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Gesundheit: In der Askese liegt die Kraft

Wer zur Elite gehören will, muss sich vor allem anstrengen – das gilt für Studenten, aber auch für die deutschen Universitäten

Vormoderne Gesellschaften hatten eine Elite. Moderne Gesellschaften hingegen haben Teileliten: Die Leitungs- und Orientierungsfunktionen haben sich so sehr differenziert, dass sie von keiner geschlossenen Schicht oder einheitlich erzogenen Gruppe mehr wahrgenommen werden können. Die einstige Elite hat sich in spezialisierte Teileliten vervielfacht. Etwas vereinfacht kann man von Wirtschafts- und Wissenschafts-, Politik- und Verwaltungseliten sprechen, die sich durch ihre je eigenen Rekrutierungsmuster und Leistungsanforderungen voneinander unterscheiden. Die erfolgreiche Entwicklung einer Gesellschaft hängt also nicht nur vom jeweiligen Leistungsvermögen der Teileliten ab, sondern ebenso auch von ihrem Zusammenwirken. Gesellschaften, in denen sich die Teileliten gegenseitig blockieren, können kaum erfolgreich sein.

Eine Teilelite misstraut der anderen

Die Teileliten müssen also kooperieren, und eine Voraussetzung dafür ist Vertrauen. Sicherlich müssen auch die breiten Schichten einer Gesellschaft darauf vertrauen können, dass die Eliten in der Lage sind, die ihnen übertragenen Aufgaben zu bewältigen, und dies obendrein am Gemeinwohl orientiert und nicht am eigenen Nutzen, aber ebenso müssen auch die Teileliten darauf vertrauen können, dass die jeweils anderen das leisten, was erforderlich ist, damit sie selbst einen optimalen Beitrag erbringen können. Solches Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Und eine Fülle von Problemen, in denen sich die deutsche Gesellschaft zur Zeit befindet, dürften auch damit zu tun haben, dass die Teileliten einander stärker misstrauen als vertrauen. Das beginnt bei der Vorhaltung, „die Hausaufgaben nicht gemacht zu haben“, und endet bei dem Vorwurf, die anderen seien im internationalen Vergleich bloß Mittelmaß und nicht Spitze.

Dass sich gerade Deutschland mit der Reformierung von Politik und Gesellschaft so schwer tut, hat sicherlich auch mit der mangelnden Kooperation der Teileliten zu tun. Das lässt sich an den jetzt wieder thematisierten Universitäten gut beobachten. Tatsächlich haben sie sich, entgegen dem ihnen aus Politik und Wirtschaft immer wieder gemachten Vorwurf, in den letzten Jahren beständig reformiert, von der inneren Struktur bis zu den Studiengängen. Aber dadurch ist kaum etwas besser und fast alles nur noch schlechter geworden. Man sollte die Debatte über Eliteuniversitäten darum als Hilferuf in verschiedene Richtungen verstehen: Die deutschen Universitäten sind, verglichen mit den Spitzeninstitutionen anderer Länder, nicht Spitze. Darüber bilden sie, ebenfalls im internationalen Vergleich, keine Eliten aus. Diejenigen, die in Deutschland Elitenpositionen einnehmen, werden darauf an den Universitäten nur unzureichend vorbereitet. Es geht nicht nur um ein Prestigeprojekt, das internationale Spitze ist, sondern auch um die Institution, die bei der Bildung und Ausbildung zukünftiger Eliten die wahrscheinlich wichtigste Rolle spielt.

Die Doppelbedeutung des Begriffs „Eliteuniversität“ ist in der bisherigen Debatte viel zu wenig beachtet worden. Bislang wurde vor allem darüber geredet, dass es in Deutschland an universitären Spitzeneinrichtungen mangele, und es wurde darüber gestritten, ob, wie und wie schnell sich dies durch entsprechende Investitionen ändern lasse. Aber zunächst müsste es doch um die Frage gehen, welchen Beitrag die Universitäten zur Förderung und Reformierung von Eliten leisten können. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sich die Universitäten als Elitengenerator verstehen. Das fällt ihnen erkennbar nicht leicht. Es wäre viel damit gewonnen, wenn die gegenwärtige Debatte bloß dazu führen würde, dass sie sich dieser Anforderung wieder stellen – mehr jedenfalls als mit der Gründung eines „deutschen Harvard“.

Unis sind keine Verwahranstalten

Nachdem die deutsche Politik Universitätsneugründungen über Jahrzehnte als Instrumente der Regionalförderung begriffen hat und die Universitäten von der Gesellschaft als Verwahranstalt für von Arbeitslosigkeit bedrohte junge Männer und Frauen behandelt worden sind, ist die Stimmung innerhalb weniger Tage umgeschlagen: Universität wird mit Elite assoziiert. Das hat die Universität selbst sich seit langem nicht mehr getraut, und dementsprechend verhalten sind die von dort kommenden Reaktionen. Nach herkömmlichem Sprachgebrauch ist die Massenuniversität das Gegenstück zur Eliteuniversität: Die einen produzieren Masse, die anderen Elite. Und beide sind fein säuberlich voneinander getrennt. Aber das ist die Sichtweise der vormodernen Gesellschaft, die sich selbst in der Entgegensetzung von Masse und Elite beschrieben hat. Die Pluralisierung der Elite in Teileliten hat diese Gegenüberstellung fraglich werden lassen. Setzt man eine handverlesene Gruppe jahrelang intellektueller und verhaltensprägender Zurichtung aus, mag das eine Elite hervorbringen.

Eliten dagegen entstehen dort, wo aus vielen einige herausgehoben und gesteigerten Anforderungen ausgesetzt werden. Das funktioniert umso besser, je stärker allen Beteiligten klar ist, dass dies mit Erwartungen und Zumutungen verbunden ist, denen die meisten nicht ausgesetzt sein möchten. Dass Elitenbildung auf gesteigerter Askese beruht und die Orientierung an Genuss und Freizeit heißt, sich aus der universitären Elitenförderung zu verabschieden, ist lange übersehen worden. Auch darüber Klarheit zu schaffen, könnte ein Ertrag der gegenwärtigen Debatte sein. Mehr als alle Bachelor- und Masterreformen würde dies ein Beitrag zur Selbsteffektivierung der Universität sein.

Freilich gibt es in Deutschland seit einiger Zeit bereits eine ständig wachsende Zahl von Eliteuniversitäten – die, die sich gerne selbst so nennen oder bereitwillig so bezeichnen lassen, weil sich so die Höhe der von ihnen erhobenen Gebühren rechtfertigen lässt. Es war ein überaus geschickter Schachzug, in dem sich diese kleinen, zumeist nur auf einen einzigen Studiengang beschränkten, privat finanzierten Fachhochschulen den in Deutschland lange verpönten Elitebegriff angeeignet und zu ihrem Markenzeichen gemacht haben. Intensivierte und beschleunigte Ausbildung freilich schafft Spezialisten, aber keine Eliten, und schon ganz und gar nicht im Sinne erhöhter Kooperationsfähigkeit.

Die neuen Burschenschaften

Einen entscheidenden Vorteil allerdings haben diese so genannten Eliteuniversitäten: Weil sie klein und überschaubar sind, lernen die Absolventen sich gut kennen und werden sich auf ihrem anschließenden Berufsweg stets im Auge behalten. So entstehen Beziehungsgeflechte gegenseitiger Förderung, die auf einer Vertrautheit und einem Vertrauen beruhen, wie sie die Anonymität der großen Universitäten nicht hervorzubringen vermag. Die „Elitehochschulen“ übernehmen darin die Funktion, die in Deutschland einst die Verbindungen und Burschenschaften innehatten. Sie haben eine gute Chance, Karrierekartelle auf dem Weg zu Spitzenpositionen zu bilden. Und wenn man Elite über die Innehabung von Spitzenpositionen definiert, dann dürften es sogar wirkliche Eliteuniversitäten werden: Orte, die besucht zu haben, die Aussicht auf ein Spitzeneinkommen unverhältnismäßig steigert.

Dem liegt indes ein ganz anderer Elitebegriff zugrunde, einer nämlich, in dem Elite nicht durch ihre besondere Leistung für die Gesellschaft, sondern durch die Höhe der gesellschaftlichen Aufwendungen für den Positionsinhaber definiert ist. Einem solchen Missverständnis hat die sozialwissenschaftliche Eliteforschung vorgearbeitet, als sie um der Messbarkeit von Eliten willen diese über Positionen und nicht über spezifische Leistung definierte. Dieser positionsbezogene Elitebegriff hat sich durch die Selbstmarkierungsstrategie der Privatuniversitäten als Eliteeinrichtungen leicht privatisieren lassen.

Der Ertrag der gegenwärtigen Debatte könnte auch in der „Resozialisierung“ des Elitebegriffs liegen. Für die großen staatlichen Universitäten würde dann die Arbeit aber erst beginnen: Sie müssten sich nämlich über Sinn und Zweck ihrer Tätigkeit verständigen und könnten sich nicht länger mit dem Manipulieren von Studiengängen begnügen.

Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin.

Herfried Münkler

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