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Gesundheit: Kann der Wunsch der Frau allein genügen?

Kaiserschnitt ohne medizinische Notwendigkeit heftig umstrittenRosemarie Stein Die Frauenärzte verstehen die Welt nicht mehr. Da beobachten sie seit Jahren einen starken Trend zurück zur Natur; statt im Kreißsaal wollen viele Frauen ihr Kind wieder zu Hause zur Welt bringen oder wenigstens in einem gemütlichen Geburtshaus.

Kaiserschnitt ohne medizinische Notwendigkeit heftig umstrittenRosemarie Stein

Die Frauenärzte verstehen die Welt nicht mehr. Da beobachten sie seit Jahren einen starken Trend zurück zur Natur; statt im Kreißsaal wollen viele Frauen ihr Kind wieder zu Hause zur Welt bringen oder wenigstens in einem gemütlichen Geburtshaus. Und jetzt auf einmal wählen manche statt des Kreiß- den Operationssaal: Sie wollen ihr Kind gar nicht mehr selbst gebären und lassen es lieber per Kaiserschnitt holen, auch ohne medizinische Notwendigkeit.

Nun sind die Geburtshelfer im Zweifel: "Können wir auf Wunsch der Frau Dinge tun, die wir vor kurzem noch strikt abgelehnt hätten?" fragte Albert Huch (Geburtshilfe-Klinik der Universität Basel). Auf dem 19. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin leitete er eine Podiumsdiskussion zur Frage, ob die natürliche (vaginale) Geburt und die Schnittentbindung ohne medizinische Indikation heute als gleichberechtigt betrachtet werden dürfen.

Am überzeugtesten bejahte dies Peter Husslein (Uni-Frauenklinik Wien) - mit dem Hauptargument des ständig gesunkenen Risikos. Am Kaiserschnitt starben Ende des 19. Jahrhunderts etwa fünf von hundert, heute nur noch fünf von 100 000 Frauen. Nach einer bayrischen Studie sind das immerhin fast dreimal so viele Todesfälle wie bei Spontangeburten. Auch nicht tödliche Kaiserschnitt-Komplikationen sowie die Risiken für das Kind, zum Beispiel Atemnot, gingen auf ein Minimum zurück, sagte Huch. Außerdem sind die Gefahren der Operation gegen die der Geburt abzuwägen, was die Perinatalmediziner auf dem Podium gewissenhaft und durch Studien belegt hatten. Ein Risiko der Geburt ist für die Mutter vor allem die Überdehnung des Beckenbodens, die zu - nicht immer vorübergehenden - Funktionsstörungen der Blasen- und Analschließmuskeln führen kann.

Die Schnittentbindung also hat ihren Schrecken verloren, sofern sie vorausgeplant und nicht erst während einer komplizierten oder langwierigen Geburt als Notlösung gewählt wird. Sie wurde zum kleinen, in spätestens einer halben Stunde beendeten Eingriff mit nur dreitägigem Klinikaufenthalt. Das ist der Ausgangspunkt für die derzeit heftig ausgetragene Debatte über die Frage, wann ein vorausgeplanter Kaiserschnitt angezeigt ist. Im Medizinerjargon unterscheidet man "harte" und "weiche" Indikationen. Zu den harten gehört etwa ein absolutes Missverhältnis zwischen den Beckenmaßen der Mutter und dem Kopfumfang des Kindes.

Als weiche Indikation gilt zum Beispiel eine Lageanomalie wie die Steißlage: Man kann den Fetus im Mutterleib wenden oder die Entbindung per Kaiserschnitt wählen. In solchen Kann-Fällen wird der Arzt zusammen mit der Schwangeren entscheiden, sagte Joachim W. Dudenhausen (Charité-Klinik für Geburtsmedizin). Ob aber ihr Wunsch allein genügt, wenn es keinen medizinischen Operationsgrund gibt, das bezweifelt er. Die Angst vor Geburtsschmerzen, Hauptbegründung des Kaiserschnitt-Wunsches, hält er für unberechtigt, da sich die Schmerzen wirksam lindern lassen, wenn nötig durch moderne Formen der lokalen Betäubung wie die Periduralanästhesie.

Husslein hingegen erinnerte daran, dass Operationswünsche auch ohne zureichenden medizinischen Grund schon lange erfüllt werden - bis hin zur Vergrößerung oder Verkleinerung des Busens. Der Amberger Geburtsmediziner Dietrich Berg meinte ebenfalls: "Wir müssen zunehmend auf die Wünsche der Patientin eingehen. Auch dies kann eine Indikation sein." Er wies auch darauf hin, dass die Ärzte die Indikation zum Kaiserschnitt schon lange relativieren: Am Freitag abend häufen sich die Operationen. Das erinnert an die Zeit, als die - ebenfalls umstrittene - programmierte Geburt aufkam. Schon vor Jahrzehnten leitete man Geburten möglichst unter Vermeidung des personell ausgedünnten Wochenendes ein. Es wurden kaum noch Sonntagskinder geboren.

Neben der juristischen Indikation nannte Dudenhausen dem Tagesspiegel auf Anfrage noch einen weiteren nichtmedizinischen Grund für die operative Entbindung: Ein falsches Entlohnungssystem. Kaiserschnitte bringen der Klinik weit mehr ein als natürliche Geburten, die oft einen viel größeren Aufwand erfordern, schon wegen der Länge der Zeit. Nach Angaben in der Zeitschrift der Verbraucherverbände (AgV-Forum 2/1999 S. 46) liegt die Pauschale für eine Spontangeburt bei 2300 DM, für eine Schnittentbindung dagegen bei 5600 DM.

Ein wesentliches Argument gegen einen medizinisch nicht nötigen Kaiserschnitt brachte Kongresspräsident Klaus Vetter (Geburtsmedizin Krankenhaus Neukölln) vor: Die weibliche Identität spielt hier schließlich auch eine Rolle. Und selbst für Husslein ist der Verlust des Geburtserlebnisses der stärkste Einwand. Für diesen Satz erhielt er langen Beifall aus dem überfüllten Saal, in dem es vorher, bei den nüchternen Risikoabwägungen, unruhig geworden war. Das Plenum erzwang sogar die allgemeine Diskussion und übte teilweise heftige Kritik

Warum sieben Männer auf dem Podium, aber keine einzige Frau?

Es war dann ein männlicher Gynäkologe, der ironisch in den Saal rief: "Ich habe also hier gelernt: Frauen sind zum Gebären nicht geeignet!" Und ein Kollege hielt die Berufung der Ärzte auf die Wünsche der Frau selbstkritisch für vorgeschoben: Mediziner, so argumentierte er, entschieden noch immer, Todkranke gegen ihren Willen mit allen Mitteln am Leben zu erhalten; hier aber beriefen sie sich auf Wünsche der Frauen, die "gut für die Ärzte sind".

Solche Wünsche fallen offebar noch nicht sehr ins Gewicht. Die Rate der Schnittentbindungen ist selbst in Zentren mit vielen Risikoschwangeren wie den von Huch oder von Dudenhausen geleiteten Geburtskliniken mit 16 und 13,6 Prozent in den letzten Jahren ziemlich gleich geblieben.

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