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Gesundheit: Kompass im Kopf

Zugvögel finden auch in der stockfinsteren Nacht ihren Weg: Sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde

Rotkehlchen, Nachtigall, Grasmücken – Singvögel lieben den Nachtflug. Wenn sie in ihre südlichen Winterquartiere ziehen und ebenso wenn sie im Frühjahr zurückkehren, fliegen sie durch die sternenklare oder auch stockfinstere Nacht. Wie aber bleiben sie auf Kurs, wenn sie weder Sterne noch Landmarken sehen?

Die Antwort: Sie nutzen das Magnetfeld der Erde. Aber wie?

Der dänische Biologe Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg entdeckte jüngst ein Verhalten bei Gartengrasmücken, das völlig unbekannt war. Die Singvögel drehten ihren Kopf regelmäßig langsam nach links und dann nach rechts um jeweils 60 bis 90 Grad. Das geschah im Dunkeln, aufgenommen mit Infrarot-Kameras. Einige der Vögel waren vom Magnetfeld der Erde ganz abgeschirmt, ein anderer Teil war einem Magnetfeld ausgesetzt, das sich alle fünf Minuten um 120 Grad drehte, und ein dritter Teil dem natürlichen Erdmagnetfeld. Die Vögel, die sich in keinem Magnetfeld aufhielten, machten dreimal so viele Kopfdrehungen wie die übrigen. Sie suchten nach dem nicht vorhandenen Feld.

Im Physikunterricht wird ein Magnetfeld mit Eisenfeilspänen sichtbar gemacht. Eisenfeilspäne ordnen sich in charakteristischer Weise um einen Stabmagneten. Die Pole des Magneten ziehen die Späne in der Nähe direkt auf sich. Weiter entfernte Feilspäne jedoch ziehen sie soweit an, dass sie sich nach dem Magnetfeld ausrichten und auf diese Weise Feldlinien sichtbar machen.

In ähnlicher Weise spannt sich zwischen den Polen der Erde ein für uns unspürbares Kraftfeld – als ob sich im Erdinnern ein riesiger Stabmagnet befände. Die Feldlinien fließen vom Nord- zum Südpol, kommen senkrecht aus dem Südpol heraus, biegen allmählich Richtung Norden ab und verflachen ihren Neigungswinkel bis sie am Äquator horizontal verlaufen. Auf dem weiteren Weg nach Norden neigen sie sich zunehmend, um schließlich senkrecht in den Nordpol zu fließen.

Im US-Staat Illinois fuhr im letzten Frühjahr nachts ein verdächtiges Auto durch die Gegend. Immer wieder zog das verbeulte 1982er Oldsmobile mit einer Fernsehantenne auf dem Dach das Interesse der Polizei auf sich. Doch William Cochran, Martin Wikelski und Henrik Mouritsen spionierten nicht etwa Personen aus. Sie hatten Grauwangen- und Zwergdrosseln gefangen, ihnen kleine Radiosender angeklebt und sie wieder freigelassen. Jetzt jagten sie ihnen hinterher.

Bevor die Wissenschaftler die Drosseln freiließen, hatten sie am Abend einige von ihnen einem künstlichen Magnetfeld ausgesetzt, das um 80 Grad nach Osten verdreht war. Wie sich bald zeigte, hatten sie damit zugleich den inneren Kompass der Drosseln verstellt. Während die unbehandelten Drosseln, wie es ihre Art ist, nach Norden flogen, hielten die manipulierten Artgenossen die ganze Nacht einen Westkurs ein. Erst in der nächsten Nacht korrigierten sie ihren Kurs und flogen wieder nordwärts. Jeden Abend, so die Biologen, eichen die Vögel ihren Kompass nach der Position der untergehenden Sonne und nach dem Magnetfeld.

Doch wie nehmen Vögel das Erdmagnetfeld wahr? Haben sie dafür ein spezielles Sinnesorgan? Tatsächlich fand man im Oberschnabel von Tauben Magnetid, ein Eisenoxid, das frühe Seefahrer für ihre Kompassnadeln verwendeten. Bis heute konnte jedoch nicht gezeigt werden, dass Magnetid-Kristalle die gesuchten Signalwandler wären, die magnetische Reize in elektrische Nervenerregungen übersetzen.

Biologen der Universität Frankfurt und Bochum kamen vor zwei Jahren auf eine andere heiße Spur. Sie entdeckten, dass Rotkehlchen das Erdmagnetfeld offenbar sehen. Mit verbundenen Augen verloren die Piepmätze die Orientierung.

Und letztes Jahr berichteten die Oldenburger Biologen Henrik Mouritsen und Reto Weiler, dass Vögel das Erdmagnetfeld wohl mit einem bestimmten Farbstoff in der Netzhaut wahrnehmen. Es handelt sich um Cryptochrom, einen Proteinkomplex, der in bestimmten Nervenzellen der Netzhaut angereichert ist.

Ähnlich wie Sehpurpur (Rhodopsin) in unseren Sehzellen Lichtreize in Nervenimpulse übersetzt, soll Cryptochrom Magnetfeldreize in Nervenerregungen umwandeln. Dafür ist schwaches Licht notwendig. Für Cryptochrom als Schlüsselmolekül des Magnetsinns sprechen mehrere Befunde: 1. Zugvögel bilden nachts viel Cryptochrom, Standvögel jedoch nicht. 2. Cryptochrom enthaltende Nervenzellen „feuerten“ bei Gartengrasmücken, die nachts magnetisch navigierten. 3. Ziehende Singvögel verlieren im roten Licht ihre Orientierung; im blauen und grünen Licht dagegen navigierten sie ungestört magnetisch. Das steht im Einklang mit der Tatsache, dass Cryptochrome blaues und grünes Licht aufnehmen, nicht jedoch rotes.

Vögel besitzen mehrere Kompasse. Viele halten sich an die Sterne – wenn sie leuchten. Auf das Erdmagnetfeld ist immer Verlass. Deshalb ist der Magnetkompass vermutlich weit verbreitet unter den Nomaden des Tierreichs.

Peter Düweke

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