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Gesundheit: Kopf an Kopf

Präsident Gaehtgens geht – und die FU schickt sich an, die Konkurrenz zu überflügeln

Wer die Geschichte einer Universität in einem Satz zusammenfassen kann, muss sich sehr sicher sein. Peter Gaehtgens ist sich sicher. Seine Amtsführung in den vergangenen vier Jahren bilanziert der scheidende Präsident der Freien Universität mit den Worten: „An den heutigen wissenschaftlichen Leistungen müssen wir uns messen lassen, nicht an Rudi Dutschke oder der amerikanischen Gründung von 1948.“ Damit bricht Gaehtgens Tabus – gegenüber den Traditionalisten, die die ruhmreiche Gründungsgeschichte der FU beschwören, und den Linken, die den Höhepunkt der Geschichte in der Revolte eines Rudi Dutschke sehen.

Eigentlich ist Gaehtgens, der heute die Amtsgeschäfte feierlich seinem Nachfolger Dieter Lenzen übergibt, der typische Gelehrte. Es ist ihm damals nicht leicht gefallen, das Amt eines Präsidenten zu übernehmen. Er hat lange gezögert, ob er sich nach dem tragischen Unfall seines Vorgängers Johann Wilhelm Gerlach im Jahr 1998 auch formell zum Präsidenten wählen lassen sollte. Doch hat er Geschmack an dieser Rolle gefunden. Deswegen tritt er mit 65 Jahren auch nicht etwa in den Ruhestand, sondern übernimmt das Amt des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, des obersten Repräsentanten der deutschen Hochschulen.

Am Beginn von Gaehtgens’ Amtszeit steht der verschärfte Wettstreit zwischen FU und HU. Gaehtgens hat ihn bewusst aufgenommen. Auf die Frage „Spieglein, Spieglein an der Wand, welche Uni ist die beste im ganzen Land?“, antwortete im August 1999 der damalige Präsident der Humboldt-Universität, Hans Meyer: selbstverständlich die Humboldt-Universität! Auf diese stolze Attitüde konnte FU-Präsident Gaehtgens nur ironisch antworten: Er beneide die HU nicht um ihre Rolle, da sie ja jetzt weitere Nobelpreisträger produzieren müsse, wenn sie nicht nur auf ihre Ahnengalerie von 29 Nobelpreisträgern in der Geschichte verweisen wolle. Von Meyers Nachfolger, Jürgen Mlynek, hört man solche Selbsteinschätzungen nicht mehr.

Die Humboldt-Universität und die Freie Universität wollen internationale Spitzenuniversitäten sein und sich nicht von Berliner Politikern im norddeutschen Ländervergleich auf Regionalliganiveau stutzen lassen. Im Ausland bewertet man die Berliner Universitäten nach ihrem Ruf in der Forschung, nach ihren Gelehrten und Leibniz-Preisträgern sowie danach, ob sie als Forschungsstandort für international herausragende Wissenschaftler eine gute Adresse sind. Im Roten Rathaus dagegen zählen die Politiker einseitig nur lange Studienzeiten und Abbrecherquoten zusammen, betrachten Nachwuchspflege als kostentreibend und die Berliner Universitäten im Vergleich zu norddeutschen Hochschulen als zu teuer.

An der Spitze

Wie sieht der Leistungsvergleich aus? Der ganze Stolz einer Universität beruht auf der Zahl der Sonderforschungsbereiche, die im harten Wettbewerb mit anderen Universitäten nach Berlin geholt werden. Heute hat die Freie Universität elf Sonderforschungsbereiche und die Humboldt-Universität acht. Bei den forschungsorienterten Graduiertenkollegs zur Doktorandenförderung ist das Verhältnis umgekehrt: Die Humboldt-Universität kommt mit 17 Graduiertenkollegs auf den Spitzenplatz (FU: zehn). Dafür nimmt die Freie Universität im Wechsel mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Heidelberg seit Jahren die Spitzenstellung unter den Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ein. Unter den Stipendiaten der Fulbright-Commission ist die Freie Universität die beliebteste Uni in Deutschland. Sie steht mit 129 amerikanischen Stipendiaten vor der Ludwig-Maximilians-Universität mit 109 Stipendiaten. Zwölf Träger des höchsten deutschen Forschungspreises, des Leibnizpreises, stellt die FU (HU: fünf). Bei den Drittmitteln kommt die Freie Universität auf 66 Millionen Euro und liegt damit hinter der Humboldt-Universität, die dank der herausragenden Position der Charité 82 Millionen Euro in ihrer Bilanz aufzuweisen hat.

Die FU schickt sich also an, in dem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Humboldt-Universität den ersten Platz zu erringen. Vorbei sind die Zeiten, da Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) dem Wissenschaftsstandort Berlin dadurch auf die Sprünge helfen wollte, dass er aus der Eliteuniversität der DDR eine neue Eliteuniversität nach internationalen Maßstäben machen wollte. Erhardt gab den so schwerfällig gewordenen Großtankern in Berlin, der Freien Universität und der Technischen Universität, mit der Herausforderung in Mitte einen neuen Drive. Selten hat der Wettbewerb so schnell Früchte getragen.

Berlins Stolz

Gaehtgens kommentiert: „Es ist sehr gut, dass es so gekommen ist. Der enorme Leistungsaufschwung in Berlin ist das Ergebnis des Wettbewerbs.“ Es ist ein freundlicher Wettbewerb. Gaehtgens preist das Vertrauensverhältnis zu seinem Amtskollegen Jürgen Mlynek an der Humboldt-Universität. Zum Schulterschluss der Unis hat schon die Berliner Politik beigetragen: „Die Stadt sollte stolz sein, dass wir heute der Konkurrenz mit den Universitäten in München und Heidelberg standhalten. Im Ausland wird das sehr wohl anerkannt. Nur unsere Politiker begreifen nicht“, sagt Gaehtgens.

Schließlich ist die FU dabei, die beklagten Mängel anzugehen, etwa die langen Studienzeiten. Die FU führt deshalb Gespräche mit 5000 Langzeitstudenten. Darin wird den Studenten individuell erklärt, welche Leistungen sie bis zum Examen zu erbringen haben. Wer innerhalb von zwei Jahren diese Chance nicht ergreift, dem droht die Exmatrikulation.

Einen weiteren Weg zur Studienzeitbegrenzung und der Minderung der Abbrecherquote beschreitet die Freie Universität mit der Neuorientierung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse. Gaehtgens störte anfangs, dass diese der akademischen Welt von oben aufgedrückt wurden – mit den Beschlüssen der europäischen Bildungsminister. Doch als künftiger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz bekennt er sich zu dem Ziel, 40 Prozent eines Jahrgangs an den Hochschulen auszubilden. Das werde aber nur mit einer Differenzierung gelingen, also mit Master und Bachelor. Denn für so viele können nicht alle Studienangebote auf gleichem Niveau organisiert werden.

Der von Politikern im Zeichen knapper Finanzen beschworene Abschied von der Volluniversität ist für Gaehtgens keine Patentlösung. Natürlich müssten die Universitäten Schwerpunkte setzen, wenn sie national und international konkurrenzfähig sein wollen. Aber am Ende nur noch Universitäten mit fünf Profilfächern zu haben, sei völlig verfehlt. Die Universitäten könnten auf die Massenfächer nicht verzichten, wenn sie 40 Prozent eines Jahrgangs ausbilden sollen.

Wie wird sich die FU in Zukunft entwickeln? Gaehtgens nimmt die Politik in die Pflicht: „Die Frage, ob die Berliner Universitäten noch wettbewerbsfähig sein werden, hängt vom Niveau der Berliner Politiker ab“, sagt er. „Zumindest die Bundesregierung kann kein Interesse daran haben, dass in der Hauptstadt wissenschaftliche Einrichtungen ruiniert werden, die zur internationalen Reputation der Republik beitragen.“

Uwe Schlicht

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