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Klinikum Am Urban: Therapie auf Türkisch

Das Klinikum Am Urban feiert sein 120-jähriges Bestehen. Früher wurden dort die ärmsten Berliner gratis behandelt Heute sind fast 40 Prozent der Patienten Migranten. Sie verstehen die Sprache des deutschen Gesundheitssystems oft nicht. Eine neue Fachgruppe will helfen.

Ob es ein schönes Gebäude ist, das da am ehemaligen Hafen steht, darüber kann man streiten. Sicher ist: Es ist das einzige Krankenhaus in Kreuzberg. „Unser Krankenhaus“, nennt es Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Vor kurzem feierte das Vivantes Klinikum Am Urban einen Doppelgeburtstag: Den 40. und den 120.

Vor 40 Jahren, im Jahr 1970, wurde der Bau des Architekten Peter Pölzig am Urbanhafen eingeweiht – funktional, modern, sachlich. 80 Jahre zuvor, im Jahr 1890, war gleich um die Ecke ein Städtisches Krankenhaus im Klinkerstil der Zeit eingeweiht worden. Nach Friedrichshain und Moabit war es das drittälteste Krankenhaus der Hauptstadt. Im Unterschied zum heutigen Haus bestand die alte Anlage aus Pavillons, dadurch sollten Infektionen verhindert werden. Ende des 19. Jahrhunderts waren Tuberkulose und Diphtherie häufige Krankheitsbilder in der stark wachsenden Stadt. Die ärmsten Bevölkerungsschichten wurden in den großen Krankensälen unentgeltlich versorgt, wie Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher bei der festlichen Geburtstagsveranstaltung hervorhob. Inzwischen ist das Klinikum dort ausgezogen, die Altbauten werden zu einem Wohngebiet umgestaltet.

Einer der berühmtesten Ärzte, die dort gearbeitet haben, war übrigens Alfred Döblin, Autor von „Berlin Alexanderplatz“. Er würde sich wundern, wie sich seitdem nicht nur die Krankheitsbilder verändert haben, sondern auch die Zusammensetzung der Bevölkerung im Einzugsbereich des Klinikums – vor allem Kreuzberg und Nord-Neukölln. In dem Haus mit zwölf Fachabteilungen werden jedes Jahr 1100 Neuberliner geboren. Und zugleich besonders viele ältere Berliner behandelt, deren Wiege irgendwo anders auf der Welt stand. „38 Prozent unserer Patienten haben einen Migrationshintergrund“, sagt der Magen-Darm-Spezialist Hans Scherübl, der die Klinik für Innere Medizin – Gastroenterologie, gastrointestinale Onkologie und Infektiologie leitet. Mehr als die Hälfte von ihnen stammt aus der Türkei und viele aus arabischen Ländern.

„Unser Gesundheitssystem, vor allem die Kommunikation innerhalb des Systems, ist aber immer noch auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet“, sagt Scherübl. In seinem Fach habe das zum Beispiel Auswirkungen auf die Krebsvorsorge mittels Darmspiegelung – eine Kassenleistung, die von Versicherten mit Migrationshintergrund schlechter angenommen werde. Programme zur Früherkennung würden von Migranten insgesamt noch nicht genug genutzt, stellte auch der Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum von der Uni Bielefeld in einem „Focus Migration“ fest. Er plädiert nicht für eigene „Migranten-Programme“, sondern dafür, die Erreichbarkeit der bestehenden Angebote zu verbessern.

Verbesserungsbedarf besteht auch in der Behandlung chronischer Erkrankungen, die mit dem Alter zunehmen. Die Bereitschaft, langfristig Medikamente gegen eine chronische Krankheit zu nehmen, die keine akuten Beschwerden macht, sei deutlich geringer, wenn man nicht verstehe, wofür die Pillen überhaupt nützlich sind, sagt Scherübl. Er hat deshalb zusammen mit Kollegen aus der Klinik für Innere Medizin und Theda Borde, der Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, die Fachgruppe „Interkulturelle Versorgung und Kommunikation“ gegründet. Die Gesundheitswissenschaftlerin hatte im vorigen Jahr bei einer Befragung türkischstämmiger Patientinnen herausgefunden, dass diese deutlich schlechter über ihre Krankheit und die geplante Behandlung informiert waren als deutschstämmige Frauen. „Bemerkenswerterweise nahmen die Informationsmängel während des stationären Aufenthalts im Krankenhaus noch zu“, sagt Borde. Das galt sogar für die Patientinnen mit sehr guten Deutschkenntnissen, die insgesamt deutlich besser informiert waren als die mit geringen Deutschkenntnissen.

Dass gute sprachliche Verständigung und ein grundlegendes Verständnis für den unterschiedlichen Zugang der Kulturen zu Gesundheit und Krankheit wichtig sind, wenn Menschen mit Migrationshintergrund in Praxen und Krankenhäusern genauso gut geholfen werden soll wie den Alteingesessenen, leuchtet ein. Es hat sich bisher aber vor allem in psychiatrischen Initiativen niedergeschlagen: So hat der Verein „Bündnis gegen Depression“ die Situation von Migranten im Blick und das von Charité-Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak geleitete Projekt „Beende Dein Schweigen – Nicht Dein Leben“ will junge Migrantinnen vor dem Suizid bewahren. Außerdem läuft das internationale Forschungsprojekt Seelische Gesundheit und Migration, an dem auch die Charité beteiligt ist. In der Psychiatrie des Klinikums Am Urban bietet seit 2005 eine engagierte Arbeitsgruppe unter Leitung von Oberarzt Guido Pliska psychiatrisch-psychotherapeutische Gespräche in türkischer Sprache an.

Doch die Sensibilität für Sprache und Kultur der Patienten spielt nicht nur in der Psychiatrie eine Rolle. Selbst wer gut deutsch spricht, fühlt sich im Krankheitsfall geborgener, wenn er auch in der Muttersprache berichten kann. Vor allem im Alter, einer Lebensphase, in die die „Gastarbeiter“ der ersten Stunde längst gekommen sind. Bei einer Demenz ist die vertraute Muttersprache noch wichtiger, denn wenn das Gedächtnis schwindet, verliert es oft die später erlernte Sprache.

Glücklicherweise gebe es auch im Klinikum Am Urban zahlreiche Pflegekräfte, die türkisch, arabisch oder russisch sprechen, berichtet Scherübl. Trotzdem wird in seiner Abteilung für ausführliche Aufklärungsgespräche oft Hilfe vom Gemeindedolmetschdienst geholt. „Unsere Mitarbeiter kennen auch das kulturell andere Krankheitsverständnis und berücksichtigen, dass Türken über Krankheit in einer viel bilderreicheren Sprache sprechen als Deutsche“, sagt Sabine Oldag, Projektleiterin des Dolmetschdienstes. Diese Erfahrungen sollen in das Modellprojekt der neuen Fachgruppe einfließen.

Zudem will Scherübl eigens für die Station für Magen-Darm-Kranke eine türkischsprachige Psychologin oder Sozialpädagogin gewinnen, die solche Unterschiede kennt und in die tägliche Arbeit einbezieht. Damit sich alle Patienten in ihrer Muttersprache über ihre Krankheit informieren können, wurde auf der Station WLAN installiert, im Aufenthaltsraum stehen Rechner für die Patienten.

Auch die Angehörigen und die Hausärzte sollen in das Projekt einbezogen werden. Außerdem will man mit dem Internationalen Pflegehaus Kreuzberg an der Methfesselstraße zusammenarbeiten, das bereits 2007 als stationäre Pflegeeinrichtung für Senioren mit türkischer Herkunft gegründet wurde. Inzwischen wird dort auch arabisch gesprochen. „Außerdem soll an unserem Klinikum mithilfe der Vivantes-Schule für Gesundheitsberufe eine Modellschulstation für die interkulturelle Krankenpflege aufgebaut werden“, sagt Scherübl. Nicht zuletzt dort, beim Nachwuchs, werden die Weichen dafür gestellt, wie es mit Kreuzbergs einzigem Krankenhaus und seinen zeitweiligen Bewohnern weitergeht.

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