnisse erst 1966 veröffentlicht wurden – ohne große Folgen: „Bis heute scheint das homöopathische Vorgehen eine hohe Faszination auszulösen“, sagt Arzneimittelprüfer Windeler.

Und so gibt es selbst an der Charité seit zwei Jahren ein Forschungsprojekt und eine Stiftungsprofessur für „Komplementärmedizin“, die bis 2013 von der alternative Heilmethoden fördernden Carstens-Stiftung finanziert wird. „Die inhaltliche und methodische Freiheit ist jedoch vollkommen gewährleistet“, betont die Inhaberin der Professur, Claudia Witt: Es sei zwar nicht belegt, dass homöopathische Arzneimittel mehr seien als Placebos, aber das Gegenteil ebenso wenig.

Die verabreichten Kügelchen selbst sind nur Pfennige wert – Geld bekommen die Homöopathen hauptsächlich für die langen Patientengespräche: pro Kassenpatient bis zu fünfmal mehr im Quartal als für reguläre Behandlungen. Die Leistungen werden allerdings von fast allen gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt.

„Auch den meisten Homöopathen dürfte im Unterbewusstsein klar sein, dass die Wirkung ihrer Behandlung auf einem Placebo-Effekt beruht“, sagt Detlev Ganten, Professor für Pharmakologie von der Charité über die Globuli. Denn Suggestion habe eine große Bedeutung für einen möglichen Behandlungserfolg. Genauso wie die im Grunde seelsorgerische Haltung engagierter Homöopathen. Und so geben sie dem Patienten am Ende eben Zucker – ein süßes Kügelchen Zuwendung extra mit auf den Weg.

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