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Gesundheit: Insektenvertilgungsmittel aus der Landwirtschaft verdunsten und kondensieren zum Beispiel in den Rockies

Der Seeadler, der über einen der glasklaren Seen oder wilden Flüsse der kanadischen Rocky Mountains kreist, eine Forelle oder einen Weißfisch ins Auge fasst, kann nicht wissen, dass in dieser unberührten Weite seine Beute mit Umweltgiften belastet ist. Auch die Wanderer und Skifahrer, die durch die Rocky Mountains ziehen und ihre Natur schätzen, können sich schwer vorstellen, dass der jungfräuliche Pulverschnee mehr Unkrautvernichtungs- und Insektenschutzmittel in die Berge einträgt, als im Boden der Prärie zu finden sind.

Der Seeadler, der über einen der glasklaren Seen oder wilden Flüsse der kanadischen Rocky Mountains kreist, eine Forelle oder einen Weißfisch ins Auge fasst, kann nicht wissen, dass in dieser unberührten Weite seine Beute mit Umweltgiften belastet ist. Auch die Wanderer und Skifahrer, die durch die Rocky Mountains ziehen und ihre Natur schätzen, können sich schwer vorstellen, dass der jungfräuliche Pulverschnee mehr Unkrautvernichtungs- und Insektenschutzmittel in die Berge einträgt, als im Boden der Prärie zu finden sind. Im Flachland werden sie angewendet, aber die Endlagerung findet in den Rockies statt.

Seit Beginn der Neunziger Jahre werden durch die kanadischen Umweltbehörden eine Reihe von Forschungsprojekten unterstützt, die dieses Phänomen untersuchen. Inzwischen als "Grashüpfer-Effekt" bekannt geworden, geht es dabei um die Tatsache, dass die Agrar- und Industriegifte durch Verdunstung in die Luft gelangen und sich in den kalten Regionen und Ländern niederschlagen. Da Kanada das zweitkälteste Land der Welt ist, wird es durch diese Gifte besonders schwer belastet.

Professor Jules Blais von der Universität Ottawa ging mit seiner Forschungsausrüstung in die bevorzugten kanadischen Wintersportorte Banff, Wistler, Lake Louis and Sunshine. Er begann tiefe Löcher in den Pulverschnee zu graben, um Proben für Labortests in die mitgebrachten Aluminiumbehälter zu packen. Vorbeifahrende Skifans wunderten sich sehr. Als er ihnen auf ihre Fragen hin erklärte, dass er nach den Umweltgiften Lindan, Clordan, 2-4D, PCB und DDT suche, waren sie völlig erstaunt. Davon hatten sie in den Reiseprospekten nichts gelesen.

Fortgesetzt hat er die Forschungen in diesem Frühsommer. Zurückgekehrt in sein Labor in Ottawa, beantwortete er die Frage: "Kann man das Wasser der Rockies noch trinken und den Schnee essen?" mit der beruhigenden Aussage: "Es besteht für die Besucher der Rockies keine Gefahr und die Konzentration der gefundenen Substanzen liegen alle innerhalb der Verbraucherschutzrichtlinien". Er erklärte, dass das Problem aber eine Gefahr für die Bewohner der Rockies und der kanadischen Arktis werden kann.

Das liege daran, dass sich die Substanzen in der Nahrungskette von der Mikrobe über Algen, Zooplankton bis zu den Fischen immer mehr konzentrieren. Die Konzentration der giftigen Substanzen erreiche dadurch manchmal schon Ausmaße, die zu Warnungen an die ständigen Bewohner, Indianer und Inuit, führt.

Er fand bei seinen Untersuchungen Pestizide, die heute in Nordamerika und Kanada bereits auf der Liste der verbotenen Substanzen stehen. Da diese Liste aber nicht in allen Ländern Gültigkeit hat, insbesondere nicht in den tropischen und subtropischen Ländern, gelangen eben auch solche Gifte in die Rocky Mountains. Blais geht davon aus, dass schädliche Substanzen selbst noch aus Europa und Asien nach Kanada gelangen. Die modernen Superschornsteine in Europa blasen die Industrieabgase in obere Luftschichten, wo sie durch die um die Erde kreisenden Luftströme bis nach Kanada transportiert werden.

Allerdings kommen nicht alle diese Gifte auschließlich aus anderen Ländern nach Kanada. So sagt Blais, dass zum Beispiel Lindan, das auf Ackerland in dem kanadischen Flachland (Prärien) eingesetzt wird, in den Bergen in einer höheren Konzentration gefunden wird, als dort, wo es eigentlich wirksam sein soll. Das sei eine sehr ungewöhnliche Entdeckung, wurde von der kanadischen Umweltbehörde bestätigt.

Die Chemikalien wurden in allen Höhenlagen der Berge gefunden. Je höher er seine "Ausgrabungen" machte, desto stärker war auch die gefundene Konzentration der Schadstoffe. Zwischen 700 Meter und 3100 Meter Höhe stieg die Konzentration um das Hundertfache des Ursprungswertes.

Aus anderen Ländern kommen jedenfalls die vielerorts bereits verbotenen Mittel Clordan, ein Termitenvernichter, und DDT, ein gefährliches Gift, das aber heute noch in Mexiko und China eine erlaubte Waffe im Kampf gegen die Malaria ist. Die Untersuchung fand auch hohe Konzentrationen von polychlorierten Biphenylen (PCB), das sind Industriechemikalien, die früher zum Beispiel als Isolier- und Kühlmittel in Transformatoren benutzt wurden.

Diese Substanzen können die Ursache für verschiedene Probleme werden, wenn sie erst einmal in die Nahrungskette eingedrungen sind. Die Potenzierung (biomagnifycation) der Gifte ist nicht zu unterschätzen. Einige von ihnen beeinflussen die Körperhormone und richten verheerende Schäden bei der Entwicklung von Lebewesen an. Andere können Körperfunktionen stören und in die Vermehrung von Tieren und Menschen eingreifen.

Aber nicht nur im kanadischen Norden oder den Rocky Mountains sind diese Substanzen zu finden. Sie werden praktisch überall in der Welt in den kalten Regionen abgelagert. Die Berge sind dabei eine "Falle", und je höher sie sind, desto wirksamer arbeitet diese Falle. Dort wo es kalt ist, können sie sich im Schnee über Jahrzehnte ablagern. Schnee in den Bergen ist dabei ein besseres "chemisches Geschichtsbuch" als das sich ständig erneuernde Packeis auf dem Ozean.

Untersuchungen in den Schweizer Alpen und den USA kamen zu ähnlichen Resultaten wie in Kanada. Man geht heute davon aus, dass auch in den Bergen von Mexiko, Puerto Rico und den Anden vergleichbare oder höhere Konzentrationen der Umweltgifte gefunden werden. Das Wasser für Mexiko City und Denver kommt aus den Schneebergen. Die Nahrungskette führt dort unmittelbar zu den Menschen, wesentlich direkter als in den Rockies. Eine sorgfältige Kontrolle erscheint also notwendig.

Die heutigen Untersuchungen in Kanada gehen auf eine Studie zurück, die von der kanadischen Umweltbehörde 1993 in den Seen der Rockies durchgeführt wurde. Diese "Landmark"-Untersuchung brachte zu Tage, dass Fische in den alpinen Seen durch Toxaphen, ein Pestizid, das in Baumwollplantagen eingesetzt wird, sehr schwer belastet waren. Und hier zeigte sich das selbe Phänomen: je höher der See lag, desto größer war auch die Belastung der Fische. In vielen Fällen waren die Fische zu stark vergiftet, um sie täglich essen zu können. Nun, Otter und Adler fressen dennoch täglich Fische. Das sei ein schlimmes Zeichen für den Zustand der kanadischen Naturschutzgebiete, heißt es in der Umweltbehörde.

Wir müssen wissen, wo diese schädlichen Substanzen hinwandern, nachdem sie sich erst einmal in den Bergen abgelagert haben, meint Blais. Kanada als betroffenes Land macht diese Studien derzeit, um größeren Druck auf die internationalen Kommissionen ausüben zu können, auf dass die Umweltschadstoffe zunehmend auf die schwarze Liste kommen.

Allerdings hat Kanada auch vor der eigenen Tür zu kehren. In einer gerade veröffentlichten Studie hat der Kommissar für Umweltentwicklung, Brin Emmett, in seinem Jahresbericht der Regierung in Ottawa schwerste Versäumnisse vorgeworfen. Die Kontrolle der Umweltverschmutzung sei nicht ausreichend kontrolliert und diese Kontrolle auf die freiwillige Mitarbeit der Industrie oder Farmer zu stützen, sei leichtsinnig, unverantwortlich und in keiner Weise ausreichend. Die Regierung von Jean Chrétien dürfe sich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß sie aus lauter Freundlichkeit gegenüber der Industrie die Umwelt schädige. Hohe Etatkürzungen im Umweltsektor führen dazu, dass die Kontrolle der Umweltsünder praktisch nicht mehr stattfindet. Umweltschutzgruppen und Untersuchungen in ganz Kanada kritisieren Jahr für Jahr die Regierung für diese Versäumnisse.

Maxim Pouska

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