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Kesseltreiben im Klinikkeller: Berliner Krankenhäuser die energiesparendsten Deutschlands

Ein Krankenhausbetrieb braucht für ein Bett etwa den Energieverbrauch von drei bis vier Einfamilienhäusern - also immens viel Energie. Wer spart, wird vom BUND ausgezeichnet In Berlin sind das zehn Häuser – so viel wie in keiner anderen Stadt.

Das kleine Hinweisschild am Fenster fehlt. In Roland Bersdorfs Arbeitszimmer wurden die Fensterrahmen gestrichen, da ist der Aufkleber wohl abhandengekommen. „Praktische Lebenshilfe“ nennt Bersdorf die Schildchen. Zu Hunderten kleben sie an den Fenstern seiner Klinik und erklären, wie Stoßlüften funktioniert: Das Fenster mehrfach kurz komplett öffnen und wieder schließen, statt es dauerhaft gekippt zu lassen. Das lüftet effektiver und spart Energie.

Roland Bersdorf ist Geschäftsführer des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Kladow, das schon seit längerem Vorreiter im Energiesparen ist. 2007 hat der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Klinik mit dem Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ ausgezeichnet. Zehn Häuser in Berlin dürfen sich so nennen, gerade sind zwei neue hinzugekommen: das Franziskus-Krankenhaus in Tiergarten und das Krankenhaus Bethel in Lichterfelde, für Havelhöhe wurde das Zertifikat verlängert. Bundesweit tragen 40 Krankenhäuser dieses Siegel.

Ein Großbetrieb wie ein Krankenhaus, in dem Vorschriften zur Beheizung und Belüftung gelten, in dem Patienten gesund werden wollen und sich keine Gedanken über die Stromrechnung machen wollen, schluckt immens viel Energie. Auf ein Bett kommt in etwa der Energieverbrauch von drei bis vier Einfamilienhäusern. Das größte mit dem Siegel ausgezeichnete Krankenhaus ist das Vivantes-Klinikum Neukölln mit über tausend Betten. Laut BUND spart es seit 2009 jährlich 2,1 Millionen Euro Energiekosten, das entspricht einer Strommenge, die im Durchschnitt 5200 Haushalte mit je vier Personen versorgt. Doch ein kleiner Aufkleber am Fensterrahmen reicht nicht, um das Gütesiegel zu bekommen. Die wichtigsten Maßnahmen spielen sich in den verschlungenen Heizkellern und Lüftungsräumen der Krankenhäuser ab.

Andreas Küntzel schiebt sein rotes Fahrrad durch den Schnee. Die Wege zwischen den Gebäuden von Havelhöhe sind lang, da ist der 52-jährige technische Leiter aufs Fahrrad angewiesen. Die verstreuten Klinikgebäude entstanden in den 30er Jahren als Reichsluftfahrtakademie, noch 2005 wurden sie alle über eine einzige Anlage beheizt. Die Wärme musste in den Leitungen dieselben Wege überbrücken wie Andreas Küntzel mit seinem Fahrrad. „Da geht viel Energie verloren“, sagt er. Jetzt haben die Verwaltungsgebäude eine separate Heizung, die Heizanlage für die übrigen Gebäude ist an zentraler Stelle untergebracht, wo früher das Krankenhausessen tiefgekühlt wurde. Jetzt arbeiten dort drei große Heizkessel. Ihr Lärm vermischt sich mit dem des neuen großen Blockheizkraftwerks, das Strom erzeugt und zugleich dafür sorgt, dass die Wärme, die durch die Arbeit des Generators entsteht, nicht verloren geht. Vielmehr wird sie direkt in das Nahwärmenetzwerk des Krankenhauses eingespeist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum BUND-Projektleiterin Annegret Dickhoff bei dem Modell von einer Ehe spricht.

Schon seit vielen Jahren existiert in Havelhöhe ein Arbeitskreis Ökologie. 2000 war man von Öl- auf Gasenergie umgestiegen, danach auf regenerative Energie. Das Haus wurde jetzt komplett durch erneuerbare Energien versorgt. Doch der Anstoß zum systematischen Energiesparen kam erst später. „Die Initialzündung war das Gütesiegel für die Elisabeth-Klinik“, erzählt Bersdorf. Das Krankenhaus in Tiergarten erhielt das Zertifikat 2004. „Dieses Siegel hat Strahlkraft auf andere Krankenhäuser“, meint BUND-Projektleiterin Annegret Dickhoff. Das Projekt war 2001 in Berlin gestartet, erst danach hat es sich bundesweit ausgeweitet.

Mit zehn Häusern steht Berlin an der Spitze. Die Kliniken müssen einen Antrag stellen und dabei ihre Energieverbrauchswerte der letzten fünf Jahre einreichen. Etwa ein Viertel erfüllt die Bedingungen auf Anhieb. Bei den anderen vergehen oft einige Jahre, bis genug Kriterien erfüllt sind, etwa ein um 25 Prozent gesenkter CO2-Ausstoß. „Wir verleihen das Siegel für erzielte Einsparungen, nicht für deren Prognose“, erklärt Dickhoff. Wenn sie das Zertifikat nach fünf Jahren verlängert haben wollen, müssen die Häuser ihren CO2-Ausstoß um weitere fünf Prozent senken. In Havelhöhe waren es mehr als 20 Prozent. Damit stößt dieses Haus seit Beginn der Maßnahmen 42 Prozent weniger CO2 aus.

Alle drei eben ausgezeichneten Häuser sind eine Energiesparpartnerschaft mit einem Energieunternehmen eingegangen. Dieses streckt die Kosten der Umbaumaßnahmen vor – im Fall von Havelhöhe rund eine Million Euro –, durch die Energieeinsparungen können sie die Häuser zurückzahlen. Doch längst nicht alle entscheiden sich für dieses Modell, sagt Annegret Dickhoff. Viele würden vor einer intensiven Zusammenarbeit zurückschrecken und die Umbaumaßnahmen selbst oder durch Landesmittel finanzieren. Dickhoff vergleicht die Energiesparpartnerschaft mit einer Ehe: „Zu Beginn hat man viele Wünsche und Ideale, aber die müssen auch gemeinsam umgesetzt werden.“ Aber egal wie: Es braucht immer Mitarbeiter, die die Maßnahmen „mit Herzblut“ vorantreiben, sagt sie.

So wie Michael Patermann. Der 52-jährige Techniker arbeitet seit 1989 im Franziskus-Krankenhaus und hat sich seither mit Nachdruck für eine Energiesparpartnerschaft eingesetzt. „Man kann ja nur gewinnen“, meint er. Zwar würde viel Arbeit entstehen: die Umbaumaßnahmen etwa, oder die ständige Kontrolle der Energiewerte. Aber dafür sinken Schadstoffausstoß und Energiekosten – bei steigenden Energiepreisen. Dass Patermanns Einsatz jetzt zum Gütesiegel geführt hat, ist für ihn eine willkommene Bestätigung. Denn in einem großen Krankenhaus gibt es immer Leute, die gegen die Maßnahmen sind. „Wenn es dann irgendwo mal ein bisschen kalt ist, heißt es gleich, das Energieunternehmen war’s“, sagt Patermann. Insgesamt jedoch würde das Personal toll mitarbeiten.

Die Auszeichnung hängt gut sichtbar als weißes Schild neben dem Fahrstuhl im Eingangsbereich des Franziskus-Krankenhauses, das Logo des Gütesiegels erinnert an die Recycling-Pfeile. Das Schild listet einige Sparmaßnahmen auf, etwa die modernisierte Lüftungsanlage. In den Räumen – weit abseits des Patientenbetriebs – steht zwischen dicken Röhren und brummenden Schränken ein kleiner Schreibtisch. Hier, am Computer, lässt sich eine Zeitschaltuhr aktivieren, die täglich um 18 Uhr die Belüftung automatisch herunterfährt – dann, wenn in den Operationssälen die Vorschriften zur Luftumwälzung enden. Ein unscheinbarer Kasten ermöglicht zudem, dass man die Belüftung besser an den Bedarf anpassen kann. Früher waren nur zwei verschiedene Stufen möglich, jetzt kann der Lüftungsmotor mit einem Frequenzumwandler stufenlos gesteuert werden.

Viele Maßnahmen entlasten das Energiekonto der Krankenhäuser: Energiesparende Beleuchtung, Wärmedämmung, automatische Senkung der Temperatur in den Büroräumen zu Feierabend und am Wochenende, möglichst wenig Rücklauf bei Fernwärme. Kleine Aufkleber sind auch über das Franziskus-Krankenhaus verstreut: Hinweise, wie man wassersparend die Toilettenspülung benutzt und die Heizkörper sinnvoll einstellt, oder Erinnerungen, das Licht auszuschalten.

Mit dem Gütesiegel haben die Krankenhäuser etwas Handfestes, mit dem sie ihre Erfolge auch zeigen können. „Das steigert die eigene Motivation“, so Annegret Dickhoff. Dann kommen die Mitarbeiter auf einmal sogar mit eigenen Ideen, zum Beispiel für Müllvermeidung.

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