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Gesundheit: Jahrtausend des Verschwindens - Bei der Rettung der Tier- und Pflanzenarten hat der Mensch bisher versagt

Von allen Einsamen dieser Erde war George in der Silvesternacht mit Sicherheit der Einsamste: Er hat keinerlei Art-Genossen mehr. Nachdem sein letztes Weibchen in den 60er Jahren von Fischern getötet und verspeist wurde, ist George der letzte lebende Vertreter seiner Art, der Riesenschildkröte "Geochelone nigra abingdoni".

Von allen Einsamen dieser Erde war George in der Silvesternacht mit Sicherheit der Einsamste: Er hat keinerlei Art-Genossen mehr. Nachdem sein letztes Weibchen in den 60er Jahren von Fischern getötet und verspeist wurde, ist George der letzte lebende Vertreter seiner Art, der Riesenschildkröte "Geochelone nigra abingdoni". Seit der Mensch die durch Darwins Evolutionsforschung berühmt gewordene Galapagosinsel vor 500 Jahren besiedelte, wurden hunderttausende der urzeitlichen Riesenschildkröten geschlachtet, ihre Eier von mitgebrachten Haustieren und Ratten gefressen; fünf der einst 15 Arten sind bereits ausgelöscht.

Im letzten Jahrtausend wurden nach Berechnungen der International Union for the Conservation of Nature durch Jagd, Fischerei, Besiedelung, Landwirtschaft, Waldrodung und Umweltverschmutzung mehr Tier- und Pflanzenarten ausgelöscht als in irgend einem anderen Jahrtausend zuvor in der 3,5 Milliarden Jahre alten Geschichte des Lebens. Selbst während der Eiszeiten oder beim Verschwinden der Dinosaurier vor 70 Millionen Jahren hat die Artenvielfalt weniger gelitten. Fast ein Viertel aller bekannten Tierarten ist gegenwärtig vom Aussterben bedroht. Wenn sich der Trend fortsetzt, wird nach Schätzungen des Worldwide Fund for Nature bereits im Jahr 2025 ein Fünftel aller Arten vom Globus verschwunden sein.

Im vergangenen Jahrtausend hat sich der Mensch vom Ochsenkarren zur Mondrakete, vom Aderlass zur Gentherapie, von der Erdscheibe bis zu Einsteins relativistischem Weltbild entwickelt. Im Gegensatz dazu sind die Bemühungen, die Artenvielfalt auf dem Planeten zu erhalten, kläglich gescheitert. In keinem anderen Bereich hat unsere Kultur, insbesondere die Naturwissenschaft, so folgenschwer versagt. Das Verhängnis für die biologische Vielfalt der Schöpfung ist, dass mit ihr bisher kein Geld zu verdienen ist. Hinzu kommt, dass die meisten bedrohten Arten in den bevölkerungsreichsten Ländern der Erde vorkommen. China, Indien und Indonesien sind die Spitzenreiter bei der Zahl bedrohter Säugetiere. Lebensraum und Nahrung für die Bevölkerung sind wichtiger als das Wohlergehen seltener Arten.

Die vertrackte Lage könnte nun ausgerechnet durch eine Industrie eine positive Wendung erfahren, die selbst der Ausbeutung biologischer Ressourcen bezichtigt wird. Auf der Jagd nach therapeutisch brauchbaren Naturstoffen und Genen haben Biotech- und Pharmafirmen weltweit einen dramatischen Wettlauf um die aussterbenden biologischen Rohstoffe begonnen. Allein von den 25 international meist-verkauften Medikamenten basiert ein Drittel auf Naturstoffen, mit einem jährlichen Gesamtumsatz von 12 Milliarden US-Dollar.

Aus einer in Madagaskar vorkommenden Art von Immergrün wurden in den 50er und 60er Jahren die Krebsmittel Vincristin und Vinblastin entwickelt, die zehntausenden Leukämiekranken das Leben gerettet und dem Hersteller Eli Lilly einige hundert Millionen US-Dollar eingebracht haben. Das erwartete Marktpotential der in exotischen Pflanzen und Tieren vorhandenen Gene ist noch um ein Vielfaches höher. Gene sind der knappe Rohstoff des anbrechenden Biotechnologie-Zeitalters, so wie Eisen und Erdöl in der industriellen Ära.

Mit der auf dem Erdgipfel von Rio 1992 verabschiedeten Konvention für biologische Vielfalt wurde erstmals das Recht der Ursprungsländer verankert, für ihre biologisch-genetischen Ressourcen eine Bezahlung zu verlangen. Seitdem sind zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer dabei, Gesetze zum Export und zum Schutz ihrer biologischen Rohstoffe zu erlassen. Bisher ließen sich sogar mit ausgestorbenen Arten Geschäfte machen, wie dem auf Mauritius als Motiv für Souvenirs vermarkteten Nationalvogel Dodo. Bleibt zu hoffen, dass das erhoffte Geschäft mit den Genen lebender Arten den wahren Wert der Schöpfung doch noch ins Bewusstsein rücken lässt.Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. Kekulé

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